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Kommentar StromversorgungGrundrecht Strom

Kommentar von Arno Frank

Bei einem Wohnungsbrand sterben vier Kinder – weil der Familie der Strom abgeschaltet worden war. Fahrlässigkeit ist nicht nur ein privates Problem.

D er verheerende Wohnungsbrand, bei dem am vergangenen Freitag in Saarbrücken vier kleine Kinder ums Leben gekommen sind, ist auf eine brennende Kerze zurückzuführen. Sachverständige sprechen in diesem wie in anderen Fällen von Fahrlässigkeit.

Das Wort suggeriert, dass da jemand schlicht nicht aufgepasst hat –im Zweifelsfall natürlich die Eltern: ein Fall also wie bei der berüchtigten brennenden Zigarette. Tatsächlich liegt dieser Fall anders: Der siebenköpfigen Familie war kurz vor der Katastrophe der Strom abgestellt worden, weil sie die Rechnungen nicht bezahlen konnte.

Offenbar wussten sich die Eltern in ihrer Notlage nicht anders zu behelfen als mit einer Kerze. Dabei zahlen Sozialämter in einem solchen Fall üblicherweise ein Darlehen zur Begleichung offener Rechnungen. Sei es mangelndes Selbstbewusstsein, sei es der Stolz, seien es Sprachprobleme, sei es einfach Unwissen – ein solches Darlehen ist von der Roma-Familie jedenfalls nie beantragt worden.

Bild: taz
ARNO FRANK

ist Korrespondent der taz in Wiesbaden.

Gerade in Zeiten explodierender Energiekosten haben es insbesondere einkommensschwache Familien immer schwerer, ihre Elektrizitätskosten zu tragen. Während etwa ein Fernsehgerät nicht gepfändet werden darf, darf der Strom für den Fernseher in der Regel nach der vierten Mahnung abgestellt werden. Dabei sollte gerade Strom für Schutzbedürftige zur infrastrukturellen und sozialen Grundversorgung zählen.

Wünschenswert wäre deshalb, wenn die Energieversorger enger mit den Sozialbehörden oder Jugendämtern vernetzt wären. Oder wenn offensive Beratungs- und Informationsangebote den Betroffenen die Scheu nehmen könnten, staatliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Denn Fahrlässigkeit ist nicht nur ein privates Problem, sondern in Zeiten, in denen die soziale Schere immer weiter auseinandergeht, auch ein gesellschaftliches.

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17 Kommentare

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  • L
    lacorta

    Wie atomisiert ist undere Gesellschaft, in der tatsächlich in einem Kommentar zu diesem tragischen Ereignis gesagt wird: "...kein Verständis für solches Verhalten..."?

    Wie kann man sich "verhalten", wenn die Versorgungsleistungen aller Grundbedürfnisse privatisiert werden?

    Wie kann man sich "verhalten", wenn kaum Verhaltensalternativen zur Verfügung stehen?

    Sieht also so aus, dass sich hier bewusst 4 Kinder aufgrund ihres selbst so beschlossenen Verhaltens in "Eigeninitiative" den Garaus gemacht haben.

    Eigenverantwortlichkeit kann man wohl in Extreme treiben, die mir bisher nicht mal im Traum eingefallen wären.

  • L
    Lobo

    versus Lorenz

    "Im Mittelalter wurden sogar noch "Hexen" verbrannt"!

    Und diesmal ist die Armut nicht durch den Krieg hervorgerufen, sondern durch Dödel-Politik und grenzenlose Gier. Ein großer Unterschied also.

  • L
    lorenz

    Das eigentliche Problem liegt darin, dass die Anzahl derjenigen ständig zunimmt, die nicht mit ihrem Geld umgehen können. Man kann es - böse formuliert - auch Unfähigkeit zur eigenen Lebensgestaltung nennen.

     

    Oma musste in der Nachkriegszeit mit deutlich weniger auskommen, Stromsperren waren genauso alltäglich wie der Mangel an Lebensmitteln. Allerdings wusste Oma noch, wie man den Alltag auch unter solch widrigen Umständen organisiert und einigermaßen erträglich macht.

     

    Statt mal wieder gleich die böse und unbarmherzige Gesellschaft verantwortlich zu machen, würde mich vielmehr interessieren, wofür denn die Familie das für den Strom benötigte Geld ausgegeben hat. Auch wenn dass nichts an der Tragik der Geschichte ändert.

