Kommentar Sonderschulen: Drama mit Aussicht
Die Kultusminister treiben eine Pseudoreform voran. Dass es bei dem Streit um die Sonderschulen vor allem um die Lebenschancen für behinderte Kinder geht, ist ihnen egal.
D ie derzeit geführte Debatte rund um die Sonderschulen ist ein endlich ans Licht gekommenes Drama, das sich seit langem im Verborgenen abgespielt hat.
Christian Füller ist Bildungsredakteur der taz.
Es ist der Kampf um Lebenschancen für behinderte Kinder und einer gegen behördliche Fremdbestimmung. Aber es ist auch ein Kampf unter den Betroffenen selbst. Kein Behindertenkongress, auf dem die Eltern der behinderten/besonderen Kinder sich nicht gegenseitig das Leben schwer machten: Die einen wollen raus aus den Sonderschulen, weil sie die dort praktizierte lähmende Didaktik leid sind. Die anderen wollen genau diesen Schonraum, weil sie ihrem schwerstbehinderten Kind nicht zumuten wollen, von gesunden Kindern quasi überrannt zu werden. Und wer hat recht?
Beide. Trotzdem lohnt es sich, einen Blick in die Lernräume gelungener Integration zu werfen. Denn nicht auf dem Schlachtfeld der öffentlichen Auseinandersetzung erfahren wir, was möglich ist, sondern in den Projekten, die angeblich normale und angeblich behinderte Kinder zusammenbringen. Dort ist mit Händen zu greifen, wie alle Beteiligten davon profitieren. Die einen lernen, dass es Kinder gibt, die anders sind, und dass das vollkommen normal ist. Und auch die anderen lernen: Sie haben die Chance, Potenziale zu entfalten, die niemand vorher kennen konnte und die sie in heruntergedimmten Sonderschulen vielleicht nie entdeckt hätten. Der Epileptiker Erik etwa, der selbst gesunden Mitschülern im Rechnen um einiges voraus ist.
Es gibt viele Eriks, die in integrativen Schulen die Chance haben, zu neuen Ufern aufzubrechen. Ein einziger Moment wie dieser ist Grund genug, inklusive Schulen einzurichten. Und diese Schulen werden kommen, weil es keine Elterngruppe gibt, die so viel Mut, Kraft und Verstand hat wie die Eltern besonderer Kinder.
Muss man noch ein Wort über die Kultusminister verlieren? Ja, denn sie sind Schurken, die bewusst und kaltherzig eine Pseudoreform mit billigen Placebozeugnissen vorantreiben. Anstatt dem Völkerrecht Genüge zu leisten, ziehen sie ihre Technokratenpläne durch und verletzen fortgesetzt die Würde von 400.000 jungen Menschen.
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