Kommentar Theresa Mays Niederlage: Irreale Erwartungen
Im Londoner Streit um die Brexit-Vereinbarung geht es nicht um die politische Substanz. Gut, dass ein gewähltes Parlament dabei nun das Sagen hat.
D ie Aufgeregtheiten über den Brexit werden zunehmend irreal. Von „Chaos“ in London sprechen jetzt manche Beobachter auf europäischer Seite und ziehen wieder einmal die Ernsthaftigkeit der britischen Seite infrage – weil Premierministerin Theresa May erstmals bei den Brexit-Beratungen im britischen Parlament eine Niederlage erlitten hat. Brave EU-Regierungen erleiden natürlich nie parlamentarische Niederlagen.
Und wie immer wird von denen, die den Brexit schon immer unsinnig fanden, das Ende des Brexit und das Ende der Regierung May herbeifantasiert. Letzte Woche musste für dieses Wunschdenken die irische Grenze herhalten, diese Woche sind es die fraktionsinternen Abweichler bei den Konservativen. Mal sehen, welche Säue noch alles durch das mediale Brexit-Spekulationsdorf getrieben werden.
Was genau ist passiert? Rebellierende konservative Abgeordnete im Unterhaus haben per Änderungsantrag zum britischen Brexit-Gesetz durchgesetzt, dass das Inkrafttreten einer wie auch immer gearteten Brexit-Vereinbarung zwischen Großbritannien und der EU von einer vorherigen Bestätigung seitens des Parlaments abhängt.
Wohlgemerkt: es geht um das Inkrafttreten der Brexit-Vereinbarung, nicht um den Brexit selbst. Die Abgeordneten werden die Wahl zwischen einem Brexit mit Vereinbarung und einem ohne haben. Gleiches gilt schon längst für das Europaparlament, das das Abkommen ebenfalls absegnen muss. Die Möglichkeit, den Brexit ganz abzusagen, haben die Parlamentarier weder in London noch in Brüssel.
Kurios an der Geschichte: Die Regierung May hat schon vor vier Wochen angekündigt, dass es ein solches Parlamentsvotum geben wird – nur damit nämlich erlangt eine Austrittsvereinbarung zwischen London und Brüssel auch Gesetzeskraft. Es ging und geht also bei dem politischen Streit überhaupt nicht um die Substanz. Es geht lediglich darum, wer die Hoheit über den Ausstiegsprozess hat. Und wenn die gewählten Parlamente selbstbewusst agieren, ist das für alle Seiten gut.
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