Kommentar Urteil US-Soldat: Richter gegen Imageschaden
Die strengen Urteile gegen US-Soldaten, die aus reiner Lust in Afghanistan Zivilisten töteten, sind gerechtfertigt. Aber die Richter handelten aus Gründen der Imagepflege.
A ngehörige einer US-Militäreinheit haben 2010 in Afghanistan Zivilisten aus reiner Mordlust umgebracht. Später haben sie die Leichen als im Gefecht getötet getarnt. Die strengen Urteile, die das Militärgericht nun über die Täter verhängte, sind angesichts dieser Taten gerechtfertigt. Für die Möglichkeit, dass Anführer Calvin Gibbs schon nach zehn Jahren wieder freikommen könnte, gilt das mit Sicherheit nicht.
Die Militärrichter hatten allerdings auch gar keine andere Möglichkeit, als durch drakonische Strafen zu signalisieren, wie unakzeptabel das mörderische Verhalten der Angeklagten ist. Eine Armee, die in dieser Situation und bei dieser - bereits öffentlich gewordenen - Beweislage in den Geruch geraten würde, seine Leute zu decken, würde jede Legitimation verlieren.
Das jedenfalls sollte man denken. Stimmt aber nicht. Erstaunlich unbeachtet von der Welt- und nahezu komplett ignoriert von der US-amerikanischen Öffentlichkeit hatte Wikileaks im November 2010 eine große Tranche geheimer US-Dokumente aus dem Irakkrieg veröffentlicht. Und die zeigten genau das: eine Armee, die immer wieder entweder selbst in schwere Vergehen an Zivilisten verwickelt ist oder bewusst wegsieht, wenn solche Taten von Verbündeten begangen werden. Im Vergleich zu den Verbrechen, die damals öffentlich wurden, sind die jetzt vor dem Militärgericht verhandelten Morde unbedeutende Einzelfälle. Doch nichts geschah.
ist Redakteur im Auslandsressort der taz und zuständig für die Amerika-Berichterstattung.
Geschadet hat das der US-Armee nicht. Offenbar gibt es ein nichtproportionales Verhältnis zwischen Verbrechen und Imageschaden, ein stimmiges allerdings zwischen Imageschaden und Militärjustiz: Je größer die öffentliche Aufregung, desto härter die Urteile - jedenfalls dann, wenn sich die Anklagen auf die unteren Ränge beschränken lassen. Mit fairer Rechtsprechung hat das nichts zu tun.
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