Kommentar Studium und Psyche: Runter mit den Erwartungen!
Viele angehende AkademikerInnen leiden an Depressionen und Ängsten, Tendenz steigend. Das erfordert neue Gegenstrategien.
D ie Zahlen muss man mit Vorsicht betrachten, aber trotzdem: Unter den StudentInnen im Alter zwischen 18 und 25 Jahren hat jeder Sechste schon mal die Diagnose einer psychischen Erkrankung bekommen, Tendenz steigend. Medizinkritiker geben zwar zu bedenken, dass heute die Psychodiagnosen, die sogenannten F-Diagnosen, gerade auch von Hausärzten ziemlich niedrigschwellig verteilt werden. Und StudentInnen sind immer noch weniger seelisch angeschlagen als Gleichaltrige in Ausbildung und Beruf.
Trotzdem ist der Trend nicht zu leugnen: Viele angehende AkademikerInnen leiden an der Seele – und das erfordert neue Gegenstrategien. Das übliche Instrumentarium stößt nämlich bei jungen Leuten schnell an Grenzen. Die Wirkungsweise von Antidepressiva auf die Hirnphysiologie junger Menschen ist medizinisch umstritten.
Und Psychotherapien allein können es auch nicht richten: Erstens gibt es zu wenig TherapeutInnen, zweitens hat jede Therapie mal ein Ende. Leider denken Ängste und Depressionen aber nicht unbedingt daran, sich zeitgleich mit dem Ende einer kassenfinanzierten Therapie auch für immer aus dem Leben der Betroffenen zu schleichen.
Es ist daher okay von der Barmer Krankenkasse, auch auf Online-Trainingsprogramme gegen leichtere Depressionen zu verweisen, eine Art internetgestützte Form der Selbsthilfe. Die Programme dürfen nur nicht zum Ersatzangebot werden, weil es an guten PsychotherapeutInnen mangelt.
In der Mitte der Gesellschaft
Vor allem aber muss der Umgang mit Depressionen und Ängsten, mit Dysfunktionen eine Aufgabe in der Mitte der Gesellschaft werden. Grade StudentInnen stehen unter hohem Erwartungsdruck. Viele erkranken, wenn sie Ende 20 kurz davor stehen, die Uni für immer zu verlassen.
Zukunftsangst! Und das bei einer Demografie, wo jeder junge gut ausgebildete Mensch für den Arbeitsmarkt und die Rentenkassen kostbarer ist als jemals zuvor. Aber vielleicht ist gerade dies ein Problem.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“