  • B
    belinda

    sorry, das wichtigste ist strom und wasser gleich nach erhalt von hartz zu bezahlen. habe kein verständnis für solches verhalten.

  • E
    erbärmlich

    Es wird darüber gejammert, dass es in Deutschland immer weniger Kinder gibt.

    Interessant sind aber nur gewisse Kinder.

     

    Wie vier kleine Roma Kinder leben, dafür interessiert sich niemand.

    Es gibt sehr viele Kinder in Deutschland, die unter erbärmlichen Verhältnissen leben.

  • H
    Hans

    Köstlich, das Foto dieses rauchenden Mannes, lt. Caption "taz-Korrespondent in Wiesbaden". Herrlich, nicht mal das ZDF hat einen Korrespondent in Wiesbaden, aber die taz schon! Herrlich, die taz wird echt immer mehr zu einer Karikatur.

     

    Den Artikel habe ich nicht gelesen, schon das Thema ist so geistfrei.

  • S
    sattom

    Vielleicht gibt es ein Grundrecht auf Sonnenlicht, aber nicht auf Strom.

     

    Eigenartig: in der taz wird eine engere Vernetzung von Institutionen angeregt - wo bleibt da die Angst vor der totalen Überwachung?

  • MM
    Max Meier

    und wie soll das "Darlehen" wieder zurückbezahlt werden wenn man schon vorher nicht mit dem Geld klargekommen ist?

  • V
    vic

    Unfassbar, das im Jahr 2012 in Deutschlandf jemand der Strom abgestellt wird.

    Strom ist Licht, ist Wärme, ist ein Grundrecht bzw. sollte eines sein.

  • LP
    Linda P.

    Ich habe leider mehrfach die Erfahrung machen müssen, dass Ämter Informationen über Hilfen und Zuschüsse zurück halten bzw gar nicht erwähnen. Nach dem Motto wer es nicht weiß, kann es auch nicht beantragen. Darüber hinaus sind die Anträge viel zu kompliziert. Von der Schikane durch die Mitarbeiter, deren Job eigentlich darin besteht zu helfen, wollen wir hier gar nicht erst anfangen. Wie wäre es denn mal mit einem Ethik-Seminar für alle? Dann werden wir uns unserer Pflicht zur Menschlichkeit vielleicht mal wieder bewusst.

  • F
    friedrich

    Kann sich jemand erinnern, vor 20 Jahren so einen Quatsch und unsägliches Zeugs um Stromversorgung gelesen, gehört zu haben?

     

    Es geht um Löhne, statt um irgendwelche Spezialtarife.

     

    Ohne Hartz IV und Leiharbeit und Schwarz/Gelb und Hotelsteuerbefreiung würden wir heute keinen Buchstaben auf dieses Thema verwenden.

     

    Das gesamte System M = Syszem Merkel hat diesen Staat an den Rand des Abgrunds gebracht.

     

    Dieses System M gehört platt gemacht!

  • S
    Sandra

    es gab deswegen für diese Familie keine wirkliche Hilfe weil wir in nem absoluten Bürokratenstaat leben .. wo die eine Hand nicht weiss, was die andere macht. Alles wird überprüft, kontrolliert … nur eben nicht ob Menschen noch würdig leben können. Hier sperrte der eine den Strom .. und die anderen (Jobcenter) verteidigen sich.. das sie davon nix wussten, weil es die Betroffenen nicht mitteilten. Das Ergebnis sind 4 tote Kinder.

     

    Das ganze System H4 … Agenda 2010 … der unkontrollierte Kapitalismus stirbt und tötet dabei nach und nach Menschen.

  • Z
    Zyniker

    Kein Darlehen für Stromschulden bei sozialwidrigem Verhalten

     

     

     

    Das LSG Rheinland-Pfalz hat die Verpflichtung zur Gewährung eines Darlehens nach dem SGB II aufgehoben, mit dem Stromschulden beglichen werden sollten. Von einer daraus folgenden Stromsperre sind auch minderjährige Kinder betroffen

     

    Der Antragsgegner war zur Gewährung eines Darlehens verpflichtet worden, insbesondere weil im Haushalt drei minderjährige Kinder wohnen. Das jüngste ist neun Jahre alt.

     

    Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat die Verpflichtung aufgehoben. Die Darlehensgewährung sei nicht im Sinne des Gesetzes gerechtfertigt.

     

    Die Rückstände seien durch ein sozialwidriges Verhalten der Antragstellerin entstanden, die die Abschläge im Vertrauen auf ein späteres Darlehen nicht geleistet hatte. Zwar betreffe eine Stromsperre auch die Kinder der Antragstellerin, für deren ordnungsgemäße Versorgung sei allerdings vorrangig sie selbst verantwortlich. Zudem sei der Haushalt weiterhin mit Heizenergie und Warmwasser versorgt, so dass bei den Kindern keine Gesundheitsgefährdung drohe. Auch ein neunjähriges Kind könne zumindest für einen Übergangszeitraum hinreichend mit kalten Speisen ernährt werden (Beschl. v. 27.12.2010, Az. L 3 AS 557/10 B ER).

     

    http://www.lto.de/recht/nachrichten/n/lsg-rheinland-pfalz-kein-darlehen-fuer-stromschulden-bei-sozialwidrigem-verhalten/

     

    Das Urteil ist vom Dezember, will also heißen, die Kinder können bei Kerzenschein ihre Hausaufgaben machen und morgens im dunkeln Duschen, sich anziehen, frühstücken, bevor sie in die Schule gehen. Computer nutzen und Haare föhnen sind nicht mehr drin. Da werden die Kinder für die Eltern bestraft. So ist das in diesem Land.

  • RD
    Richard Detzer

    Sagen wir es kurz. Hätten wir eine Regierung oder eine Politik mit dem erklärten Ziel Aufschwung, hätten wir solche Probleme überhaupt nicht. Da wir aber nur eine Regierung zur Verteidigung der Inkompetenz haben, ist die Verbreitung jeder Form von Inkompetenz gültiger demokratischer Brauch.

     

    Für die Roma Familie tut es mir leid.

  • AG
    Anton Gorodezky

    "Bei einem Wohnungsbrand sterben vier Kinder – weil der Familie der Strom abgeschaltet worden war. Fahrlässigkeit ist nicht nur ein privates Problem." - so lautet die Überschrift dieses Artikels. Ich hätte eine andere: "Bei einem Wohnungsbrand sterben vier Kinder – weil deren Kerzen unbeaufsichtigt brennen ließen."

     

    Stellt euch vor: auch in Haushalten mit Strom brennen ab und zu Kerzen. Macht ihr demnächst Weihnachten dafür verantwortlich, wenn Christbäume brennen? Ist das schöne Wetter dafür verantwortlich, dass Erwachsene Menschen Spiritus in die offene Grillflamme spritzen?

     

    Und dann überlegt euch mal, was ihr da eigentlich fordert: einen gesetzlichen Vormund für Empfänger von Sozialhilfe. Private Unternehmen sollen ihre Kunden beim Sozialamt melden, wenn deren Rechnung nicht beglichen wird. Vor nicht all zu langer Zeit gab es den Vorschlag, dass HartzIV das Geld für ihre Miete nicht erst auf's Konto überwiesen kriegen sondern von den staatlichen Stellen direkt an die Vermieter überwiesen wird. Soll es das sein?

  • W
    Waage

    Sehr tragischer Unglücksfall.

     

    Man kann aber auch mit Kerzen z.B. mittels Kerzenlaternen oder aber auch mit Petroleumlampen (Kosmosbrenner) beleuchten ohne dass es zwingend einen Wohnungsbrand geben muss.

     

    Das war jetzt ein Hinweis und kein Zynismus.

     

    Irgendwann sind natürlich auch die Kerzen verleuchtet, das Petro aufgebraucht und müssen nachgekauft werden was bestimmt nicht billiger als "Lichtstrom" wäre.

     

    Ich denke man sollte über ein pfändungssicheres Mindestkontingent an Strom für Beleuchtung und Kühlschrank nachdenken. Z.B. 250kWh je Haushalt und Monat. Den Strom müsste man sich dann aber selber einteilen. Wenn der Saft alle ist ist eben erst mal Ende.

     

    Ach ja: wer wirklich Strom sparen will kocht mit Gas, hängt die Wäsche auf die Spinne und setzt sich ein Zeitlimit bei der Computerdaddellei.

  • U
    Ursula

    Nahrung, Wasser und Energieversorgung (Strom und Heizung in kalten Ländern) gehören zu den menschlichen Grundbedürfnissen und dürfen in einer entwickelten Zivilisation keinem Menschen verweigert werden. Wo befinden wir uns eigentlich in unserer Evolution, wenn so etwas vorkommt? Wäre es nicht Zeit für ein wenig Weiterentwicklung unserer Gesellschaft?