Kommentar Terrorcamp-Gesetz: Das Netz des Terrorverdachts
Urlaub in Pakistan wird sehr gefährlich. Das Terrorcamp-Gesetz macht alle, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren zu potentiellen Häftlingen.
U rlaub in Pakistan kann seit Donnerstag sehr gefährlich werden. Nicht nur, weil einem vor Ort eventuell Ungemach droht, sondern weil man bei der Rückkehr Gefahr läuft, vom Flughafen geradewegs in die Untersuchungshaft gefahren zu werden.
Jürgen Gottschlich ist Türkei-Korrespondent der taz.
Insbesondere Deutsche muslimischen Glaubens müssen damit rechnen, bei manchen Urlaubsdestinationen in Verdacht zu geraten, man habe daselbst eine Ausbildung in einem "Terrorcamp" absolviert - was nun per Beschluss des Bundestages mit sechs Monaten bis hin zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden kann.
Zu dem wenigen, was wir über die Häftlinge in Guantánamo wissen, gehört, dass ihr Verbrechen häufig darin bestand, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein. Das reichte oft, um von CIA-Greiftrupps geschnappt zu werden und in Guantánamo zu landen.
Was Obama in den USA nun mühsam wieder zurechtzurücken versucht, wird hierzulande zu einem förmlichen Straftatbestand. Allerdings muss für eine Verurteilung auch der Vorsatz bestanden haben, eine terroristische Tat begehen zu wollen - nur weiß man aus der Erfahrung solcher Politprozesse, dass letztlich nicht der Staatsanwalt einen Vorsatz beweisen muss, sondern umgekehrt der Verdächtige den Beweis seiner Unschuld führen soll.
Das Gesetz zu den Terrorcamps ist mithin eine weitere Schlinge in dem immer dichter werdenden Netz "antiterroristischer Sicherheitsmaßnahmen", das Deutschland heute bereits wesentlich engmaschiger überzieht, als man sich das in den 70er- und 80er-Jahren vorstellen konnte.
Wohnungen abhören, Computer durchsuchen, Zeugnisverweigerungsrechte aufheben: das alles kann zu einem De-facto-Polizeistaat führen, über den sich aber kaum jemand aufregt. Schließlich ist man in der deutschen Mehrheitsgesellschaft weder muslimisch noch macht man Urlaub in Pakistan.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt