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Kommentar USA nach BostonDas 9/11-Déjà-Vu

Dorothea Hahn
Kommentar von Dorothea Hahn

Wie 2001 sind die Amerikaner überrascht, dass „so etwas“ bei ihnen passieren kann. Ein Signal scheint genug, um die Supermacht im Chaos versinken zu lassen.

W er US-amerikanischen Exzeptionalismus sucht, wird in dieser Woche wieder reichlich fündig. Es beginnt mit dem Umgang mit den Bomben von Boston. Es führt weiter über die erneute Serie von Gift-Briefen an Spitzenpolitiker in Washington.

Und es kulminiert mit der Entscheidung des Senats, als Konsequenz aus den jüngsten Massakern an Schulen, Kinos und Tempeln mit Schusswaffen einfach so weiter zu machen wie bisher: ohne ein Verbot von halbautomatischen Kriegswaffen, ohne einen Verkaufsstopp für Hochkapazitäts-Magazine und ohne obligatorische Backgroundchecks für sämtliche Schusswaffendeals.

Wie schon oft zuvor – am dramatischsten am 11. September 2001 – zeigen die Reaktionen auf die Bomben von Boston, wie selbstreferenziell der Blick von US-Amerikanern auf ihr Land ist. Wie wenig sie sich als Teil der restlichen Welt verstehen. Wieder einmal ist da dieses ungläubige Staunen darüber, dass „so etwas“ in den USA passieren kann. Als wären Bomben das alleinige Privileg anderer Länder.

Bild: Manfred Bartsch
Dorothea Hahn

ist USA-Korrespondentin der taz mit Sitz in Washington.

Und als wären die USA – mit ihren extremen Gewaltverhältnissen und sozialen Ungerechtigkeiten sowohl im Inneren als auch im Äußeren – eine Insel des Friedens und des Glücks. Auch die Rizin-Briefe, die aus Mississippi nach Washington gingen, wo sie zum Glück abgefangen wurden, bevor ihr Inhalt töten konnte, sorgen für ein Déjà-Vu. Sie erinnern an die Welle von Anthrax-Attentaten, die auf die Anschläge von 2001 folgten. Damals wie heute scheint es, als genüge ein Signal, damit die Supermacht im Chaos versinkt.

Die Krönung des Exzeptionalismus ist die Entscheidung des Senats, bei den Schusswaffen alles beim Alten zu lassen. Gegen jeden gesunden Menschenverstand und gegen den Willen der überwältigenden Mehrheit der eigenen Bevölkerung gewähren die Senatoren der Schusswaffenlobby weiterhin freie Hand.

Das sind beunruhigende Signale aus einem verunsicherten und realitätsfernen Land. Wo ein beträchtlicher Teil jener, die in Politik und Medien das Sagen haben, eher in die Vergangenheit schauen, als in die Zukunft und schon gar nicht über den nationalen Tellerrand hinaus.

Bislang sind die Reaktionen auf die Bomben von Boston deutlich umsichtiger als jene nach früheren Anschlägen. Das hat Barack Obama aus den Fehlern seines Vorgängers gelernt. Aber das Beharrungsvermögen von Washington ist groß. Und der Schoß, aus dem nach 2001 Einschränkungen der individuellen Freiheiten, Kriege und Folter gekommen sind, ist weiterhin fruchtbar.

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Dorothea Hahn
Korrespondentin
Kommt aus Köln. Ihre journalistischen Stationen waren Mexiko-Stadt, Berlin, Paris, Washington und New York.
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11 Kommentare

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  • M
    MaterialismusAlter

    Liebe Frau Hahn

     

    Dieser Artikel strotzt nur so von antiamerikanischen Ressentiments.

     

    Auf Teufel komm raus versuchen Sie einen Zusammenhang zwischen dem Waffenrecht und den Anschlägen in Boston zu konstruieren. Der erschließt sich mir nicht so recht. Aber egal, Hauptsache das Stereotyp vom schießwütigen Ami evoziert.

     

    Besonders peinlich ist dann ihre Behauptung die USA seien entsetzt dass so ein Anschlag auf ihrem Territorium geschehen könne:

    "Wieder einmal ist da dieses ungläubige Staunen darüber, dass „so etwas“ in den USA passieren kann. Als wären Bomben das alleinige Privileg anderer Länder."

