Kommentar Stuttgart 21: Radikale Ignoranz
Das Mantra in der Stuttgarter Presse: Die Schwaben dürften sich nicht gemein machen mit Radikalen, Autonomen und Chaoten. Das Problem ist nur: Die gibt es in Stuttgart gar nicht.
V orsicht, Leute, im Ländle droht der Volksaufstand, und die Chaoten wetzen schon die Messer. Mit diesen Warnungen ist eine erschrockene Politkaste von Konservativen, Bild-Zeitung und Lokalpresse darum bemüht, sich gegen die zunehmenden Bürgerproteste auf Stuttgarts Straßen zur Wehr zu setzen. Ihr Mantra: Die Schwaben dürften sich nicht gemein machen mit Radikalen, Autonomen und Chaoten. Das Problem ist nur: Die gibt es in Stuttgart gar nicht.
Wer sich in Stuttgart auf die Suche nach dem Schwarzen Block macht, stößt auf ein paar AntifaschistInnen, AntikapitalistInnen, SozialistInnen. Doch alles, was einen Schwarzen Block definiert - formiertes Auftreten, autonome Subversion, vermummte Militanz -, sucht man in der Hauptstadt der Biedermeier vergebens. Tatsache ist: Die Bürgerinnen und Bürger selbst werden immer entschlossener. Sie ziehen in Erwägung, sich auf Sitzblockaden einzulassen und sich an Bäume zu ketten. Wer diesen bürgerlichen zivilen Ungehorsam mit radikalem Chaotentum verwechselt, hat nicht nur keine Ahnung, sondern begibt sich auch in die Gefahr politischen Realitätsverlustes.
Weil sie selbst keinen Kompromiss eingehen will, baut diese Radikalisierungspolitik auf die Delegitimation des Gegenübers. Die Strategie ist nicht neu. Doch nirgends wird ihre Paradoxie deutlicher als derzeit in Baden-Württemberg, wo Bürgerinnen und Bürger aller Milieus tagtäglich aufs Neue ihr Konzept von Gewaltfreiheit beweisen.
Martin Kaul ist Bewegungsredakteur der taz.
Das heißt übrigens durchaus, dass sämtliche Mittel des zivilen Ungehorsams legitim sind. Ziviler Ungehorsam, das sagt schon der Begriff, lebt naturgemäß von seinem friedlichen Charakter. Umso mehr, wenn er von allen getragen wird.
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