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Toter beim G-20-Gipfel in LondonPrügelpolizist meldet sich

Die Identität des Polizisten, der einen Passanten zu Boden stieß, kurz bevor dieser starb, ist nun bekannt. Bisher wurde er nicht suspendiert. Die Ermittler geraten unter Druck.

Das Filmmaterial von Channel Four zeigt, wie ein Sondereinsatzbeamter zum Schlag auf Ian Tomlinson ausholt. Bild: screenshot: Channel Four

BERLIN taz Er hat sich gestellt. Jener Polizist, der bei den G-20-Protesten in London auf Ian Tomlinson einschlug und ihn zu Boden stieß, Minuten bevor der 47-jährige Zeitungsverkäufer zusammenbrach und an einem Herzinfarkt verstarb. Millionen haben inzwischen die Videoaufnahmen des Vorfalls auf der Webseite der britischen Tageszeitung The Guardian gesehen.

Nun hat auch der Fernsehsender Channel Four Filmmaterial ins Netz gestellt, das die Geschehnisse aus einer anderen Perspektive festhält. Darin ist deutlich zu erkennen, wie der Sondereinsatzbeamte der Londoner Metropolitan Police mit seinem Stock in der linken Hand ausholt, um Tomlinson damit zu schlagen. Die Szene, in welcher der Stock auf Tomlinsons Körper trifft und der Mann danach so stark geschubst wird, dass er zu Boden fällt, wird allerdings durch andere Personen verdeckt.

Das Video legt nahe, dass sich der Polizist seine Identifikationsnummer, die er normalerweise an der Schulter trägt, entfernt hat. Auch macht es deutlich, dass er unter seinem Schutzhelm eine Balaklava trägt, die sein Gesicht verbirgt. Nun hat der Polizist sich zusammen mit drei weiteren Kollegen, die auf den Videos zu sehen sind, laut Guardian, sowohl seinem Vorgesetzten als auch dem Unabhängigen Beschwerdeausschuss der Polizei zu erkennen gegeben. Er wurde danach aber weder wegen des Verdachts auf Körperverletzung festgenommen, noch vom Dienst suspendiert.

Genau dies fordert aber Brian Paddick, Ex-Kandidat der Liberalen für das Bürgermeisteramt in London und selbst ein früherer höherer Beamter der Metropolitan Police. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Sicherheitsbehörden würde starken Schaden nehmen, wenn hier nicht sofort gehandelt werde. Er warnte, die Polizei könnte in ihrem Umgang mit schwarzen Schafen im eigenen Apparat doppelter Standards bezichtigt werden. Inzwischen hat sich zumindest die Staatsanwaltschaft mit dem Beschwerdeausschuss in Verbindung gesetzt, um sich mit ihm über eine mögliche Anklage zu verständigen. Würde eine Verbindung zwischen der Tat des Polizisten und der Herzattacke von Tomlinson bewiesen werden können, droht dem Sondereinsatzbeamten ein Verfahren wegen Totschlags.

Londons Ex-Bürgermeister Ken Livingstone (Labour), der bis zur seiner Abwahl 2008 stets die Polizei in Schutz nahm, wenn es um ihr Vorgehen bei früheren Anti-Globalisierungs-Proteste in der britischen Hauptstadt ging, schlug angesichts der Videobilder in einer Sendung von Channel Four andere Töne an. In der Vergangenheit hätten sich Polizisten deeskalierend verhalten, wenn Demonstranten so dumme Sachen wie "wenn die Polizei Gewalt will, kann sie diese haben" gesagt hätten. Nun gäbe es Polizeioffiziere, "die selbst für Gewalt zu haben sind". Der für den Vorfall verantwortliche Polizeioffizier, schlug Livingstone in die gleiche Kerbe wie Paddick, solle suspendiert und genauso behandelt werden wie gewalttätige Demonstranten.

Ian Tomlinson war am Mittwoch, dem 1. April, auf dem Weg nach Hause, als er in die Proteste gegen den G-20-Gipfel geriet und nahe der Bank of England von dem Polizisten attackiert wurde. Zeugen berichten, dass dem Vorfall mindestens ein weiterer Polizeiangriff auf den neunfachen Familienvater vorausgegangen war.

Zunächst hatten untersuchende Beamte der Polizei der City of London, in deren Zuständigkeitsbereich sich die Tat abspielte, behauptet, dass Tomlinson eines rein natürlichen Todes gestorben sei. Das aufgetauchte Videomaterial zwang den Beschwerdeausschuss jedoch dazu, der örtlichen Polizei des Londoner Finanzdistrikts die Untersuchung zu entziehen und sie nun unabhängigen Ermittlern zu übertragen.

"Verständlich, dass die Menschen von diesem tragischen Tod geschockt sind. Und das Filmmaterial ist auch wirklich beunruhigend", sagte die Sprecherin des Beschwerdeausschusses, Deborah Glass, und ordnete auch auf Geheiß der Familie Tomlinsons eine zweite Obduktion des Toten an. Nach der ersten hatte weder der Ausschuss noch die Polizei der City of London irgendeine Aussage dazu getätigt, ob Tomlinsons Körper Spuren von äußerlicher Gewalteinwirkung aufwies.

Inzwischen ist der Beschwerdeausschuss selbst wegen seines Verhaltens in den ersten Tagen nach dem Tod Tomlinsons unter massive Kritik geraten. Ausschussmitglieder hätten, so der Guardian, zunächst vor allem ihre Journalisten beschuldigt, die Familie des Toten in ihrer Trauer zu belästigen und gegenüber anderen Medien verlautbart, dass "nichts an den Gerüchten dran wäre", der Zeitungsverkäufer wäre vor seinem Herztod von Polizisten angegriffen worden. Der Ausschuss habe sich dabei völlig auf die Angaben der Polizei der City of London verlassen und darauf verzichtet, unabhängige Augenzeugen zu befragen.

Als schließlich das Video auf der Internetseite des Guardian auftauchte, erschien ein Kommissionsmitglied und ein Beamte der Polizei der City of London in der Redaktion und verlangten, dass die Sequenz aus dem Netz entfernt werden sollte, da sie die Untersuchung "gefährden" würde und der Familie nicht besonders behilflich sei.

Brian Paddick mokierte sich zudem über die Tatsache, dass die Polizei der City of London überhaupt mit der Untersuchung des Falls betraut worden sei, da doch einige ihrer Beamten selbst auf dem Videomaterial auftauchen würden."Wie kann da eine Untersuchung überhaupt unabhängig geführt werden."

Bürgerrechtsgruppen bezweifeln, dass der Unabhängige Beschwerdeausschuss der Polizei überhaupt die nötige Distanz zum Polizeiapparat besitzt, um Tomlinsons Tod im Sinne der Angehörigen aufzuklären. Das habe schon dessen zögerliches Vorgehen im Fall des Brasilianers Jean Charles des Menzenes gezeigt, der im Juli 2005 von Beamten der Metropolitan Police irrtümlich für einen Terrorverdächtigen gehalten wurde und in einer U-Bahnstation regelrecht hingerichtet wurde. Die britische Innenministerin Jacqui Smith betont dagegen, es sei wichtig, dass die Investigation des Beschwerdeausschusses schnell abgeschlossen werde. "Wenn sie die Notwendigkeit einer Anklage feststellen sollte, dann müsste diese auch erfolgen."

Die Hinterbliebenen Ian Tomlinsons dankten inzwischen ausdrücklich den Medien für deren Unterstützung, da sie nun wüssten, dass er vor seinem Tod mit der Polizei in Berührung gekommen war. Tomlinsons Stiefsohn Paul King sagte, dass Videomaterial habe die Familie sehr mitgenommen. "Wir können unseren Vater nicht zur letzten Ruhe betten", bis ihm Gerechtigkeit widerfahren ist.

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17 Kommentare

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  • IN
    Ihr Name klaus

    sicher, von einem prügelpolizisten auf einer systemkritischendemo zu schreiben ist wie vom weißen schimmel zu schreiben, aber das auch dies, auch und grade hierzulande, system hat zeigt, dass es hier immer noch keine kennzeichnungspflicht gibt und das es trotz häufiger beschwerden und anzeigen zu so gut wie keinen verurteilungen kommt.

    wer hier meint das sei so weil es "rechtstaatlich" zugeht und deshalb alles so rechtens sei, zeigt nur seine rechtsgläubigkeit und war noch nie, wie z.b. die famiele tomlinson, opfer der demokratisichernden staatsgewalt.

