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Kommentar Situation in GriechenlandMarsch zurück ins Elend

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Das griechische Desaster steigert sich von Monat zu Monat. Das Land wird in jene Massenarmut zurückfallen, die mit dem Euro überwunden werden sollte.

G riechenland ist nicht nur pleite - es ist wirklich pleite. Das ist zwar eine Tautologie, aber anders lassen sich die neuesten Erkenntnisse des Internationalen Währungsfonds (IWF) nicht zusammenfassen. Der Begriff "Pleite" kennt keine Steigerungsform, und dennoch steigert sich das griechische Desaster von Monat zu Monat.

Der IWF hat jetzt eingeräumt, was die "Märkte" bei den Kursen für griechische Staatsanleihen schon längst vorweggenommen haben: Ein Schuldenschnitt von 50 Prozent wird nicht reichen, um das Land zu sanieren. Man wird die Darlehen fast komplett abschreiben müssen.

Ein Totalverlust bei den Staatsanleihen ist schon dramatisch genug - und dennoch wird damit das eigentliche Drama in Griechenland nicht beschrieben. Denn die jetzigen Schulden sind in der Vergangenheit entstanden, und wenn sie erlassen werden, dann wird Vergangenheitsbewältigung betrieben. Völlig ungelöst ist: Wie soll die Zukunft Griechenlands aussehen?

Bild: taz
ULRIKE HERRMANN

ist wirtschaftspolitische Korrespondentin der taz.

Alle Reformen, die Griechenland bisher verordnet werden, sind richtig - und verschärfen doch die Rezession. Es ist richtig, dass tote Rentner keine Rente mehr bekommen. Aber ihre Nachfahren haben nun weniger Einkommen. Es ist richtig, dass der Staatsapparat verkleinert wird. Aber viele Griechen verlieren damit Lohn und Stelle. Es ist richtig, dass defizitäre Staatsunternehmen geschlossen werden. Aber wieder kostet es Jobs.

Am Ende dürfte nur der Tourismus übrig bleiben, der aber nicht alle Griechen ernähren kann. Das Land wird in jene Massenarmut zurückfallen, die mit dem Euro überwunden werden sollte. Politisch ist dies sehr gefährlich. Griechenland ist ein Experiment der unbekannten Sorte: Noch nie, nach dem Zweiten Weltkrieg, wurde ein westeuropäisches Land so brutal und ausweglos ins Elend zurückgestoßen. Es wird Zeit, sich nicht nur mit den Schulden der Vergangenheit zu befassen - sondern auch mit der Zukunft Griechenlands.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
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10 Kommentare

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  • B
    BerndJoel

    "Alle Reformen, die Griechenland bisher verordnet werden, sind richtig..."

     

    Schade, dass auch die taz hier sich schon von der neoliberalen Propaganda hat anstecken lassen. Zum Faktencheck ein Verweis auf die Frankfurter Rundschau:

     

    http://www.fr-online.de/schuldenkrise/griechenland-faul-oder-fleissig--der-faktencheck,1471908,8586736.html

  • HS
    Halt so

    Irgendwie wer ma dös scho machn. Es ging ja schon immer so.

  • A
    Anton

    @BlaBla:

     

    Sehen Sie, es ist aus volkwirtschaftlicher Sicht völlig egal wer Schuld daran ist, dass Tote Rente bekommen. Schuld ist ohnehin eher eine juristische Frage, hier geht es um Ursachen, die Sache mit den Rentern bleibt dabei wohl eher ein Beispiel dafür was schief läuft in diesem Land. Das ist ähnlich wie in Spanien, wo man gerne darauf verweißt, dass der Staat dortt garnicht so viele Schulden hat (in Relation zum BIP). Aus Gesamtsicht ist es aber auch hier egal wer zu viele Schulden hat, der Staat oder die Bürger.

     

    Am Ende geht es hier eher um eine trade-off Problematik: Als Land kann man sich entweder einen Sozialstaat euopäischer Prägung oder eine dysfunktionale Regierung/Verwaltung leisten. Beides zusammen geht nicht, weil zu teuer.

  • S
    Susanne

    Liebe Ulrike Hermann,

     

    ich schätze im Allgemeinen deine klugen Artikel und Kommentare, aber diesmal liegst du wirklich daneben.

    "Alle Reformen, die Griechenland bisher verordnet werden sind richtig"? Frag mal eure beiden Landeskorrespondenten Nils und Jannis. Sicher ist jede Maßnahme zur Korruptionsbekämpfung und Effektivierung und Modernisierung der Verwaltung richtig und seit den 90ern überfällig.

