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Kommentar Trauermarsch in ParisGroßes Unbehagen

Ines Kappert
Kommentar von Ines Kappert

Wer die Opfer respektiert und den Anschlag nicht nur zur Imagepflege nutzt, sondiert verstärkt Politikansätze, die Versöhnung erlauben.

Eine Szene trauter Einigkeit: Hollande begrüßt Merkel am 11. Januar 2015 in Paris Bild: dpa

F rançois Hollande und Angela Merkel legen vor der Kamera die Köpfe aneinander, dann marschieren sie gemeinsam mit anderen Staatschefs durch die Pariser Innenstadt – gegen den Terror und für die Verteidigung der Meinungsfreiheit. Am Abend bei „Günther Jauch“ dekretiert Mathias Döpfner vom Springer Verlag, dass der Anschlag auf Charlie Hebdo noch schlimmer sei als 9/11.

Waren schon die demonstrativen Einigkeitsbilder von Hollande/Merkel unbehaglich, beginnt bei Döpfners Eskalationsrhetorik der Ekel. Warum?

Die Verlogenheit ist das Problem. Springer steht bislang nicht für die Verteidigung eines redlichen Journalismus. Aber nur Döpfner wird geladen. Denn im Kampf gegen die Islamisten sind doch alle Katzen weiß, oder? Auch Netanjahu, Abbas oder der saudi-arabische Botschafter stehen nicht für eine emanzipative, den Terror schwächende Politik. Doch sie dürfen sich als die Guten inszenieren.

Demokratisch gesinnte PolitikerInnen sollten die Millionen FranzösInnen, die aus Trauer und Furcht vor weiterem Terror auf die Straße gehen, als Aufforderung verstehen, der zunehmenden Radikalisierung von Islamisten und Rechtsradikalen mehr entgegenzusetzen als bisher. In die Trauer müsste sich also Selbstkritik mischen. Davon fehlt jede Spur. Stattdessen dürfte Innenminister de Maizière repräsentativ sein, wenn er sagt, dass Trauerfeiern ja immer schön seien, es gebe dort so ein warmes Gefühl. Die in Paris sei sehr schön gewesen.

Wenn die politischen Führungen Trauerfeiern als Wohlfühlveranstaltung missbrauchen, fehlt ihnen der Respekt vor den Opfern. Dieser würde bedeuten, dass sie verstärkt Ansätze für eine Politik sondieren, die den Druck von rechtsaußen per Aufklärung und Partizipationsperspektiven ausbremst. Davon war bislang noch nicht einmal die Rede.

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Ines Kappert
Gunda-Werner-Institut
leitet seit August 2015 das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung.   Mich interessiert, wer in unserer Gesellschaft ausgeschlossen und wer privilegiert wird - und mit welcher kollektiven Begründung.   Themenschwerpunkte: Feminismus, Männlichkeitsentwürfe, Syrien, Geflüchtete ,TV-Serien.   Promotion in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft zu: "Der Mann in der Krise - oder: Konservative Kapitalismuskritik im kulturellen Mainstream" (transcript 2008).   Seit 2010 Lehrauftrag an der Universität St. Gallen.
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1 Kommentar

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  • Danke für diesen besonnenen Kommentar! Tatsächlich würde vernünftige Politik auf tatsächliche Versöhnung dringen - darauf, das Verbindende der vielen zu betonen und zu fördern, was die meisten Menschen eint: Ein Leben in Würde und Freiheit, ohne Hunger, Not, Krieg, Ausbeutung. Eine solche Politik bedeutete stets eine Schwächung der Fanatiker und - dies vor allem! - eine Schwächung der Machttechniker, die stets von genau solchen idiotischen "Konflikten" leben, wie sie jetzt wieder zwischen den verschiedenen Religionen, aber auch zwischen Atheisten und Gläubigen hochkochen. - Die religionskritischen Karikaturen hatten viele falsche Freunde, besonders natürlich, wenn es gegen den Islam ging. Eigentlich wußten ja alle, daß viele Muslime hier notorisch beleidigt sein würden - und das machte ja anscheinend auch die besondere Freude an diesen Karikaturen aus: man konnte mit ihnen "beweisen", wovon man ohnehin schon überzeugt gewesen war. Im Kindergarten gab's bei uns einen empfindlichen Knaben, der leicht zu beleidigen war und dann stets gewaltige Wutanfälle bekam. Liebstes Spiel einiger "Führernaturen" in der Gruppe war es also, diesen Jungen zu reizen, weil sie wußten, daß er sofort toben würde. Dann bildete sich ein Kreis um ihn, alle brüllten: "Tollwutgefahr! Tollwutgefahr!" Klar, daß der Junge in diesem Kindergarten nie eine Chance hatte. - Und, seltsam genug, fünfzig Jahre später, genau jetzt, erinnere ich mich daran ...