  • I
    Ian

    Wer verdint mehr an dieser Geschichte die Medien oder das Opfer ... ???

  • U
    Ullrik

    Ich mag die Schlagzeile nicht. Könnte so in der BILD stehen, ich galube nicht, dass das euer Ziel ist.

  • T
    Tim

    Die taz unterscheidet sich immer weniger von der BILD-Zeitung:

    Während die BILD vom gepanschten "Türken-Wodka" schreibt, spricht die taz vom "Prügel-Polizisten".

    Es ist die gleiche widerliche Machart.

  • R
    rofl

    @ Cop ähm Ulf:

    Wo sind denn die ganzen toten Polizisten?

    Hmm - komisch - irgendwie fallen immer nur die bösen Demonstranten tot um - merkwürdig wo die Polizisten doch so friedlich sind - oder?

     

    Ich kapier dein komisches Argument irgendwie sowieso nich so ganz: ermittelt werden sollte doch in BEIDEN Fällen - oder was für persönliche Rechtsansichten möchtest Du uns hier gern präsentieren?

     

    daher gibts leider nur 0/10 Trollpunkten

  • H
    Hauke

    "Prügelpolizist meldet sich"

     

    klingt wie aus dem Schlagzeil-o-maten der Bildzeitung... echt mal wieder ein neuer Taz-Tiefpunkt... (P.s.: Ich hoffe ihr glaubt nicht ernsthaft das bringt Auflage)

     

    @Ulf Klee: Troll dich.

  • K
    knurz

    ich bin auch geschockt dass man bei der polizei diese narrenfreiheit bekommt, bin da ganz cyran23s meinung. man sollte die hunderschaften stärker schulen und auffällige gleich aussortieren. trotzdem wird es immer wieder zu solchen vorfällen kommen.

  • V
    vic

    @Bildniveau:

    Wir können ihn gerne Totschläger nennen.

    @Klee

    Denk nochmal drüber nach, was du hier schreibst..

  • M
    maya

    Dass Polizisten maskiert ohne Kennung eingesetzt werden spricht Bände, was deren Aufgabe ist. Gleiches passiert auch oft genug in Deutschland, zum Glück meist ohne Todesfolge. Aber es darf sich niemand wundern, dass angesichts solcher Vorfälle samt Vertuschungsversuche selbst sonst friedliche Demonstranten in eine Hass-Stimmung geraten. Geht gar nicht.

  • CG
    Chris Gent

    Zustimmend muss ich sagen, dass ich investigativen, kritischen Journalismus sehr begrüße, aber ein Ausdruck wie "Prügelpolizist" gehört in den Boulevard. Und von solchen Vorverurteilugen sollte man lieber Abstand nehmen.

  • W
    w.-g.esders

    auf der seite der city of london findet man durchaus email-adressen, die in direktem bezug zu den massnahmen der dortigen behoerden stehen. vorschlaege zur weiterbehandlung des themas sind dort vielleicht angebracht.

  • E
    egal

    bild im taz-design?

  • AP
    Adam Potock

    Hat man auch die Identität der Steinewerfer festgestellt, die den Polizei Sanitäter behindert haben und dadurch dem Opfer nicht geholfen werden konnte?

     

    Oder konzentriert man sich wider mal auf die Polizei und alles andere wird ausgeblendet?

  • C
    Cyran23

    Meines Wissens war Joschka Fischer zum Zeitpunkt seines Steinwurfes kein Repräsentant der öffentlichen Ordnung. Ein Polizist muss mit gutem Beispiel vorangehen, das ist sein nunmal sein Job.

  • KK
    Kater Karlo

    Ach Ulf, das is jetzt so platt da fällt mir nix mehr ein. Schreib lieber Kommentare bei der Bild.

    Ich fand den Artikel in Ordnung, das Polizisten prügeln kann nur die Leute verblüffen die noch nie gegen irgendwas demonstriert haben.

  • B
    Bildniveau

    So Aussprüche wie "Prügelpolizist" sind ansonsten doch eher woanders zu finden...

     

    Ich finde es gut davon zu berichten, aber doch bitte auf einem anderen Niveau!

  • UK
    Ulf Klee

    Hat die TAZ auch so ausführlich die Steinwurfattacken gegen Polzisten durch Joschka Fischer kommentiert?