     

    Diese Behauptung belegen Sie mit nichts (wie auch?). Dass nach einem derartigen Verbrechen wohl in Deutschland und jedem anderen Land der Welt die Hölle los wäre interessiert sich nicht, es soll ja um (oder besser: gegen) die Yankees gehen.

    Außerdem widersprechen Sie damitja ihrem eigenen Argument, denn die Einschränkung von Freiheiten, die Sie ja im nächsten Absatz kritisieren, wurde ja stets mit der Möglichkeit eines Anschlags begründet.

    Auch egal: Wichtig ist nur, dass Sie ihre Leserschaft daran erinnern, dass die USA das "Privileg von Bomben" gerne anderen zukommen lassen. "Große Literatur entsteht wenn der Leser die Leerstellen füllt" urteilte die Titanic über Grass. Bei Ihnen gilt das offenbar ebenfalls.

     

    Sie schließen mit einem vernichtenden Urteil: Die USA seien ein "verunsichertes und realitätsfernes Land". Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun - geschenkt. Die Supermacht wankt, und das ist es, was Sie und Ihre Leser wollen.

     

    Natürlich kommen Sie auch nicht umhin verschwörerisch jene zu erwähnen, "die in Politik und Medien das Sagen haben". Der Leser dankt's und weiß wer gemeint ist.

    Zum Glück ist bei uns in Good Old Europe alles gut - die Menschenrechte werden geachtet, Demokratie und Kapitalismus laufen wie geschmiert, die Zivilisation blüht. Oder so ähnlich...

     

    Es war schon immer so: Wer sich für links hält, aber von Theorie keine Ahnung hat, dem bleibt nur das wüste Schimpfen auf die bösen Imperialisten, anstelle einer Kritik der Verhältnisse. Das ist schön, denn im "alten Europa" findet man dann wieder ein lauschiges Vaterland, dessen Vorzüge man preisen kann.

    Da passt es nicht gut rein, wenn die USA zu lange als Opfer dastehen: Schnell ein paar Vorwürfe an den Haaren herbeigezogen. Tag gerettet.

     

    Gruß

  • R
    Ralf

    FaktenStattFiktion, die in vielen Bundesstaaten ohne weitere Prüfung erhältliche AR-15 ist die halbautomatische Version des militärischen Sturmgewehrs M16.

     

    Bei der AR-15 muss zwar jeder Schuss manuell ausgelöst werden, wird aber automatisch aus Hochkapazitätsmagazinen nachgeladen. Dadurch ist eine lange ununterbrochene Schussfolge möglich.

     

    Wofür eine Zivilperson so eine Waffe braucht erschließt sich mir nicht. Das hat mit Jagd oder Selbstverteidigung nichts mehr zu tun (wenn man überhaupt diese Gründe als legitim für privaten Waffenbesitz ansieht).

     

    Das allgemeine Verbot von privaten Waffenbesitz stand gar nicht zur Debatte. Es ging lediglich um das Verbot von Sturmgewehren und Hochkapazitätsmagazinen sowie Sicherheits-Checks beim Waffenkauf. Selbst für republikanische US-Amerikaner sind das Selbstverständlichkeiten – für NRA-eingeschücherte US-Senatoren dagegen nicht.

  • G
    genervtneu

    @von Lupus

    Wenn man mal mit der US Administration in ihren verschiedenen Ausprägungen zu tun hatte, weiß man, das der äußere Anschein immer super professionell ist.....

    .. aber wehe man schaut hinter die Kulissen, da ist alles sowas von unorganisiert und auf naive Art planlos. Vor allem hat niemand so richtige Geduld und dann lässt man gern 5 gerade sein.

  • M
    mars

    Die Aussage, dass die USA ein "verunsicherte und realitaetsferne Land [sind]", ist grundsaetzlich falsch.

     

    Ich wuerde die allgemeine Stimmung als schockiert, aber gefasst beschreiben. Die "juengsten Massaker" scheinen - so tragisch es ist - gegen abscheuliche Gewalt und grausame Bilder in Medienberichten abgehaertet zu haben.

    Ob Amoklauf oder Terroranschlag, man ist sich darueber bewusst, dass es ueberall und zu jeder Zeit passieren kann.

