Kommentar US-Wahlknatsch: Alle profitieren vom System
Trump posaunt herum, bei der Wahl seien Millionen Stimmen illegal abgegeben worden. Eine Revision des US-Wahlsystems wäre tatsächlich nötig.
W ird die Neuauszählung der Stimmen in den Bundesstaaten Wisconsin, Michigan und Pennsylvania den Einzug Donald Trumps ins Weiße Haus noch verhindern? Das steht wohl nicht zu erwarten.
Auch einen Cliffhanger wie im Jahr 2000, als veraltete Wahlmaschinen in Florida für ein Riesenchaos gesorgt hatten und die Wahl schließlich Wochen später vor Gericht entschieden wurde, muss wahrscheinlich niemand befürchten.
Der designierte US-Präsident Donald Trump hat den republikanischen Abgeordneten Tom Price als Gesundheitsminister vorgesehen. Dies teilte eine mit dem Vorgang vertraute Person der Nachrichtenagentur AP am Montag (Ortszeit) mit. Demnach soll die Entscheidung am Dienstag bekanntgegeben werden. Price gilt als einer der führenden Kritiker der Gesundheitsreform, dem innenpolitischen Prestigeobjekt des scheidenden Präsidenten Barack Obama.
Auf seiner Suche nach einem Kandidaten für den Posten des Außenministers hat Trump nun auch den früheren General David Petraeus ins Auge gefasst. Nach einem Gespräch mit Petraeus an seinem New Yorker Firmensitz zeigte sich Trump am Montag "sehr beeindruckt", wie er über Twitter erklärte. Auch Petraeus sprach von einem "sehr guten Treffen".
Petraeus zählt zu den prominentesten Militärs in den USA. Er war Oberbefehlshaber der US-Truppen im Irak, der Nato-Kräfte in Afghanistan und Chef des US-Zentralkommandos. Am Dienstag wollte Trump seine Gespräche über die Berufung für das State Department fortsetzen. Geplant war ein zweites Treffen mit dem früheren Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney. (ap/afp)
Trotzdem ist es richtig, die Ergebnisse noch einmal zu überprüfen – und sei es nur, um die Sicherheit zukünftiger Urnengänge zu verbessern. Das ist im Prinzip auch ein vollkommen normaler Vorgang.
Nicht normal ist hingegen, wenn ein gewählter Präsident herumposaunt, bei der Wahl seien Millionen Stimmen illegal abgegeben worden – ohne dafür auch nur den kleinsten Anhaltspunkt zu liefern. Man neigt dazu, den Unsinn mit Trumps zwanghaftem Hang zu unüberlegten Gegenattacken zu erklären. Aber das macht es nicht besser. Ein president elect mit solchen Reflexen ist eine tickende Zeitbombe.
Dabei wäre eine grundsätzliche Überarbeitung des demokratischen Systems der USA tatsächlich nötig. Das Wahlleutegremium, dessen Existenz jetzt zum zweiten Mal in 16 Jahren dazu führt, dass jemand Präsident wird, der landesweit deutlich weniger Stimmen bekommen hat als seine Gegnerin, ist überholt.
Die unterschiedlichen Formen der Registrierung und Abweisung von WählerInnen schaffen ständig neue Ungerechtigkeiten. Und dass der größte Bundesstaat genauso viele Senatoren stellt wie der kleinste, ist auch nur dann zu begründen, wenn man ein handlungsfähiges Washington für überflüssig hält.
Doch über all das wird wieder nicht geredet werden können. Ohnehin verdanken alle, die das System ändern könnten, genau diesem ihre politische Existenz. Und ausgerechnet unter Trump eine Demokratiedebatte anzuzetteln, kann nur schiefgehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren