Kommentar Stuttgart 21: Stresstest für den Protest
Das Dilemma der Grünen ist, dass es wohl keine bessere Lösung gibt, als die Schlichtung als Erfolg zu verkaufen, gleichzeitig aber weiter für den Kopfbahnhof einzustehen.
D as letzte Wort im Streit über Stuttgart 21 ist noch nicht gesprochen. Bahn und Landesregierung müssen jetzt erst recht beweisen, was ihr Bahnhof kann und wie sie die nötigen Verbesserungen finanzieren wollen. Doch auch die Gegnerinnen und Gegner müssen jetzt liefern. Wie von selbst gehen auch ihr Protest und der Höhenflug in den Umfrageergebnissen nicht weiter.
Anhand der Demonstration vom vergangenen Wochenende kann noch nicht bewertet werden, wie es mit der Bewegung gegen den Tiefbahnhof weitergeht. Lediglich eine Gruppe des Aktionsbündnisses hatte zu diesem Protest aufgerufen. Der eigentliche Stresstest folgt am kommenden Samstag, für den alle gemeinsam zur Großdemonstration aufrufen.
Die Projektgegner schwören sich untereinander auf den Samstag ein. Denn sie wissen, dieser Tag zählt. Dass im Advent bei eisigen Temperaturen an die 70.000 oder 80.000 - wie im Spätsommer - kommen, kann nicht erwartet werden. Doch eine beachtliche Marke, die mindestens an 30.000 heranreicht, müssten die Veranstalter schon setzen.
Nadine Michel ist taz-Korrespondentin und berichtet aus Baden-Württemberg.
Ansonsten besteht die Gefahr, dass sich das Bild von einem Meinungsumschwung festsetzt. Schon in aktuellen Umfragen haben die Befürworter des Tiefbahnhofs wieder die Oberhand gewonnen. Setzt sich der Trend fort, wird in Kombination mit dem Schlichterspruch für ein "Stuttgart 21 plus" bald nur noch der harte Kern des Protests zu mobilisieren sein.
Auch die Partei der Grünen steckt in der Zwickmühle. Zwar ist der Ausgang der Landtagswahl noch völlig offen, doch die CDU holte zuletzt wieder auf, die Grünen stagnieren. Und die grüne Haltung lässt sich nun mal nicht in einer schlichten Formel verpacken.
Das zeigen Cem Özdemirs missverständliche Aussagen auf dem Landesparteitag am Samstag. Das Dilemma der Grünen ist, dass es wohl keine bessere Lösung gibt, als die Schlichtung als Erfolg zu verkaufen, gleichzeitig aber weiter für den Kopfbahnhof einzustehen. Das zu verkaufen wird ein Drahtseilakt.
Schon jetzt haben einige Bürger angesichts des Schlichterspruchs das Gefühl, dass der Protest ohnehin nichts bringt. Was wollen die Grünen noch anstellen?, werden sie fragen. Bleibt der große Protest aus und gewinnt die CDU weiterhin dazu, wäre die Hoffnung, dass die Proteste gegen den Tiefbahnhof am Ende zum Erfolg führen, schnell verloren.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin