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Kommentar SterbehilfeHerzlose Christdemokraten

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Die Hilfe zur Selbsttötung sollte in Deutschland auch künftig straffrei bleiben. Doch die Union will alle vermeintlichen Schlupflöcher dichtmachen.

D ie unmäßige Kritik der Union und der Katholiken hat auch ein Gutes. Vielleicht bringen sie einen Gesetzentwurf zu Fall, den sie für zu lasch halten, der aber tatsächlich in die falsche Richtung geht. Die Hilfe zur Selbsttötung sollte in Deutschland auch künftig straffrei bleiben.

Erst vor wenigen Wochen rührte der Fall von Bettina Koch halb Deutschland. Nach einem Sturz brach sie sich den Nacken und konnte nur noch den Kopf bewegen. Trotz ihrer Lähmung spürte sie starke Schmerzen und beschloss schließlich, ihr Leben zu beenden.

Doch deutsche Behörden verweigerten ihr ein mild wirkendes Suizidmedikament. Letztlich musste ihr Mann die schwerkranke Frau zum Sterben in die Schweiz bringen. Als Witwer forderte er später ein Recht auf schonende Selbsttötungsmedizin für Schwerstkranke. Doch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte half ihm nicht, sondern überließ der deutschen Politik die Entscheidung.

Bild: taz
Christian Rath

ist rechtspolitischer Korrespondent der taz.

Statt der von Witwer Koch gewünschten menschenfreundlichen Liberalisierung soll nun schon der Hinweis auf Möglichkeiten in der Schweiz künftig strafbar sein. Umstritten ist nur noch, ob es hiervon Ausnahmen geben soll. Die Union will alle vermeintlichen Schlupflöcher dichtmachen. Im Ergebnis würden die herzlosen Christdemokraten sogar Witwer Wolf bestrafen, weil er seine Frau in die Schweiz begleitete. In ihren Augen ist das eine strafbare Beihilfe zur gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung. Das sagt schon alles.

Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger will nun wenigstens in solchen Fällen das Strafrecht zurücktreten lassen. Besser wäre es, das ideologische Projekt, für das es keinen wirklichen Bedarf gibt, ganz aufzugeben.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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14 Kommentare

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  • JR
    jan reyberg

    Ich habe weder Vergleich gezogen noch Wertungen abgegeben, sondern eine Prognose gewagt. Glauben sie nicht, dass es so kommen wird?

  • C
    ChrisBayer

    Sehr geehrter Herr Rath,

    haben Sie sich über den Sachverhalt des Schicksals Koch eigentlich ernsthaft informiert? In einem bezeichnenden Studiogespräch in der ARD bei Beckmann (http://www.youtube.com/watch?v=RLWsVLm6pjo) kommt zu Tage wie miserabel das Ehepaar Koch in medizinischer und juristischer Hinsicht beraten war. Auf die Frage, ob Frau Koch über die Möglichkeiten des palliativ begleiteten Sterbens in Deutschland aufgeklärt war, antwortet der Witwer verwundert mit "Nein". Frau Koch hätte gegen Ihren Wunsch gar nicht weiter behandelt werden dürfen. Sie hätte von der Beatmung genommen werden müssen und wäre schmerzfrei sanft entschlafen. Selbstbestimmt. In Deutschland. Die Fahrt in die Schweiz muss für diese Patientin qualvoll gewesen sein. Wurde das Schicksal der schwerstkranken Patientin instrumentalisiert? Dies heraus zu bekommen, wäre der Mühen eines kritischen Blattes und seines rechtspolitischen Korrespondenten wert.

    In Vorfreude auf den nächsten - besser recherchierten - Kommentar verbleibend

    Chris Bayer

    PS: Die benannte Sendung wird auch hier kommentiert: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/faz-net-fruehkritik-beckmann-viel-geredet-viel-vertan-11086371.html - Auch die FAZ ist manchmal lesenswert!

  • A
    anke

    Tja, Herr Rath, so ist das fast immer: Keiner der Kommentatoren bezieht sich auf den Europäischen Menschenrechts-Gerichtshof oder das geplante CDU-Gesetz. Offenbar müssen die Leute erst noch herausfinden, was sie vom Sterben überhaupt halten sollen. Grundsätzlich und generell, meine ich. Manche haben sogar noch Schwierigkeiten mit dem Vokabular. (Ein "Euphemismus" – Himmel!) Mir scheint, sie kommen zu früh mit Ihrem Kommentar. So zwanzig bis dreißig Jahre, vielleicht auch mehr. Noch geht es in der Suizid-Frage nicht um die Sache selbst, sondern um das Davor bzw. das Danach. Noch also hat der Liberalismus keine Chance, fürchte ich.

  • F
    Friederike

    Jeder Mensch hat das Recht, sein Leben zu beenden, wenn es für ihn untragbar geworden ist. Damit erhält er sich seine Würde und muss nicht dahin siechen.

    Diese Doppelmoral in Deutschland ist einfach zum kotzen.

    Die Lebenden werden in Deutschland, wenn sie arm und krank sind, wie Dreck behandelt, die Alten in den Heimen sind schlecht versorgt und siechen auch teils dahin, obwohl sie sterben wollen.

    Jeder- der in die Schweiz fährt um Sterbehilfe zu bekommen, hat einen würdevollen Tod. Ich würde das auch so machen und auch wenn die Regierung noch so idiotische Strafen verteilt, es gibt immer "Mittel und Wege"

    @ Jan reyberg

    Ihr Vergleich hinkt sehr, denn ein behindertes Kind hat erstmal sein Leben vor sich- und muss es nicht beenden, denn es wird ja geliebt.

