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Kommentar SonderschulabschlussUnd wieder grüßt die Klassenpolitik

Wolf Schmidt
Kommentar von Wolf Schmidt

Die Bildungspolitiker wollen einen Sonder-Abschluss für Sonderschulen - viel eher sollten sie für mehr Integration der Sonderschüler an normalen Schulen sorgen.

Hilfsschüler" hat man sie früher genannt, später "Sonderschüler", heute heißen sie "Förderschüler". Das klingt gut, nach Unterstützung, nach bestmöglicher Betreuung, nach Kümmern. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die mehr als 400.000 Förderschüler sind die größten Verlierer des deutschen Bildungssystems. Rund 80 Prozent von ihnen bekommen keinen Hauptschulabschluss, auf dem Arbeitsmarkt haben sie so gut wie keine Chance.

Bild: privat

Wolf Schmidt, geb. 1979, ist Redakteur im Inlands-Ressort der taz.

Für Sonderschüler einen neuen Sonder-Abschluss zu erfinden, ändert an den Problemen überhaupt nichts. Im Gegenteil: Ein solches Zeugnis wäre noch weniger wert als der ohnehin schon weitgehend wertlose Hauptschulabschluss. Deshalb liegt die Vermutung nahe, dass die Bildungspolitiker die Statistik schönen und mit einem simplen Trick zumindest die offizielle Zahl der Schulabbrecher verringern wollen.

Ginge es um die Probleme der Jugendlichen, dann wären ganz andere Schritte notwendig. Dann müssten die deutschen Kultusminister die Sonderschulen weitgehend abschaffen und Schüler mit Behinderungen und Lernstörungen in den normalen Schulen lernen lassen. Bisher geschieht dies nur bei 15 Prozent der Schüler mit sogenanntem sonderpädagogischem Förderbedarf. In der EU sind Integrationsquoten von um die 80 Prozent normal. Und das ist auch der einzig vernünftige Weg. Denn zahlreiche Studien zeigen, dass Schüler auf Sonderschulen nicht mehr lernen als an normalen Schulen, sondern weniger. Es ist vollkommen unverständlich, warum die Kultusminister hieraus immer noch keine sinnvollen Konsequenzen ziehen. Schließlich hat sich Deutschland zur UN-Behindertenrechtskonvention bekannt, und zum Jahreswechsel haben Bundestag und Bundesrat das Übereinkommen ratifiziert. Dort ist die Rede von einer inklusiven Schule. Das heißt: Alle lernen gemeinsam, eine Segregation behinderter Kinder ist zu vermeiden.

Doch von einer schnellen Umsetzung der UN-Konvention hört man vor allem in den unionsregierten Ländern nichts. Stattdessen kommen die Bildungspolitiker mit Vorschlägen eines Sonderabschlusses. Mit Fördern hat das nichts zu tun. Eher schon mit Ins-Abseits-Befördern.

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Wolf Schmidt
Inlandsredakteur (ehem.)
Jahrgang 1979. War bis 2013 in der taz zuständig für die Themen Rechtsextremismus, Terrorismus, Sicherheit und Datenschutz. Wechsel dann ins Investigativressort der Wochenzeitung „Die Zeit“.
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3 Kommentare

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  • MP
    Manfred Pflumm

    Da bin ich mal zur Abwechslung froh, dass eine UN-Konvention nicht schnell umgesetzt wird.

     

    Mit einer ganz einfachen Maßnahme, der Abschaffung der Förderschule, lösen wir alle Probleme: Wir haben keine Förderschüler mehr, alle lernen ganz prima an der Regelschule Wir haben alle integriert, sind politisch vollkommen korrekt und könnten doch endlich wieder mal Vorbildfunktion in Sachen Bildung in der Welt übernehmen.

    Kein Mensch kann dann noch statistisch erfassen, was später aus diesen Kindern und Jugendlichen wird, es waren dann ja alle Regelschüler und es ist ganz normal, dass davon ein Teil im Leben scheitert.

     

    Von dieser verordneten Integration halte ich sehr wenig. Integration ist ein Prozess, auf den sich beide Seiten einlassen müssen. Kinder und Jugendliche, die aus dem Raster fallen ebenso, wie die Gesellschaft mit ihren Schulen. Wenn die Regelschulen nicht dazu in der Lage und bereit dazu sind, benachteiligte Kinder aufzunehmen und adäquat zu fördern, kann die Integration nicht gelingen. Viele Schulen machen hier schon gute Arbeit, noch mehr können sich die Aufnahme vieler ehemaliger Förderschüler nicht vorstellen. Unterstützt die Regelschulen, befähigt und qualifiziert sie, dann ist die Abschaffung der Förderschule nicht notwendig, dann wird sie überflüssig. Solange dies jedoch noch nicht geschehen ist, sollten wir die Förderschule nicht einfach abschaffen, denn dies würde auf dem Rücken der Schwächsten, den betroffenen Schülern geschehen und nur ein weiters Schulexperiment a la G8 bedeuten.

     

    Ach so, da war noch was – die Stigmatisierung – stimmt, Förderschüler sind stigmatisiert, nicht zu letzt aufgrund des Bildes, das die Öffentlichkeit von der Förderschule hat, die hat meist noch nie eine Förderschule von innen gesehen, sondern liest Zeitung.

  • DN
    dangerfield noobie

    Bildung ist menschenrecht, das den förderschülern vorsätzlich verweigert wird. Wer kann die kultusbürokratie zwingen, mehr integration zu wagen? Vielleicht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte?

    Aber selbst wenn; das bürgertum wird das gymnasium mit zähnen und klauen als ihren besitz verteidigen. Unser schulsystem bildet eben die soziale realität ab.

  • H
    hto

    NICHTS dieser "freiheitlichen" Welt- und "Werteordnung" von gepflegter Bewußtseinsschwäche in Hierarchie materialistischer "Absicherung" durch Ausbeutung und Unterdrückung stimmt mit den ethischen / pseudo-moralischen Ansprüchen der menschlichen "Gemeinschaft" überein.

     

    ALLES könnte man besser OHNE Regierungen und OHNE ... wahrhaftig demokratisch organisieren - deshalb ist mir die symptomatische Klassenpolitik lieber, als wenn die Problematiken wieder nur in pseudo-problemlösender Pädagogik verpackt / unterdrückt und konfusioniert wird, und damit WIEDER nur das "Gewissen" / die Bewußtseinsbetäubung des "gesunden" Konkurrenzdenkens befriedigt!!!

     

    Die URSACHE ALLER Probleme ist, seit der "Vertreibung aus dem Paradies", der stumpf- wie wahnsinnige Wettbewerb um das "Recht des Stärkeren", der nun (nur noch?) "freiheitlichen" Marktwirtschaft - ein Leben / wahrhaftig-wirksames Zusammenleben ohne Wettbewerb ist DOCH möglich, bzw. einzig MENSCHENWÜRDIG!!!