Kommentar Tod bei G20: Erst schlagen, dann lügen
Es dauerte fast eine Woche, bis die Wahrheit über den toten Passanten vom G20-Gipfel ans Licht kam. Nun muss es eine öffentliche Untersuchung geben.
E s ist erstaunlich, wie bereitwillig sich die Medien die Darstellung der britischen Polizei zu eigen machten: Die Beamten seien bei der G20-Demonstration in London am 1. April von einer "Meute Anarchisten" angegriffen und mit Wurfgeschossen daran gehindert worden, einen Demonstranten wiederzubeleben. Die BBC berichtete in ihren Abendnachrichten gar nicht erst von Ian Tomlinsons Tod.
RALF SOTSCHECK ist Großbritannien-Korrespondent der taz mit Sitz in Dublin.
Tomlinson war kein Demonstrant, er war auf dem Nachhauseweg, als er von der Polizei angegriffen wurde. Es dauerte fast eine Woche, bis diese Wahrheit ans Licht kam, weil ausgerechnet ein New Yorker Bankmanager seine Videoaufnahme öffentlich zugänglich machte. Eine der Fragen ist, ob die Kesseltaktik der Polizei dazu geführt hat, dass Tomlinson nicht aus der Gefahrenzone herauskommen konnte. Scotland Yard wendete diese Taktik erstmals 2001 an. Zwei Passanten, die damals sieben Stunden lang im Kessel festsaßen, haben Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht, nachdem ein britisches Gericht im vergangenen Januar das Vorgehen der Polizei als rechtmäßig einstufte.
In jedem Fall muss die Polizeiführung längst gewusst haben, was am 1. April vorgefallen ist. In dem Land mit der höchsten Dichte an Überwachungskameras in Europa bleibt kaum etwas unbeobachtet. Wie im Fall des Brasilianers de Menezes, der am 22. Juli 2005 im Londoner U-Bahnhof Stockwell von einer Anti-Terror-Einheit durch sieben Kopfschüsse getötet wurde, setzte Scotland Yard auch diesmal auf Desinformation. Sie konstruierte eine Attacke von Demonstranten auf die Beamten, die Tomlinson Hilfe leisten wollten.
Es muss nun eine öffentliche Untersuchung geben. Denn selbst wenn sie in Schönfärberei enden sollte, so ist die Beweisaufnahme aufschlussreich. Das war bei de Menezes so, und auch im Fall David Kelly: Der britische Mikrobiologe brachte sich 2003 um, als herausgekommen war, dass er hinter den Informationen über das gefälschte Irak-Dossier der britischen Regierung steckte. Die Untersuchung entlastete zwar die beteiligten Politiker. Aus den Zeugenaussagen konnte man aber ganz andere Schlüsse ziehen.
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