Kommentar Umfragetief Grüne: Mut zum Verzicht
Trotz sinkender Umfragewerte sollten die Grünen offensiv für Konsum in Maßen werben. Der Veggie-Day ist da eine gute Idee.
D ie Grünen fordern Verzicht. Und verzichten auf Wähler. Aktuellen Umfragen zufolge liegen sie nur noch bei 9 bis 11 Prozent. Vor wenigen Monaten waren es noch deutlich mehr. Nicht zuletzt die Debatte über einen Veggie-Day, einen fleischfreien Tag pro Woche in Deutschlands Kantinen, könnte die Grünen Stimmen gekostet haben. Die Vorwürfe sind gewaltig. Auf Facebook werden die Grünen schon mal als „Ökofaschisten“ beschimpft.
Der Veggie-Day, der übrigens nie Gesetz, sondern nur Anregung sein sollte, ist wieder zu einem wichtigen Wahlkampfthema geworden. Denn die Idee steht symbolisch für eine zentrale Frage: Wollen wir überhaupt Verzicht üben, und wenn ja, wie kann uns das gelingen? Union und FDP werden nicht müde, im Wahlkampf zu betonen, wie genussfeindlich grüne Politik sei. Sie inszenieren die Grünen als Moralapostel, die alles verbieten wollen, was irgendwie Spaß macht.
Doch Fleischverzicht, die Kernidee des Veggie-Days, ist kein Ökothema für Ökospinner. Weniger Fleisch zu konsumieren wäre ein wichtiges Signal an andere Länder: Ihr seid uns nicht egal! Denn der Konsum tierischer Produkte verschlimmert den globalen Hunger. Über 800 Millionen Menschen, vor allem Kinder, hungern jeden Tag. Das heißt: Jeder neunte Mensch auf der Welt wird nicht satt. Besonders betroffen sind Säuglinge und Kleinkinder, die an den Folgen von Unterernährung sterben.
Geboren 1987 in Stuttgart. Er studierte Medizin in Dresden und Politikwissenschaft in Berlin und Lyon. Im vergangenen Juni war er Teilnehmer der 15. taz-Akademie zum Thema "Stadt & Land“, derzeit ist er im Team der wahl.taz einer der Akademistas der Panter Stiftung.
Sinkt der Fleischkonsum, können Menschenleben gerettet werden. Rinder konkurrieren mit Menschen um Nahrung. Auf Feldern, wo Futtermittel für Tiere angebaut werden, könnte auch Getreide für Menschen wachsen. Weltweit wird Soja, ein wichtiges Futtermittel für Nutztiere, auf etwa 100 Millionen Hektar angebaut. Das entspricht etwa der dreifachen Fläche der Bundesrepublik. Oftmals wird dafür mit aggressiven Pestiziden jede andere Regung der Natur im Keim erstickt. Die Folgen für die dort lebende Bevölkerung sind verheerend.
Was können wir tun? Verzichten! Wer das laut ausspricht, wird abgestraft. Alle ökologischen Bewegungen sind schön und gut, aber wenn es darum geht, das persönliche Verhalten zu ändern, dann schauen viele gerne weg. Genau das bekommen die Grünen jetzt zu spüren.
Die Grünen müssen sich entscheiden
Die Partei befindet sich damit mehr denn je in einem Dilemma: Wie stark darf sie mit ihrem ökologischen Profil Wahlkampf machen? So richtig laut traut sich kurz vor der Wahl niemand auszusprechen, dass die Bevölkerung in den Industriestaaten ihren Konsum einschränken müsste. Dabei ist es doch die Aufgabe Europas, im Kampf gegen den Welthunger eine Vorreiterrolle zu spielen. Europa muss sich den Folgen von Nahrungsmittelspekulationen, Agrarsubventionen und Fleischkonsum stellen. Das muss politisch gewollt sein, und das wollen in Deutschland derzeit am ehesten die Grünen.
Fleischverzicht ist damit kein Randthema für Spinner, sondern ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu mehr globaler Gerechtigkeit.
Die Grünen müssen sich jetzt, so kurz vor der Wahl, entscheiden: Entweder versuchen sie, alle Ideen im Wahlprogramm, die mit dem Thema zu tun haben, klein zu halten. Das funktioniert - wie die Diskussion über den Veggie-Day zeigt - eher schlecht. Oder sie werben offensiv mit dem Thema. Es bleibt noch mehr als eine Woche, um WählerInnen zu überzeugen, dass Verzicht keine Schnapsidee, sondern der einzige Weg zu einem gesunden Planeten ist. Was beim Atomausstieg geklappt hat, kann auch in der Ernährungspolitik funktionieren. Vielleicht sogar schon bald.
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