Kommentar Verfassungsschutz: Schlecht gewartete Alarmanlage
V-Männer sind für den Verfassungsschutz, so wie er gedacht ist, unerlässlich. Aber schon die Bezeichnung ist falsch.
S icherheitsphilosophisch gilt der Verfassungsschutz als Frühwarnsystem, dass Gefahren für die Demokratie rechtzeitig aufspüren soll. Bleibt man in diesem Bild, so sind V-Leute dabei eines der unverzichtbaren Relais, mittels deren die Ämter ihre Fühler gezielt justieren können, da die V-Personen selbst Bestandteil der potenziellen Gefahrenlage sind.
So weit die Idee, an der schon die Bezeichnung falsch ist. Denn das „V“ steht nicht für Verräter, sondern für Vertrauen – das Vertrauen nämlich, das ihm der Verfassungsschutz entgegenbringt. Mehr offenbar als in die eigenen Partner im Verbund des Inlandsgeheimdienstes und in die Polizei.
Wohin dies führen kann, zeigt sich derzeit auf erschreckende Weise im Skandal um das rechtsextremistische Mordtrio „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU). Reihenweise fliegen in diesem Zusammenhang V-Leute auf. Vor zwei Wochen noch war es ein ehemaliger V-Mann des Berliner Landeskriminalamts (LKA). Der Mann, der in dem Ermittlungsverfahren als Unterstützer geführt wird und der dem NSU nach eigenen Aussagen Sprengstoff geliefert hatte, war im Aktenkeller des LKA unter „rechtsradikale Musik“ abgelegt und vergessen worden.
ist freier Journalist in Berlin.
Jetzt wird über einen weiteren V-Mann berichtet, der jahrelang aus der NPD Report erstattet und dem NSU nebenbei die Mordwaffe zugesteckt haben soll. An ihn will sich plötzlich ein früherer Beamter des Bundesinnenministeriums erinnern. Falls es sich bewahrheitet: Warum erst jetzt? Seit Monaten beschäftigt die Republik nichts mehr als der Ermittlungsskandal um den NSU.
Genauer besehen bietet das angebliche Frühwarnsystem gegenwärtig eher das Bild einer schlecht gewarteten Alarmanlage. Wann die nächste Bombe im NSU-Minenfeld zündet, dürfte inzwischen nur noch eine Frage der Zeit sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen