Kommentar Synthetische Lebewesen: Naive Allmachtsfantasien
Craig Venter will künstliche Bakterien produzieren. Die damit einhergehenden Heilsversprechungen erinnern an die Atom-Euphorie.
D ie Erfüllung des uralten Männertraums, künstlich Leben herzustellen, scheint einen großen Schritt voranzukommen. Erstmals hat der US-Forscher und Geschäftsmann Craig Venter Erbgutabschnitte chemisch nachgebaut. Das so entstandene Genom ist zwar an sich noch nicht lebensfähig. Doch erklärtes Ziel ist es, aus mehreren derartigen Bausätzen künstliche Bakterien zu produzieren.
In der Gentech-Szene herrscht Aufbruchstimmung. Erst in der vergangenen Woche machte die Meldung vom ersten erfolgreichen Klonembryo die Runde, nun scheint der synthetischen Biologie der Durchbruch gelungen zu sein. Die damit einhergehenden Heilsversprechen erinnern an die Atom-Euphorie Mitte des vergangenen Jahrhunderts. So wie damals alle Energieprobleme der Menschheit für gelöst erklärt wurden, sollen die künstlichen Bakterien nun als Retter in der Not dienen. Sie werden giftige Abfälle auffressen, Treibhausgase sicher binden und neue Kraftstoffe herstellen, so die vollmundig formulierten Hoffnungen der Forscher und Wissenschaftler.
Nicht unwahrscheinlich, dass sich auch Milliarden und Abermilliarden von Dollar mit dieser Technik verdienen lassen: schon allein, weil viele Staaten riesige Summen in die Forschung pumpen. Doch ebenso sicher ist, dass die Biotechnologie unabsehbare Nebenwirkungen mit sich bringen wird - so war es zuvor schon bei der Chemie- und Atomtechnik. Nicht nur werden ganz neue Waffensysteme entstehen. Die Biotech-Entwicklungen sollen auch all die Probleme beseitigen, die die letzten Technikrevolutionen verursacht haben.
Absehbar ist, dass dadurch mindestens ebenso große neue Gefahren drohen. Indem der Mensch das Leben selbst zu manipulieren beginnt, nimmt er es mit einem ihm weitgehend unbekannten Gegenüber auf. In jeder Schaufel Erde befinden sich Milliarden von Organismen; den größten Teil von ihnen kennt bisher niemand. Das Leben wird anders reagieren, als sich Forscher wie Craig Venter das heute vorstellen. Mit den Folgen ihrer Allmachtsfantasien müssen sich dann wieder künftige Generationen herumschlagen.
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