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Kommentar Stuttgart 21Die Konfrontation in Stuttgart bleibt

Kommentar von Christian Semler

Das Ergebnis der Volksabstimmung zu S21 wird dafür sorgen, der Konfrontation die Unerbittlichkeit zu nehmen. Aber die Konfrontation selbst bleibt.

Wir werden jetzt umschalten von kritisch-ablehnend zu kritisch-konstruktiv", so Ministerpräsident Winfried Kretschmann nach der klaren Niederlage bei der Volksabstimmung zu Stuttgart 21. Bei ihm heißt "kritisch-konstruktiv", dass er als "Begleiter" ein scharfes Auge auf die Kostenentwicklung bei der Realisierung des Bahnhofsprojekts werfen will. Also: Kein Cent mehr Landesbeteiligung für Stuttgart 21 als bisher geplant.

Ist mit dem klaren Ergebnis der Volksabstimmung der Rechtsfrieden gesichert, den Heiner Geißler in seinem Schlichtungsversuch beschworen hatte? Stimmt es, dass die Gegner von Stuttgart 21 undemokratisch handeln, wenn sie das Ergebnis der Abstimmung nicht anerkennen?

Sicher wird dieses Ergebnis dafür sorgen, der Konfrontation die Unerbittlichkeit zu nehmen, die sie in der letzten Phase gekennzeichnet hat. Aber die Konfrontation selbst bleibt, Bahnchef Grube wird sein Projekt durchziehen und seine Gegner werden von ihren gut begründeten Positionen nicht abrücken. Sie werden sicher weiterargumentieren, weiterdemonstrieren, auch zu den Mitteln des zivilen Widerstands greifen. Denn dieser Widerstand richtet sich auch und gerade gegen Maßnahmen und Gesetze, die auf demokratischem Weg zustande gekommen sind, die aber von einer Minderheit aus ethisch nachvollziehbaren Gründen abgelehnt werden.

ist Autor der taz.

Die Volksabstimmung selbst ist trotz der Abstimmungsniederlage ein großer Schritt nach vorn in der Verwurzelung demokratischer Verfahrensweisen. Sie zeigt, dass trotz schriller Begleitmusik die Abstimmenden sich in ihrem Pro und Kontra von rationalen Erwartungen oder Befürchtungen leiten ließen, selbst wenn das Ergebnis vielen von uns nicht gefällt. Die Behauptung, dass ein reicher Reaktionär, wie im Fall des Schweizer Milliardärs Blocher geschehen, sich auch bei uns jederzeit eine Volksabstimmung durch das Schüren irrationaler Ängste quasi kaufen könne, entbehrt der Substanz.

Nichts spricht dafür, dass Volksabstimmungen stets angeheizten Emotionen und niemals der Vernunft folgen. Wer so denkt, misstraut im Grunde jedem direkten Ausdruck einer Volkssouveränität. Zweifellos wird die Stuttgarter Abstimmung die Diskussion über künftige Formen der partizipativen Demokratie begünstigen. Ein solches Ergebnis wäre gerade im Interesse der Linken.

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10 Kommentare

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  • G
    gell

    "Die Behauptung, dass ein reicher Reaktionär, wie im Fall des Schweizer Milliardärs Blocher geschehen, sich auch bei uns jederzeit eine Volksabstimmung durch das Schüren irrationaler Ängste quasi kaufen könne, entbehrt der Substanz."

     

    Gell, Herr Semler, Sie vergessen auch nicht, das der Kollegin Anna Lehmann zu erklären?

    Die hält das nämlich für ausgemacht und nicht nur sie. In den Augen vieler Linker ist das die korrekte und einzige Erklärung dafür, dass der Hamburger Entscheid "Wir wolln lernen" ein voller Erfolg wurde.

  • 2
    2idane

    "Ziviler Widerstand" gegen "Maßnahmen und Gesetze, die auf demokratischem Weg zustande gekommen sind, die aber von einer Minderheit aus ethisch nachvollziehbaren Gründen abgelehnt werden."

    .

    Wow - geht's noch? Welche höhere Ethik wird denn hier gegen die Demokratie in Stellung gebracht? Wer entscheidet denn über die jeweilige "Nachvollziehbarkeit" dieser Ethik? Die Majestät des je betroffenen Wutbürgers höchstderoselbst?

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    Weiter argumentieren, demonstrieren - alles gebongt. Aber "ziviler Widerstand", also Blockaden, Anketten etc.? Semler hantiert hier fahrlässig mit Versatzstücken des Legalitäts-/Legitimitäts-Diskurses seligen Angedenkens. Dagegen wäre es höchste Zeit, aus dieser hysterisierten Debatte ein wenig die Luft rauszulassen.

    .

    Geht es hier um ein AKW, dass unsere Nachkommen noch jahrtausendelang mit seiner strahlenden Hinterlassenschaft belasten wird? Oder wenigstens um einen Großflughafen, der gnadenlos in ein geschütztes Biotop geknallt wird? Nein, es geht um einen neuen Bahnhof.

    .

