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Kommentar Stuttgart als grüne ZukunftSozialökologisches Vorbild für Berlin

Peter Unfried
Peter Unfried
Kommentar von Peter Unfried und Peter Unfried

Winfried Kretschmann und Fritz Kuhn haben den Begriff „bürgerlich“ neu besetzt. Sie haben das Bürgertum mit sozialökologischen Werten infiltriert.

Braver Dank an die Wähler von einem, der sich nicht nur opportunistisch dem Bürgertum angepasst hat. Bild: dpa

I m Grunde gibt es zwei Arten, die Welt zu betrachten. Erstens: So kann es nicht weitergehen. Zweitens: So könnte es weitergehen. Ein Teil der Gesellschaft in der Nachkriegsbundesrepublik wurde kulturell-politisch geprägt von ersterem Gefühl. Dementsprechend fungierten und funktionierten die Grünen in ihrer ersten Phase als Orientierungspartei des politisch-moralischen Imperativs: So nicht! War auch wichtig und ist es immer noch, die Gesellschaft herauszufordern. Hat aber auch etwas Unpolitisches, zu sagen: Wir warten, bis es endlich alle begriffen haben. Und wer sich von uns rührt, verrät die gute Sache.

Wenn man tatsächlich in die Lage kommen will, gestaltend und führend etwas zu verändern, eine Landeshauptstadt, eine Industrieregion, eine Art des Regierens und vielleicht sogar zu eigenen Lebzeiten dieses Land, dann könnte man diejenigen, die es vormachen, nicht nur am Wahlabend umarmen – sondern ernst nehmen. Und vor allem jene gesellschaftliche Veränderung, die diese Politiker mit initiiert haben und auf deren Grundlage sie nun Politik machen.

Die Grünen in Baden-Württemberg haben sich eben nicht nur opportunistisch dem Bürgertum angepasst. Sie haben auch das sich biologisch und kulturell verändernde Bürgertum des Landes sozialökologischen Werten angepasst. Das ist ein feiner und doch fundamentaler Unterschied.

Bild: Marco Limberg
Peter Unfried

ist Chefreporter der taz. Regelmäßig beobachtet er vor Ort im Ländle die Entwicklung des neuen Baden-Württemberg und der Stuttgarter Republik.

Nun gibt es Leute, die sich die Protagonisten anschauen, also Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Stuttgarts neuen OB Fritz Kuhn, Tübingens OB Boris Palmer, Freiburgs OB Dieter Salomon oder den Umweltminister und Energiewendemanager Franz Untersteller, und dann sagen: Alles angepasste, bürgerliche Spießer, die auch in der CDU sein könnten. Und noch dazu keine Frauen. Wo soll da der Fortschritt sein?

Vertrauen ist der Schlüssel

Nun, es hilft, das Personal von CDU und SPD im Land zu kennen. Und vom Fehlen der Protagonistinnen abgesehen: Vielleicht ist dieses Denken auch in Begrifflichkeiten und Schablonen aus der bundesrepublikanischen Steinzeit gefangen. Vor allem verpasst es einen entscheidenden Punkt: Vertrauen. Die Leute vertrauen Kretschmann. Nicht weil er ein Grüner ist, sondern weil er Kretschmann ist. Man nimmt ihm seine biografisch-politische Entwicklung vom KBW in die Villa Reitzenstein genauso ab wie seine Frömmelei und manche durchaus ungewöhnlich progressive politische Position. Kretschmann ist nicht der grüne Ministerpräsident, er ist der Ministerpräsident. Und Kuhn wird nicht der grüne Oberbürgermeister sein, sondern der Stuttgarter OB.

Beide sind Vertreter eines sanften Wegs. Diese Normalisierung von grüner Führung ging deshalb so schnell, weil die baden-württembergischen Pioniere Hasenclever, Schlauch, Kuhn und Kretschmann das klassisch-konservative Bürgertum des Landes eben nicht durch Säuberungsaktionen loswerden wollten wie richtige Linke, sondern durch Infiltration des Bürgertums mit grünen Werten die Hegemonie übernahmen. Auch am rückständigsten Stammtisch, von dem der Landes-CDU jetzt mal abgesehen, sind die alten Phobien passé.

Die altbürgerliche Macht zerlegt sich selber

Geholfen hat auch, dass Salomon und Palmer seit Jahren ihre Städte ordentlich regieren. Und selbstverständlich, dass die altbürgerliche Macht sich weiter selbst zerlegt. In den „urbanen“ Stadtteilen Stuttgarts holte der nach eigenen Worten „wertkonservative“ Kuhn zwei Drittel der Stimmen. Hätte der CDU-Kandidat in den beiden Arbeiterbezirken nicht noch Teile der antigrünen SPD-Wähler mobilisiert, wäre er noch weiter abgehängt worden.

Das zeigt auch, dass es sich um alles andere als einen grün-roten „Lager“-Sieg handelt. Nun folgt aber die Parteilogik nicht der gesellschaftlichen Realität. Sonst würden die Grünen-Partei-Mitglieder bei der Urwahl der Spitzenkandidaten womöglich Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt wählen. Aber Özdemir tritt bei dieser Wahl wohlweislich gar nicht erst an. Dafür will er baden-württembergischer Spitzenkandidat im Bundestagswahlkampf werden. Der linke Flügel der Landes-Grünen will allerdings Kampfkandidaturen um beide Spitzenpositionen.

Das klingt nicht danach, als würde man das eigene Erfolgsrezept anerkennen, um mit dem möglichen Superergebnis im Land der CDU-Kanzlerin Angela Merkel die Macht im Bund abzujagen. Man könnte auch Schlüsse aus dem Konstanzer Debakel ziehen, als eine linke Grüne das Erfolgsmodell Öko plus Bürger einem CDUler überließ – und damit auch den OB-Posten. Doch dafür darf man den Begriff „bürgerlich“ nicht als etwas aus der Niedergangskategorie „So nicht!“ ablehnen. Sondern muss ihn selbstbewusst neu besetzen.

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Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried
Peter Unfried
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8 Kommentare

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  • R
    reblek

    "Sie haben auch das sich biologisch und kulturell verändernde Bürgertum des Landes sozialökologischen Werten angepasst." - Das Bürgertum Baden-Württembergs hat sich "biologisch" verändert? Und hat jetzt vier Ohren, um zu hören, und vier Augen, um zu sehen?

    "Beide sind Vertreter eines sanften Wegs." - Ach, dann waren das die beiden, die gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Serbien und gegen ALG II (landläufig nach einem Freund von Schröder und verurteilten Straftäter benannt) votiert haben.

  • RS
    Richard St.

    Der Stuttgarter Speckgürtel - alle edlen Stadtbezirke - haben den Grünen Kuhn mit Mehrheit gewählt. Nur die dörflich orientierten "Stadt"teile Untertürkheim, Obertürkheim, Hedelfingen oder Stammheim blieben der CDU erhalten. Das heißt deutlich: LÄNGST BEI DEN STAMMWÄHLERN DER CDU SIND DIE GRÜNEN ANGEKOMMEN !!!

  • KK
    Karl K

    von reblek:

     

    "… Nicht nur opportunistisch? Wie denn noch?…"

     

    seien wir gnädig: es ist nur das Ringen, der Krampf mit der deutschen Sprache!

     

    Aber. Wahr - ist es eh' allemal.

    Dieses unausrottbare ' unbedingt Dazugehörenwollen!'

  • R
    reblek

    Bildunterschrift: "Braver Dank an die Wähler von einem, der sich nicht nur opportunistisch dem Bürgertum angepasst hat." - Nicht nur opportunistisch? Wie denn noch?

  • P
    PeterWolf

    Das Ergebnis der grünen Spitzenkandidatenurwahl lautet übrigens Trittin/Göring-Eckardt.

    Ist aber keine Wahlfälschung, sondern echt!

  • P
    PeterWolf

    Lieber Peter Unfried,

    prinzipiell sind wir völlig einig, aber:

     

    "Sonst würden die Grünen-Partei-Mitglieder bei der Urwahl der Spitzenkandidaten womöglich Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt wählen"

     

    Soll das eine Präferenz zu Cem Özdemir als Vertreter des grünen Pragmatikerflügels gegenüber Jürgen Trittin als "Fundamentalist" ausdrücken?

     

    Das wäre allerdings völlig daneben, die ex KBWler sind faktisch die pragmatischsten von allen. Vgl. "Kretschmann".

     

    Muss man aber weder Fritz noch Erwin ver"teufeln"!

  • PA
    pre- and ...

    Diese Figuren machen aus der ehemaligen linken und bürgerrechtspartei einen spießigen verbotsverein, der alles regulieren will und uns mit seinem ökoterror belästigen will. diese grünen braucht kein mensch und dass sie gerade in bawü so gewinnen überrascht nördlich des spätzleäquators auch niemanden.

  • Y
    yberg

    hätten in stuttgart ein paar autos gebrannt,die lokale presse den untergang ausgerufen und der unterlegene kandidat noch dreister dazu die falschen worte gefunden gäbs für sie im obigen sinne nix zu schreiben.

     

    dann hättte auch der mappusmalus nx retten können

     

    das is es ,was mich ihre analyse und begeisterung nicht teilen läßt

     

    im übrigen bleibt auch stuttgart mit nem grünen bürgermeister " konzernlich " das walte der mammon