     

    Von einer Panik und Verunsicherung, wie sie nach 9/11 zu spueren war, kann allerdings keine Rede sein. Dies ist vor allem der guten Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Rettungskraeften und den Regierungsbehoerden, aber auch den gut ausgearbeiteten Notfallplaenen zu verdanken. Die USA haben dazugelernt, und so hat das amerikanische Volk.

     

    Viele Amerikaner verstehen mittlerweile, dass sie nicht alleine sind und dass sie mit anderen Voelkern und Laendern zusammenarbeiten muessen, um erstens ihre nationale Sicherheit und zweitens eine starke Wirtschaft zu gewaehrleisten. Von der "Supermacht USA" ist nicht viel uebrig geblieben, abgesehen von der - nicht aus der Acht zu lassenden - militaerischen Ueberlegenheit (Der Begriff "Stormtrooper der UN" scheint angebracht).

     

    Schusswaffengesetze sind ein brisantes innenpolitsches Thema. Die Ursache fuer die Ablehnung der kuerzlich eingebrachten Gesetzesentwuerfe, trotz Befuerwortung von mehr als der Haelfte der Bevoelkerung, liegt alleine in der verabscheuungswuerdigen oligarchischen Struktur des US Senats.

     

    Das amerikanische Volk deswegen als "realitaetsfern" zu beschreiben ist jedoch unangebracht. Man beachte die Fortschritte im Umgang mit gleichgeschlechtlicher Ehe, Einwanderungsgesetz und Legalisierung.

     

    Die Administration unter President Obama hat viel dazu beigetragen, diese Themen publik und im Denken der Amerikaner bewusst zu machen.

    Und dass manche Menschen laenger brauchen, um ueberholte Denkweisen abzuwerfen, weiss man ja in Deutschland besser als in vielen anderen Laendern.

  • S
    Störtebekker

    Zitat: Wo ein beträchtlicher Teil jener, die in Politik und Medien das Sagen haben, eher in die Vergangenheit schauen, als in die Zukunft und schon gar nicht über den nationalen Tellerrand hinaus.

     

     

    Wieso, sind es bei uns etwa andere die das Sagen haben?

    Konnte ich leider bisher noch nicht feststellen. Bitte belehren Sie mich.

     

    Ich denke Amerika wird schon damit klarkommen.

    Wie sich aber Deutschland nach dem ersten Anschlag (der zweifellos kommen wird) verhält, das steht noch in den Sternen.

    Da können wir uns von den Amis noch ne Mege lernen.

    Ne ganze Menge!

  • EM
    El Moro

    Sehr guter Artikel.

  • F
    FaktenStattFiktion

    "Halbautomatische Kriegswaffen" schreibt Frau Hahn.

     

    Damit erübrigt sich eigentlich schon jeder Kommentar. Einen Satz aber vielleicht doch noch:

     

    Welcher Staat, werte Frau Hahn, führt denn Krieg mit Pistolen, und seien es auch Pistolen mit Wangenauflage?

     

    Sie sind ja die Expertin, ich würde mich über eine Antwort freuen.

  • RW
    Roger Wicker

    Sowohl die Bombenanschläge als auch die Giftbrief-Attentate kommen aus dem gleichen Zirkel und hatten die gleiche Stoßrichtung - nämlich die der Warnung und damit der Beeinflussung des Senates in ebendieser Entscheidung zum Waffenrecht.

     

    Leider sind die NRA-Terroristen damit auch noch durchgekommen.

  • N
    Nachgrapp

    Sehen Sie den Fortschritt nicht? Noch vor ein paar Monaten hätte die Waffenlobby doch die Bewaffnung der Läufer zur Verhinderung von Bombenattentaten an der Strecke gefordert....

  • KP
    Klaus Pietschmann

    "wie kann soetwas bei uns passieren?"-mich wundert es,das die us-amerikaner sich fragen, warum bei ihnen eine bombe gelegt wurde. ich wuerde mich als denkender us-amerikaner eher fragen, warum erst so wenige gelegt wurden.

  • L
    Lupus

    Das die USA in ein Chaos gefallen ist kann man nun grade nicht sagen, zumindest stellt es sich doch eher so dar, das alle Notfallpläne hervorragend funktioniert haben und alles sehr professionell und alles andere als chaotisch abgelaufen ist. Die Senatsentscheidung als Folge des Anschlags hinzustellen ist auch reichlich gewagt, das wäre ohne auch nicht anders ausgegangen (Was es natürlich nicht besser macht)