    Bislang stand das Bahnfahren - auch in ökologischen Kreisen - nicht im Ruch einer ethisch zutiefst abzulehnenden Betätigung. Wenn sich das nun ändert und "Widerstand" dagegen höhere Weihen einer taz-Ethik erhält - dann gute Nacht. Dann ist nicht einzusehen, warum nicht demnächst auch jede Anwohnerinitiative gegen Windräder oder neue Trassen für Ökostrom mit bestem Gewissen zum aktiven Widerstand greifen sollte - im Sinne überdemokratischer Ethik, versteht sich. Also: Cool down, please.

  • T
    Tauber

    Es bietet sich das gleiche Bild, wie nach der Schlichtung: Anstatt sich auf normale Art zu freuen, was doch O.K. wäre, sehen wir überschnappend-hysterisches Triumphgebrüll und losgelassene Wutpredigten von Haßbürgern.

     

    Ich lese in den Foren lustige Dinge wie: "Darf man eigentlich im Wege der Nothilfe für die Bahn die Parkschützer jetzt selber von den Bäumen holen?" und, dass das Abstimmungsergebnis die "Lizenz zum Wegspitzen" sei. Dass die per Wasserwerfer weggespritzten Augen eines Demonstranten in Befürworterkreisen mit Häme befürwortet werden, war allerdings bereits bekannt.

     

    Diese kleinen Möchtegern-Breiviks werden, und wenn sie zerspringen, jedoch damit leben müssen, dass die Probleme von S21 nicht zuende sind, sondern gerade erst beginnen.

     

    Grube weiß das. Wenn er den 4,5-Mrd.-Deckel, den er bis zur Abstimmung jahrelang mit mächtigen Schwurworten als verbindlich darstellte, nunmehr plötzlich als "unprofessionell" bezeichnet, dann sehe ich die Panik in seinen Augen.

    Und das zaubert wiederum mir ein Grinsen ins Gesicht.

  • G
    GIJakob

    Schon toll, was sich hier wieder so tummelt - wir "linken Ökopaxe" widmen euren reaktionären Käseblättern nicht halb so viel Aufmerksamkeit, wie ihr sie der taz schenkt. Es wäre doch nicht nötig gewesen...

  • S
    spin

    Bei Kommentaren wie von "Stoppt linke Antidemokraten!" dreht sich mir der Magen rum. Semmlers berechtigtes "weiterargumentieren, weiterdemonstrieren, auch zu den Mitteln des zivilen Widerstands greifen" werden da zu Unzumutbarkeiten hochstilisiert, ein ohnehin fälliger Kostendeckel wird zu antidemokratischer Interevntion hochgejazzt.

    Und wer protestiert, ist bei solchen Ideologiechaoten nicht mehr nur "linker Gutmensch" - diese inhaltsleere Hetzparole ist man ja seit Jahren gewohnt - sondern stilisiere sich gar zum "Herrenmenschen". Und das nur, weil manche finden, dass Mehrheiten nicht immer auch gleich schon bessere Argumente haben.

    Kann es sein, dass die S 21-Abstimmung den Reaktionären des Landes Anlass zum antilinken Durchdrehen bietet, nachdem ihr Rassismus gerade unter die Räder des NSU geraten ist?

  • DD
    Daniel Danzer

    Soo rational waren die Gründe für das "Nein" dann aber auch wieder nicht. Der Hauptgrund für eine "Nein"-Stimme waren laut Umfrage die prognostizierten Ausstiegskosten von 1,5 Milliarden. Die allerdings illusorisch sind. Und nun? Sofort nach der Volksabstimmung erkärt Grube es für "unprofessionell", auf den 4,5 Milliarden Kostendeckel zu bestehen. Die Leute werden sich noch in den Arsch beißen, wenn sie begreifen, dass sie statt 500 Millionen Ausstiegskosten (und zunächst mal gesparten Milliarden) noch 2 oder 3 Milliarden drauflegen dürfen.

     

    Und natürlich war das Erbgebnis nicht "gekauft", aber wenn ein OB Schuster an ALLE Stuttgarter einen Brief versenden lässt (was er als Amtsinhaber nicht hätte dürfen), indem er es als seine "Pflicht" bezeichnet, auf die wahnsinnig hohen Ausstiegskosten hinzuweisen, ist nun gerade KEIN Lehrstück in Demokratie.

  • B
    Branko

    Okay. Das Teil wird gebaut. Können wir das Thema dann nach einem Jahr mit absehbarem Ergebnis dann jetzt mal beenden, bitte.

     

    Wir haben deutlich wichtigere Sachen zu diskutieren, als einen völlig überteuerten und überflüssigen Bahnhof.

     

    Die deutsche Politik-Landschaft ist voll mit unnützen und überteuerten Projekten und Gesetzen, mit denen Politiker Steuergelder in die Taschen von Unternehmern schaufeln. Dagegen sollte man aber nicht erst gegen vorgehen, wenn die Bagger bereits angefangen haben.

     

    Als vor einem Jahr die S21-Proteste anfingen habe ich hier bereits gepostet: "Zu spät Leute. Das Ding wird durchgezogen. So oder so."