    Im Übrigen arbeiten mein Sohn und ich ehrenamtlich in einem Hospiz und ich kann Ihnen versichern, dass man jedem Sterbenden den letzten Weg so leicht wie möglich machen sollte, da gehört nicht mal die Religion hin, denn es ist ein menschlicher Akt und nicht ein religiöser. Ein Christ, der einen Menschen leiden lässt, ist ein Lügner.

    Ich bin ebenfalls Mitglied bei "Exit" in der Schweiz und bestimme selbst, wann ich meine evtl.Krankheit beende und somit gehe, wenn ich alles erledigt habe auf dieser verdorbenen Welt, denn das ist sie !

    Lügner, Betrüger, Korrupte- das sind die Regierungsmitglieder, die über andere bestimmen wollen? Nein Danke !

  • G
    gundi

    Nicht zwingen vergleichbar, aber auffällig, mit welchem Engagement die selbstbestimmte Tötung abgelehnt und die fremdbestimmte "Körperverletzung am Kind" im Rahmen der Beschneidung akzeptiert wird.

  • N
    naseweiser

    Tja , so sind sie eben , die allerchristlichsten Christdemokraten . Gehorchen nur göttlichen Weisungen . Und am allerwenigsten darf man dem hohen Herrn beim eigenen Ableben ins Handwerk pfuschen , auch wenn man schon nicht gefragt wurde , ob - wie - wo - von wem man ins Leben getreten werden wollte .

     

    Was für ein Zufall auch , dass die christliche Heilslehre der Medico-Pharmafia wunderbar ins Konzept passt ! Wo käme Pharmafia hin , wenn Moribunde nicht bis zu den letzten Metern ihres "natürlichen" Ablebens austherapiert werden könnten ! Einfach die Katastrophe , ... für ihre Hypergewinne !

  • N
    naseweiser

    Drum ,lieber jan reyberg , sollten Sie rechtzeitig von Ihrem Frühableben Gebrauch machen . Wer weiß , was da sonst noch alles auf Sie zukäme .

  • C
    Crisssie

    @jan reyberg: Mal darüber nachgedacht, warum Bettina Koch nicht mehr leben wollte? Ich möchte mir gar nicht erst vorstellen, gelähmt zu sein und auch noch starke Schmerzen zu haben - ohne Hoffnung auf Besserung. Wie Sie in diesem Zusammenhang von "Spaßmaximierung" reden können, ist mir unbegreiflich. Mehr Zynismus geht ja kaum.

    Eine humane Gesellschaft braucht Freiheit. Wenn Hilfe zur Selbsttötung verboten wird, müsste sich natürlich niemand damit auseinandersetzen und die Menschen könnten auch keine humanen Maßstäbe für den Umgang mit der Hilfe zur Selbsttötung entwickeln.

  • SG
    Stefan GKP

    Begriffe wie "mild wirkendes Suizidmedikament" und "schonende Selbsttötungsmedizin" muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Befinden wir uns schon in der Kandidatensuche für das Unwort des Jahres 2012?

  • H
    Hennes

    Erschreckend, wie offen die taz hier die Meinungen von Adolf Hitler offen und unkritisch übernimmt und offen zu Euthanasie, Rassentrennung und der Tötung behinderter Menschen aufruft. Nie wieder werde ich diese ekelerregende, rechtsextreme Zeitung lesen. Abstoßend.

  • T
    Thorben

    jan reyberg, so dachte ich auch, bis meine Freundin sterbenskrank wurde und bettelte, dass es zu Ende geht. Sie hat 4 Monate gebraucht...

  • T
    trampshining

    Seit 30 Jahren bin ich Mitglied Von "Exit", Sterbehilfe Organisation.

    Zu wissen, dass ich bestimme wann ich sterbe wenn ich nicht mehr leben kann, ist sehr beruhigend und hat viel zu meiner Lebensqualität beigetragen und es ist ein Menschenrecht. Das Deutschland mit seiner Geschichte hier vorsichtig ist, kann ich verstehen. Todkranke mit moderner Medizin zum Leben zu zwingen und wer Beihilfe zum Tod leistet zu bestrafen, ist jedoch auch ziemlich pervers. Das Glaube und Religionen damit bedient werden sollen ist klar. Irgendwie zum Verzweifeln und diese Ungläubige möchte schreiend durch die Gassen rennen.

  • T
    TeaRex

    Man kann ja zur Sterbehilfe so oder so stehen - aber was bitte ist ein "mild wirkendes Suizidmedikament"? Stirbt man da nur ein bisschen? Oder "schonende Selbsttötungsmedizin"? Das Leben schont die doch aber nicht, oder?

     

    Euphemismen sind fast überall fehl am Platze und hier ganz besonders.

  • JR
    jan reyberg

    Eines Tages werden wir in einer Gesellschaft leben, in der diejenigen, die angesichts eines Schicksalsschlages nicht spaßmaximierungskonform und/oder sozialverträglich ihr Frühableben fördern, beschimpft werden. Wir werden dann in der gleichen Gesllschft leben, in der Eltern als asozial beschimpft werden, wenn sie sich entschließen ein behindertes Kind zur Welt zu bringen oder auch nur dieses Risiko eingehen. Brave New World!