Kommentar Stromnetz-Studie: Akzeptanz aufs Spiel gesetzt
Wer Ökostrom bezieht, nimmt neue Trassen in Kauf. Nicht aber, wenn diese Kohle oder Atom ermöglichen sollen. Die Vermischung beider Gründe ist gefährlich.
D as könnte nach hinten losgehen. In ihrer aktuellen Studie fordert die Deutsche Energieagentur (Dena) zwar einen massiven Ausbau der Stromnetze. Doch erreichen könnte sie das Gegenteil. Denn die Studie argumentiert nicht ehrlich. Begründet wird der gewaltige Bedarf - 3.600 Kilometer Hochspannungsleitungen sollen durchs Land gezogen werden - vor allem mit dem Umstieg auf erneuerbare Energien: Weil diese unstetig und oft weitab von Ballungszentren produziert werden, sind neue Trassen tatsächlich unumgänglich.
Ein erheblicher Teil des prognostizierten Bedarfs entsteht aber nicht durch den zunehmenden Strom aus Wind und Sonne, sondern durch die widersprüchliche Energiepolitik der Regierung. Die will einerseits erneuerbare Energien fördern, andererseits aber neue Kohlekraftwerke bauen und alte Atomkraftwerke am Netz lassen. Auch das dadurch entstehende Überangebot an Strom ist für die Engpässe im Netz verantwortlich. Wenn AKWs an der Küste weiterlaufen, können die bestehenden Nord-Süd-Trassen eben nicht für Windstrom aus der Nordsee genutzt werden.
Auch wenn die direkten Anlieger nie begeistert sind, werden neue Leitungen insgesamt akzeptiert, wenn sie dem Ausbau von Ökoenergie dienen - nicht aber, wenn sie Kohle oder Atom ermöglichen sollen. Die Vermischung der beiden Gründe gefährdet damit die Akzeptanz.
Malte Kreutzfeldt leitet das taz-Ressort Wirtschaft und Umwelt
Möglicherweise ist das sogar der Sinn der Sache. Wenn der Bedarf möglichst hochgerechnet und die Akzeptanzproblematik in den Mittelpunkt gestellt wird, erscheint der Netzausbau als kaum lösbare Aufgabe. Damit hätten Regierung und Konzerne als Auftraggeber der Studie ein neues Argument, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu bremsen.
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