    Bislang bestehen die Reformen aber hauptsächlich in Einsparmaßnahmen, und die sind keineswegs alle richtig oder gerechtfertigt. Und nicht selten fehlt die soziale Leitschiene. Ich habe überhaupt nichts gegen eine Grundsteuer oder eine Sondersteuer auf Luxuskarossen. Warum aber muss dein gewiss nicht hoch bezahlter Athener Kollege Jannis die gleiche Sondersteuer für Freiberufler von derzeit 300 (demnächst 500) Euro zahlen wie ein Rechtsanwalt mit gut gehender niedergelassener Kanzlei? Warum muss eine Musiklehrerin mit prekärem Einkommen für ihre ererbte Eineinhalbzimmerwohnung in Athen 30 Euro Immobiliensondersteuer pro Quadratmeter zahlen und der reiche Besitzer einer Großvilla auf den Kykladen nur 3 Euro? So werden viele Menschen schnell über den Rand des Existenzminimums getrieben. Und warum hat die griechische Regierung den Steuerfreibetrag auf 5000 Euro Jahreseinkommen gesenkt? Das reicht auch in Griechenland nicht für das Existenzminimum, zumal es weit und breit nicht einmal eine minimale soziale Auffanglinie wie Hartz IV gibt.

    Wer hat das veranlasst? In erster Linie die griechische Regierung, aber wir wissen doch alle, dass dahinter die Auflagen der Troika und nicht zuletzt des IWF stecken. Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass? Und jetzt gehört es zur "neuesten Erkenntnis" des IWF, dass Griechenland pleite ist?

    Das war nach der Politik der Troika so absehbar, wie dass in elfeinhalb Monaten wieder Weihnachten ist. Die Kuh, die der IWF da für die Banken gemolken hat, hatte noch gar nicht genug Milch. Und die Kühe, die genug Milch gehabt hätten, weiden längst auf Schweizer Almen, und keiner hilft dabei, sie wieder auf die kargen Wiesen Griechenlands zurückzutreiben. Oder prüft etwa die deutsche Steuerfahndung, ob die griechischen Neubesitzer Berliner Eigentumswohnungen ihre Investition auch vorher ordentlich versteuert haben?

    Wie wär's denn mal damit, wenn der IWF der griechischen Regierung eine Vermögenssteuer empfehlen würde? Es gibt kaum ein Land in Europa, in dem die Einkommensunterschiede derart auseinander klaffen wie in Griechenland. Da ist noch manches machbar, aber sicher nicht im Sinne des IWF und der Troika. Eher müssen das Land und mehr als drei Viertel seiner Bürger den Offenbarungseid leisten. Dieses Jahr. In wenigen Monaten. In einigen Wochen.

  • T
    Torsten

    Und wieder zeigt sich: Mammon regiert die Welt.

    Geben sie mal einem hungrigen Bettler einen Apfel zu 7,5%.

    Was glauben sie werden sie zurückbekommen ? Eben.

    Wenn man den Wert der Erde überhaupt beziffern könnte,

    wieviele solcher unentdeckten Planeten würden plötzlich

    auf den Finanzmärkten auftauchen ?

    Würde man den Spekulanten den Weizen, den sie gerade gekauft

    haben, frei Haus liefern, würde es wohl eng in deren Küche

    werden.

    Diese "Griechenland-Krise" beweist wieder einmal, das Geld

    heutzutage jeden Bezug zur Realität verloren hat.

  • KS
    Karl Sonnenschein

    Das der Staatsapparat verkleinert worden ist ist noch lange keine Loesung da er nun noch weniger funktioniert als vorher. Ausser den Glaeubigern hat das niemandem geholfen. Eine effiziente und vorbildliche Staatsverwaltung wird es aller Voraussicht noch lange nicht geben.

     

    "Es ist richtig, dass tote Rentner keine Rente mehr bekommen."

    Rechnen sie mal die Ruestungsausgaben (von den Sparmassnahmen natuerlich ausgenommen), die Verluste bei Steuereinnahmen, die Kapitalflucht und die Wucherzinsen an europaeische Banken zusammen, dann reduzieren sich die Pensionszahlungen an tote Rentner auf einen nicht erwaehnenswerten Betrag im einstelligen Prozentbereich, wenn ueberhaupt. Das Sparprogramm kommt zwanzig Jahre zu spaet. Irgendwie bloed das das alle verpennt haben wollen!

     

    Warum die griechische Wirtschaft nur auf den Tourismus reduziert werden soll verstehe ich nicht. Was ist mit der Landwirtschaft, Schifffahrt, vorhandener (wenn auch bescheidener) Industrie und dem Potential an regenerativen Energien? Sollen die Griechen vielleicht auch noch die Orangen und Sonnenenergie aus Deutschland importieren?

    Haben sie schon mal griechisches Obst und Gemuese gegessen? Das schmeckt tatsaechlich nach Obst und Gemuese, und wie gut erst!

