Kommentar Soziale Proteste in Bolivien: Opfer der Entfremdung
Menschen mit Behinderung wollen eine bescheidene Monatsrente. Von der Regierung Morales wird sie verweigert – wegen eines gescheiterten Referendums.
S eit zwei Monaten belagern jetzt über hundert Menschen mit Behinderung zwei Ecken von Boliviens Präsidentenpalast. Ihre Forderung nach ursprünglich 500, inzwischen nur mehr 250 Bolivianos als Monatsrente erscheint bescheiden. Das sind knapp über 30 Euro für ein etwas würdigeres Leben einer ohnehin weitgehend ausgegrenzten Minderheit.
Unzureichende medizinische Versorgung schon bei der Geburt, Verkehrsunfälle und gefährliche Arbeitsplätze sind die häufigsten Ursachen für bleibende körperliche oder geistige Schäden. Warum also stellt sich die Regierung so stur? Sie argumentiert mit einer guten Gesetzgebung, die auf Inklusion setzt, statt auf Mildtätigkeit.
Kinder sollen nach einem Gesetz aus dem Jahr 2010 – soweit möglich – in Regelklassen unterrichtet werden. Lehrer müssen die Gebärdensprache lernen, staatliche Stellen und Unternehmen müssen einen kleinen Prozentsatz Behinderter beschäftigen. Doch das Gesetz ist zahnlos und wird kaum befolgt. Nur 3 Prozent der behinderten Kinder besuchen tatsächlich reguläre Schulen, weitere 4 Prozent besuchen Sonderschulen.
Der Staat hat also eine Bringschuld. Und die kleine Monatsrente hätte nichts Karitatives. Sie helfe nur, die täglich durch höhere Transportkosten, geringeres Einkommen oder entgangene Verdienstmöglichkeiten entstehenden Nachteile gegenüber der Mehrheitsbevölkerung zu verringern, wie die Behindertenverbände argumentieren.
In Bolivien beobachtet man eine zunehmende Verhärtung der Regierung, seit Präsident Evo Morales im Februar ein Referendum verlor, das eine neuerliche Wiederwahl ermöglichen sollte. Bewegungen, die ihn früher unterstützten und jetzt wegen Korruption und gebrochener Versprechen auf Distanz gegangen sind, werden bestraft. Gut möglich, dass die Behinderten ein Opfer dieser Entfremdung der einst populären Regierung sind.
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