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Kommentar Verfolgung LinksautonomerBeinahe lebenslänglich

Daniél Kretschmar
Kommentar von Daniél Kretschmar

Ein misslungener Anschlag, namentlich bekannte flüchtige Täter: Dass noch nach 21 Jahren deren Umfeld im Visier steht, ist politische Absicht.

Die Ruhe nach Ausschreitungen von Autonomen in der Walpurgisnacht 1995 Foto: imago/Seeliger

Die Funktionalisierung von Personen, die wir der Justiz in die Hände gespielt haben, können wir durch unser Bedauern nicht rückgängig machen.“ – Dass dieser Satz aus der Auflösungserklärung ihrer „links-terroristischen Vereinigung“ (Bundesgerichtshof) noch mehr als zwei Jahrzehnte nachhallen würde, haben sich die Autonomen der Gruppe K.O.M.I.T.E.E. wahrscheinlich nicht träumen lassen.

21 Jahre ist es nun her, dass in einer Aprilnacht des Jahres 1995 mehrere Personen bei dem Versuch, das im Bau befindliche Abschiebegefängnis in Berlin-Grünau zu sprengen, überrascht wurden. Bei ihrer übereilten Flucht ließen sie eine Reihe von Spuren zurück, die schnell zu drei Männern aus der autonomen Szene führten.

Seitdem sind die Verdächtigen namentlich bekannt – und auf der Flucht. Einer von ihnen wurde 2014 in Venezuela aufgespürt und musste monatelang mit seiner Auslieferung an Deutschland rechnen, die anderen beiden bleiben verschwunden. Die Taten selbst sind längst verjährt, lediglich die Verabredung zu ihnen könnte die drei noch immer vor ein Gericht bringen.

Der Repressionsdruck liegt derweil nicht nur auf den mutmaßlichen Tätern, sondern auch auf ihrem damaligen sozialen Umfeld. Mittels ihrer erneuerten Drohung mit Beugehaft gegen eine nicht selber der Tat verdächtige Person, um diese zu einer Aussage zu bewegen, zeigt die Bundesanwaltschaft dabei eine bemerkenswerte Beharrlichkeit.

Drohgebärden gegen die Szene

Dass es sich bei der erzwungenen Vernehmung um ein Instrument zur Aufklärung handeln könne, wirkt mehr als zweifelhaft. Welche Erkenntnisse zu den Tätern oder dem Tatverlauf kann sich die Bundesanwaltschaft nach 21 Jahren von einer unbeteiligten Person denn erhoffen?

Vielmehr wird eine Drohkulisse aufgebaut gegen das frühere, jetzige und künftige soziale und politische Umfeld militanter Linker. „Wir vergessen nie!“ ist die Botschaft, die auf dem Rücken einer einzigen Person in die entsprechenden Kreise kommuniziert werden soll, und zwar einer Person, die selber weder verdächtig, noch beschuldigt ist. Insofern ist das Vorgehen der Bundesanwaltschaft zwar unverhältnismäßig gegen diese eine Person, aber keineswegs einfach nur lächerlich, sondern vor allem politisch.

„Die Funktionalisierung von Personen, die wir der Justiz in die Hände gespielt haben, können wir durch unser Bedauern nicht rückgängig machen.“ Das stimmt. Seit 21 Jahren. Die Justiz jedoch hat es in der Hand, die unwürdige „Funktionalisierung“ Unbeteiligter zu beenden, statt sie aus politischer Opportunität in einem Zustand beinahe lebenslänglicher Unsicherheit zu halten.

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Daniél Kretschmar
Autor
Jahrgang 1976, Redakteur für die tageszeitung 2006-2020, unter anderem im Berlinteil, dem Onlineressort und bei taz zwei. Newsletter unter: https://buttondown.email/abgelegt
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3 Kommentare

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  • Bei Abschiebungen kamen in der Vergangenheit mehrere Menschen zu Tode.

    Wurden die Verwantwortlichen ermittelt, bestraft, verurteilt?

  • "Wer droht, muss damit rechnen, dass ihm zurückgedroht wird. Wenn das so weitergeht mit der Eskalation in diesem Land, wird hier bald wieder blanker Hass regieren. Wie zu Zeiten der RAF müssen dann selbst Bundesanwälte um ihren Hintern bangen. "

     

    Das könnte man schon als Drohung auffassen. Nur: Wer soll denn hier die Drohung realisieren?

    Diese Rentner, die mit mäßigen Erfolg in Norddeutschland Supermärkte zu berauben versuchen?

     

    Es gibt niemanden der sich dafür hergeben könnte Bundesanwälte zu erschießen. Und bei "Regime-Chance" würde man ja eher an die AFD denken.

     

    Insgesamt eine lächerliche Posse, seit 21 Jahren.

  • Je nun. Mit Botschaften ist das so eine Sache. Manchmal kommen sie als Echo zurück.

     

    Die Bundesanwaltschaft baut auf dem Rücken Unschuldiger "eine Drohkulisse auf[] gegen das frühere, jetzige und künftige soziale und politische Umfeld militanter Linker"? Die Botschaft lautet: "Wir vergessen nie!"? Ich kann nur sagen: Diese Leute scheinen nicht zu wissen, was sie tun. Sie würden es sonst sicher unterlassen.

     

    Das Vorgehen der Bundesanwaltschaft ist nicht nur "unverhältnismäßig", "lächerlich" und "politisch". Es ist auch überaus riskant. Es haben nämlich nicht nur jene Leute, die sich als "die Bundesanwaltschaft" bezeichnen, ein Gedächtnis, sondern auch solche, die von "der Bundesanwaltschaft" missbraucht werden. Auch diese Leute (und ihre diversen Freunde) vergessen nicht. Schon gar nicht, wenn man sie nicht lässt.

     

    Wer droht, muss damit rechnen, dass ihm zurückgedroht wird. Wenn das so weitergeht mit der Eskalation in diesem Land, wird hier bald wieder blanker Hass regieren. Wie zu Zeiten der RAF müssen dann selbst Bundesanwälte um ihren Hintern bangen. Ganz abgesehen davon, dass wieder eine Diktatur aufkommen kann. Und dass die, die jetzt noch auf dem Hohen Ross zu sitzen glauben, dann auch wieder so glimpflich davon kommen, wie beim letzten "Regime-Chance", ist längst noch nicht gesagt.

     

    Die Justiz hat es in der Hand, die unwürdige "Funktionalisierung" Unbeteiligter zu beenden. Sie wird es vermutlich genau deshalb unterlassen. Denn sie ist selbst längst funktionalisiert worden – und sie hat kein Problem damit. Sie wird nämlich sehr gut bezahlt und ziemlich laut hofiert dafür, dass sie aus reinem Opportunismus Menschen, die ihr nie etwas getan haben, "in einem Zustand beinahe lebenslänglicher Unsicherheit" hält.

     

    Das Geld wiegt sehr viel schwerer als jedes eventuelle Mit-Leid, schätze ich. Und noch wiegt es auch schwerer als die (durchaus berechtigte) Angst.