    Und ich wage noch eine Prognose:

    Das Teil wird (viel) teurer werden, als geplant. Und selbstverständlich werden dazu Steuergelder aufgewendet, um diese Kosten zu tragen.

     

    In Deutschland werden öffentliche Projekte IMMER teurer als geplant.

    Und IMMER wird aus dem Steuersäckel bezuschusst.

    Und wenn der erste Spatenstich gemacht wurde, wird IMMER fertig gebaut.

     

     

    Wer dreißig Jahre in die Geschichte der BRD zurückgeht findet eine nahezu ununterbrochene Serie von "S21"-Projekten.

    Und davon ist der Stuttgarter Bahnhof noch nichteinmal das Teuerste und Sinnloseste - für die Bürger.

    Andere (Leistungsträger) haben sich von solchen Projekten ihre Finkas am Mittelmeer gebaut.

     

    Bevor wir weiterhin auf die Dinge eindreschen, die unsisnnig und überteuert sind, sollten wir erstmal die Dinge in Angriff nehmen, die unsinnig, überteuert und gefährlich sind, und den Steuerzahler viel, viel, viel mehr Geld kosten, als die im Vergleich dazu 'kleine Haltestelle'.

    Davon gibt's deutschlandweit nämlich auch mehr als zu viel.

     

    Wenn man wirklich was ändern will, braucht's in Deutschland grundsätzlich eine komplett andere Politik.

    Und zwar eine, die Weichen stellt, keine die auf der Bremse steht und "schneller! schneller!" ruft.

     

    Wenn man wirklich was ändern will in Deutschland braucht's keine Diskussion, ob Union, SPD oder große Koalition. Das ändert gar nichts. Das ist nur den dazugehörigen Politikern nicht egal.

    Das haben die letzten vierzig Jahre gezeigt.

     

    Und ich wage zu diesem Thema abschließend noch eine Prognose:

    Die nächste Regierung wird in BW wieder schwarz, weil Grün das Unvermeidliche dann doch nicht mehr verhindern konnte und einzig nur an S21 gemessen werden wird, was ich sehr bedauerlich finde.

    "Die anderen machen's ja auch nicht besser."

    Okay, und weiter geht's mit S22, S23... und was sonst auch immer dann folgen wird.

  • I
    IJoe

    "aus ethisch nachvollziehbaren Gründen" Was für eine Lachnummer: einen Bahnhofsneubau (!) als eine wunderwasweißichfüreine ethische Entscheidung anzusehen, dafür muß man schon eine ziemlich linksvernagelte Ökopax-Nervensäge sein.

    Aber so hat halt der verbeamtete Oberstudienrat auch mal Gelegenheit, sich als Revoluzzer zu fühlen.

  • SL
    Stoppt linke Antidemokraten!

    Was sagt uns der Autor?

    "Sie werden sicher weiterargumentieren, weiterdemonstrieren, auch zu den Mitteln des zivilen Widerstands greifen. Denn dieser Widerstand richtet sich auch und gerade gegen Maßnahmen und Gesetze, die auf demokratischem Weg zustande gekommen sind, die aber von einer Minderheit aus ethisch nachvollziehbaren Gründen abgelehnt werden."

     

    Übersetzung:

     

    "S21-Gegner werden weiter ihre Trillerpfeifen benutzen, im Park campieren, randalieren und zerstören."

    Einen Grund erarbeitet ihnen die "konstruktiv-kritische" grüne Regierungsriege. Irgendwas mit Finanzen und schon ist man wieder die Mehrheit der Bürger und außerdem ersetzt Rechthaben Mehrheiten.

     

    "Die Behauptung, dass ein reicher Reaktionär, wie im Fall des Schweizer Milliardärs Blocher geschehen, sich auch bei uns jederzeit eine Volksabstimmung durch das Schüren irrationaler Ängste quasi kaufen könne, entbehrt der Substanz."

     

    Da sitzt schon lange die große Angst. "Irrationale" Ängste hat immer der reaktionäre Block, sprich das Volk. Dem entgegen stehen die klugen Bürger zu denen sich jeder Linke zählt. Da ist sie die entwicklung vom Herrenmenschen zu Bessermenschen. Der Bessermensch ist an Demokratie nicht gebunden. Er ist ja besser.

  • H
    Helga

    Ein angenehm sachlicher Artikel - geschrieben aus dem linken Blickwinkel, aber dennoch die Demokratie als Grundlage im Blick habend. So stelle ich mir seriösen linken Journalismus vor - bedacht, durchdacht, gut recherchiert, fachkundig. Seriösen konservativen oder liberalen Journalismus stelle ich mir übrigens auch so vor, das ist ja keine Frage des Stils, sondern der Sichtweise, und das ist auch gut so. Peinlich waren die leider auch und gerade in der taz zu lesenden Artikel im Stile von "Gekaufte Abstimmung" oder "Jetzt erst recht". So was ist einfach nur dumm, das auch nicht mehr veröffentlichen und die entsprechenden Redakteure ("Rath" oder wie der heißt) bitte umgehend entlassen. Dafür bitte mehr Artikel von Herrn Semmler.