piwik no script img

Kommentar Urteil im Fall MladićEr zeigte nie Bedauern

Erich Rathfelder
Kommentar von Erich Rathfelder

Das UN-Tribunal hat im Fall Mladić getan, was es tun musste. Die Vorraussetzungen für Versöhnung sind dennoch schlecht.

Schwierige Versöhnung: Hinterbliebene in einer Gedenkstätte bei Srebrenica Foto: reuters

D as UN-Tribunal konnte kein anderes Urteil aussprechen als „lebenslänglich“. In dem vierjährigen Prozess ist es ihm gelungen, die Beweise für die Verbrechen der ethnischen Säuberungen sehr genau zu rekonstruieren und die persönliche Schuld des Ratko Mladić nachzuweisen. Ein anderes Urteil hätte das Ansehen des Gerichts beschädigt. Als die Strafe gegen den politischen Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadžić, vor einem Jahr mit nur 40 Jahren Haft beziffert und der Hauptideologe des serbischen Extremismus, Vojislav Šešelj, sogar freigesprochen wurde, kamen Zweifel an seiner Urteilsfähigkeit auf.

Und doch bleibt Bitterkeit, wenn auch bei vielen Überlebenden in Bosnien und im Gerichtsaal Erleichterung vorherrschte und das Urteil für sie doch auch so etwas wie „Gerechtigkeit“ signalisiert. Zwar ist nun vor aller Welt dokumentiert, was damals geschehen ist. Doch enttäuscht müssen die Überlebenden darüber sein, dass die Verbrechen der ethnischen Säuberungen im Jahre 1992, als mehrere Zehntausend Menschen ermordet wurden und 2 Millionen aus ihrer Heimat vertrieben, als Konzentrations- und Vergewaltigungslager aufgebaut wurden, vom Gericht nicht als Genozid eingestuft worden sind.

Nach Lesart des Gerichts habe es nur in Srebrenica einen Genozid gegeben. So ermöglicht das Urteil den Behörden der von Ratko Mladić durch Krieg und Vertreibung geschaffenen serbischen Teilrepublik, die Ereignisse in ihren eigenen Gemeinden herunterzuspielen. Das sind schlechte Vorzeichen für einen Versöhnungsprozess. Der wäre erst möglich, wenn in der serbischen Öffentlichkeit eine echte und offene Debatte über die eigene Vergangenheit stattfinden würde.

Danach aber sieht es trotz des Den Haager Urteils nicht aus. Denn die meisten Serben in der bosnischen Teilrepublik Republika Srpska sehen Ratko Maldić als „ihren General“ an, der sie lediglich verteidigt habe. Die Anklagen seien eine Erfindung böswilliger Mächte und der Bosniaken in Bosnien und Herzegowina. Mladić selbst gab bei Gericht den Takt vor. „Alles Lüge“, schrie er, „Ihr seid alle Lügner.“ Er hatte den Ausführungen des Richters zunächst teils mit versteinerter Miene und Kopfschütteln, teils mit einem Grinsen im Gesicht zugehört. Doch dann sprang er auf und wurde des Saals verwiesen. Das war kein zufälliger Eklat. Er passt zu Mladić’ Denken. All die Jahre vor Gericht zeigte er niemals Bedauern, niemals Empathie für die Opfer, nur Abwehr.

Geschlossene Gedankenwelt

Hannah Ahrendt zeichnete Adolf Eichmann als kleinen Bürokraten, als normalen Kleinbürger seiner Zeit. Die Profanität war für sie das Erschreckende. Bei Mladić liegen die Dinge etwas anders. Die Gedankenwelt der serbischen Nationalisten ist ein geschlossenes System, der Krieg in Bosnien und Herzegowina erscheint für sie als ein Kampf für das Überleben der Nation. In der serbischen Geschichtsauffassung sind die Serben seit der verlorenen Schlacht gegen die Osmanen von 1389 auf dem Kosovo Polje immer wieder Opfer der Geschichte.

Als Mladić nach dem Einmarsch seiner Truppen in Srebrenica am 11. Juli 1995 erklärte, das sei „die Rache an den Türken für Kosovo Polje“, er gebe „das befreite Srebrenica an das serbische Volk zurück“, gerierte er sich ganz bewusst als Teil eines historischen Prozesses. Die damit verbundenen monströsen Verbrechen werden in dieser Denkweise legitimiert. Folgerichtig kann Mladić die Verbrechen nicht zugeben, er möchte als Held in die serbische Geschichte eingehen. Die Opposition, das andere Serbien, beschränkt sich auf wenige Intellektuelle, auf die Belgrader Szene, auf jene, die eine solch antiquierte und primitive Geschichtsauffassung nicht teilen wollen. Sie sehen in Mladić einen Verbrecher, der die serbische Nation an den Pranger gestellt hat.

Doch die Mehrheit der serbischen Bevölkerung teilt leider immer noch die Sichtweise Mladić’. Das sind keine guten Voraussetzungen für einen Versöhnungs-, nicht einmal für einen Friedensprozess. Das UN-Tribunal immerhin hat im Fall Mladić getan, was es tun musste.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Erich Rathfelder
Auslandskorrespondent Balkanstaaten
Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.
Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • In wenigen Jahren ist es nicht nur Mladic und Karacic, sondern auch vielen anderen nationalistischen Verbrechern auf dem Balkan gelungen, die verschiedenen Ethnien und Religionen gegeneinander aufzuhetzen. Die Unterschiede zwischen ihnen wurden zu gegenseitigem Hass und Verachtung hochgespielt, Voraussetzungen für die brutalsten Kriegsverbrechen,.zu Vernichtung und Vertreibung.

     

    Die Anstiftung zum Hass und die Sehnsucht nach einer kommende Zeit, in der wir Deutschen uns unser Land zurückholen, wurde gestern in 3sat dokumentiert, als in 3sat die neuen glatzenfreien "Identitären" Nazis vorgestellt wurden. Hinter einer feinen bürgerlichen oder studentischen Fassade widmen sie sich der Aufgabe, die Köpfe einer neuen Generation mit denselben unterschwelligen Säuberungsparolen zu vergiften, die den jungen Serben, Kroaten oder Bosniern als nationale Berechtigung für ihre brutalen Gräueltaten dienten.

     

    Wenn Verfassungsschutz, Polizei und demokratische Gesellschaft diesem Treiben weiter nur zusehen, werden jetzt schon in den Köpfen vieler zukünftiger Totschläger die hemmungslosen Massaker vorbereitet wie früheren Jugoslawien .

  • 8G
    81622 (Profil gelöscht)

    Mit dem Völkermord in Srebreniza hat Mladic das größte Kriegsverbrechen seit dem 2. Weltkrieg in Europa zu verantworten. Leider ist die Mehrheit der Serben für das Leid, das ihren muslimischen Landsleuten in ihrem Namen zugefügt wurde, immer noch unempfindlich. Leider ist aber auch von der deutschen und europäischen Linken keine Selbstkritik zu vernehmen, die ihr damaliges Wegschauen thematisieren würde. Die damals oft vertretene Meinung , dass alle Beteiligten Völker im früheren Jugoslawien gleich schlimm seien und der Westen am Auseinaderbrechen Jugoslawien die Hauptschult trage, beruhte vor allem auf einem reflexartigen Blockdenken nach dem Schema: der Feind (Serben) meines Feindes (der Westen) ist mein Freund. Aus dieser katastrophalen ideologischen Haltung resultierte dann das Wegschauen und die Passivität, mit der die Linke das Morden mitverfolgte. Der schockierende Verlust an Mitgefühl mit der muslimischen Bevölkerung, die zuerst "ethnisch gesäubert" und dann in Srebreniza abgeschlachet wurde, hat der "Linken" Europas das Tribut der moralischen Autorität für die Unterdrückten genommen.

  • 8G
    81622 (Profil gelöscht)

    Unverschämt, Mladic, den Massenmörder und Faschist, mit Oric zu vergleichen. Das ist historisch, politisch und moralisch völlig absurd. Während Mladic über Jahre die Zivilbevölkerung in Sarajevo und andere Enklaven in Geiselhaft nahm und abschiessen liess wie die Tontauben und dann den Völkermord in Srebenica zu verantworten hatte, hat Otic als Kommandant und Verteidiger von Srebrenica versucht, die Bevölkerung zu retten, mit Mitteln , die z T. auch Kriegsvebrechen an ser serbischen Bevölkerung im Umland beinhalteten. Jedoch ist es völlig absurd, die 8.000 Toten von Srebreniza gegen eine kleine Anzahl getöteter Serben aufrechnen zu wollen, die, das muss gesagt werden, die etnische Säuberung gegen die Moslems bedingungslos und aktiv unterstützten.. Sollte Mladic deshalb freigesprochen werden? Völlig abwegig und absurd.

  • Also spätestens seit dem Naser Oric freigesprochen wurde, zweifele ich nicht nur an der Urteilsfähigkeit des Tribunals, sondern halte es für komplett unfähig.