     

    Ich finde Griechenland und auch andere Laender und Regionen sollten sich ueberlegen wie man wieder auf eigenen Beinen steht und moeglichst unabhaengig von EU und IWF wird. Es wird sich nicht vermeiden lassen das man seinen Lebensstandard etwas herunterschraubt, es waere aber ohnehin Zeit das man seinen Footprint reduziert.

     

    Ein halbwegs gutes Leben sollte auch ohne uebermaessigen Konsum und Luxusgueter moeglich sein.

     

    Wenn das den Austritt aus dem Euro oder selbst der EU bedeutet dann ist mir das auch recht. Ich bin ueberzeugt das neoliberale Wirtschaftsgemeinschaften dem Untergang geweiht sind. Je frueher man sich von der Krake trennt umso besser.

     

    Ein Hauptproblem bleibt das nach wie vor korrupte und ineffiziente politische System in Griechenland, es wird sich radikal aendern muessen, jedoch unabhaengig von EU und IWF.

    Das muessen die Griechen selbst hinbekommen.

     

     

    Karl Sonnenschein

    Athen

  • BK
    bijan koch

    Back to the roots. Griechenland soll sich selbst wieder entdecken und auf eigene Stärken setzen. Zuviele Ratschläge und besserwisserei aus dem Ausland wird dort nichts bringen.

  • PV
    Peter von Ebstorff

    Ein hilfloser Beitrag, der keine Alternativen aufzeichnet. Griechenland war schon immer Nehmerland in der EU, hat also profitiert und mehr Geld verbraucht, als es ohne Hilfen von außen zur Verfügung gehabt hätte. Aus eigener Kraft ist Griechenland tatsächlich und realistisch gesehen ein sehr armes Land, das sich durch die Sondersituation nach Einführung des Euro mit der willkommenen Begleiterscheinung äußerst niedriger Zinsen einen Riesenschluck aus der Schuldenpulle gegönnt hat, der toxisch gewesen ist. Griechenland kann einen "europäischen" Lebensstandard nur erreichen, wenn ihn andere finanzieren. Warum sollte man dies in Griechenland erreichen wollen, in Rumänien und Bulgarien aber nicht ??!!

  • H
    Hans

    Also, das größte Problem von Griechenland ist Negativwachstum und dadurch ausgelöst eine Abwährtsspirale. Und um Griechenland nicht vollkommen den Bach runter gehen zu lassen, hätte man eben über die meisten Defekte des Landes hinwegsehen müssen. Denn man kann nur ein funktionierende Volkswirtschaft für echte Reformen nutzen. Und dann hätte man Stück für Stück vorgehen müssen, was aber nicht möglich war, weil dem Land erst die Ratings, dann die Solidarität aus der EU versagt wurde, bzw. man ist bewusst zu kurz gesprungen, um Athen an den Pranger zu stellen.

     

    Und solche Verquickung von Währungsunion, Politikmoral und Erniedrigung hat keinerlei positive wirtschaftliche Wirkung: Das Vertrauen der Märkte ist damit wirklich verschwunden und Exportmärkte wird Griechenland nur mit einer eigenen, schwachen Währung sich erschließen können und das heißt Textil, Konkurrenz zu Indien, Vietnam, Bangla-Desh etc.

     

    Die Griechen haben noch nicht verstanden, dass es besser ist in Norwegen Krabben und Fisch zu sortieren, als im Land zu bleiben und auf das III-Welt-Niveau runter zu gehen, dass ihrem Land jetzt - dank der tollen EU-Hilfen - bevorsteht. Deswegen sollte man diese Bestrafungslogik in die Tonne werfen: Sie bringt gar nichts, macht die Sache nur schlimmer und befriedigt allenfalls bescheidene Geister, die meinen sich durch die Bild-Zeitung informieren zu wollen.

  • BB
    Bla, Bla

    Das ist bereits der x-te Kommentar von Fr. Herrmann, der auf komplettes Unwissen hindeutet. Vielleicht empfiehlt sich als Praktikum mal ein Jahr vor Ort zu leben und mit den Leuten zu quatschen.

    Was soll denn dieser "Tote Rentner Scheiss" schon wieder?

    Es gibt genug Hinweise darauf, daß im Großteil der Fälle einfach die Behörden versagt haben und daß das meiste Geld entweder noch vorhanden ist oder von den Banken oder EKA-Sachbearbeitern eingesteckt wurde.

    Viele Familien haben Behörden sinnlos auf Weiterzahlungen hingewiesen und der Großteil der Toten hatte schon jahreland keine Angehörigen mehr. Die exakten Zahlen bleibt die griechische Regierung aber seit Monaten schuldig, genauso wie sie seit über 2 Jahren das verschärfte Vermummungsverbot abschaffen wollte: Wahlkampflüge.

    Hier wird aber einfach eine weitere Denunziation und Erpressung der bösen orthodoxen Bevölkerung durch die griechischen Politiker und Medien weitergeplappert.