piwik no script img

Kommentar Terroranschlag in NigeriaOpfer zweiter Klasse

Kommentar von Katrin Gänsler

Der Anschlag in Abuja zeigt, dass sich der islamistische Terrorismus nicht allein mit militärischen oder polizeilichen Mitteln bekämpfen lässt.

Beim Anschlag in Abuja zerstörte Fahrzeuge. Bild: reuters

Z wei explodierte Bomben auf dem Busbahnhof am Stadtrand der nigerianischen Hauptstadt Abuja haben es geschafft: Präsident Goodluck Jonathan ist aufgeschreckt. Nur gut drei Stunden nach der Explosion ließ er durch seinen Sprecher verkünden, dass die Sicherheitsmaßnahmen in Abuja verschärft werden sollen. Die Sicherheitsdienste sind seitdem in größter Alarmbereitschaft.

Es ist schließlich die Hauptstadt, das Zentrum von Politik und Macht, und nicht irgendein entlegenes Dorf im Norden. Dabei sind in ländlichen Regionen allein in den vergangenen zwei Wochen mehrere hundert Menschen durch Anschläge – als Drahtzieher gilt die islamistische Terrorgruppe Boko Haram – ums Leben gekommen.

Blutige Auseinandersetzungen zwischen Viehzüchtern und sesshaften Bauern sind ebenfalls an der Tagesordnung. Doch all das scheint die Zentralregierung zu ignorieren. Beileidsbekundungen für Hinterbliebene bleiben aus, ebenso die Aufforderung an die Krankenhäuser, das Bestmögliche bei der Behandlung der Verletzten zu tun. Das schafft eine Zweiklassengesellschaft.

Es zeigt aber auch noch etwas anderes: Offenbar glaubt die Regierung selbst nicht mehr daran, den Kampf gegen Terroristen im Norden noch gewinnen zu können. Von großen Erfolgen hört schon seit Monaten niemand mehr. Tatsächlich verbessert hatte sich die Sicherheitslage im vergangenen Jahr nur kurzfristig. Jetzt scheint es, als ob die Kämpfer von Boko Haram Anschlag um Anschlag wieder Land gewinnen.

Damit behalten jene recht, die von Anfang an kritisiert haben: Militärschläge allein können gegen den Terrorismus wenig ausrichten. Stattdessen braucht das Land endlich ein Konzept für Entwicklung, Bildung und soziale Gerechtigkeit. Doch darüber spricht in Abuja mal wieder niemand.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Westafrika-Korrespondentin
Nach dem Abitur im Münsterland bereiste sie zum ersten Mal Südafrika und studierte anschließend in Leipzig, Helsinki und Kopenhagen Journalistik und Afrikanistik. Nach mehreren Jahren im beschaulichen Schleswig-Holstein ging sie 2010 nach Nigeria und Benin. Seitdem berichtet sie aus ganz Westafrika – besonders gerne über gesellschaftliche Entwicklungen und all das, was im weitesten Sinne mit Religion zu tun hat.
Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Mit seinem immensen Ölreichtum könnte das wohl mächtigste Land Westafrikas ein Musterbeispiel für die gesamte Region sein – ein Vorbild für wirtschaftlichen Aufschwung für viele, für allgemeine, gehobene Bildungsstandards und eine Demokratisierung, die dem wackeligen Formalgerüst der nigerianischen „Demokratie“ Leben einhauchen und dem religiösen Fundamentalismus viel Wasser abgraben könnte ...

     

    Aber an der Bevölkerung geht dieser Reichtum und der daraus resultierende Wirtschaftsaufschwung beinahe komplett vorbei: Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt weiterhin in extremer Armut (unter 1 US-Dollar pro Tag), die Arbeitslosigkeit ist hoch, der Zustand des Schulwesens katastrophal. Nur etwa die Hälfte aller Kinder im Schulalter besucht überhaupt eine Schule - und nur an wenigen öffentlichen Schulen wird überhaupt angemessener Unterricht erteilt. Die Analphabet_innenquote ist dementsprechend hoch. In diese Bildungslücke stoßen insbesondere im wirtschaftlich und politisch abgehängten, mehrheitlich muslimischen Norden des Landes Koranschulen – auch solche, die der wahhabitischen Boko Haram neuen Nachwuchs bescheren dürften.

     

    Die Ölmilliarden dagegen versanden in einem Sumpf aus Korruption, an dessen Spitze der politische und militärische Führungskomplex und mit ihm eng verbandelte, einflussreiche mafiöse Netzwerke aus dem vollen Schöpfen. Und in diesen Kreisen hat man kein echtes Interesse daran, dass Boko Haram seinen Glaubenskrieg verliert. Denn mit dem Anti-Terror-Krieg lässt sich kräftig Geld verdienen.

    • D
      D.J.
      @Der Sizilianer:

      Ja, schön wär's, wenn Ölreichttum religiösen Wahn schwächen würde. Im Gegenteil. Er macht ihn erst einmal wirkmächtig. Saudi-Arabien, und Qatar nur mal als Beispiele.

      • @D.J.:

        Hallo D.J.,

         

        Automatismen gibt es selbstverständlich nicht. Aber Nigeria hat ja durchaus eine bessere Ausgangssituation für eine tiefergehende Demokratisierung der Gesellschaft als die wahhabitischen Golfmonarchien das jemals hatten.

         

        Soweit ich weiß hat der Wahhabismus in Nigeria bislang keine allzu große Basis innerhalb der Bevölkerung. Und um Boko Haram und ihr Unterstützungsnetzwerk innerhalb der nigerianischen Gesellschaft weiter zu isolieren sowie die nigerianische Gesellschaft - religiös, ethnisch, sozial - im Gleichgewicht zu halten braucht es denke ich demokratischen Fortschritt, von dem viele Menschen profitieren und der die massive Korruption weitgehend in den Griff bekommt. Und für den wiederum braucht es einen völlig anderen Umgang mit dem vorhandenen wirtschaftlichen Reichtum.

         

        Ohne Polizei und Militär wird es ganz gewiss nicht gehen. Aber sie allein werden das Problem des militanten Wahhabismus definitiv nicht lösen können. Zumal man begründet vermuten darf, dass Länder wie Saudi Arabien oder Katar Boko Haram über Umwege mitfinanzieren – Geld also niemals ein Problem darstellen wird.

    • @Der Sizilianer:

      Die Strategie von Boko Haram dürfte es sein, das Land destabilisieren und in einen religiösen oder multi-ethnischen Bürgerkrieg treiben zu wollen – in der Hoffnung, aus dem Chaos einen islamistischen Gottesstaat wahhabitischer Prägung erschaffen zu können. Dafür töten sie Christ_innen UND Muslime. Und es sieht für mich so aus, als könnte sie zumindest mit ihrem Ziel, einen Bürgerkrieg mit zu entfachen, tatsächlich irgendwann Erfolg haben. Mit allen fürchterlichen Konsequenzen für Nigeria und für die Region Westafrika …

       

      … wenn es nicht gelingt, die Ölmilliarden zu demokratisieren und den Korruptionssumpf weitgehend trockenzulegen ...

  • A
    ama.dablam

    Wenn ich richtig informiert wurde, bekämpft Boko Haram vor allem 'Bildung'.