Kommentar Sicherheitskonferenz: Mehr Wehrkunde, bitte!
Beim Treffen der Militärexperten in München sollte deutlich werden, worum es geht: um Kriege und um die Lehren, die aus ihnen gezogen werden müssen.
W er in München dabei ist, gehört dazu. Die Sicherheitskonferenz, zu der an diesem Wochenende wieder Minister, Militärs, Konzernlenker, Abgeordnete, Politikberater, Wissenschaftler und Chefredakteure aus aller Welt zusammenkommen, ist das gesellschaftliche Highlight der selbst ernannten Security Community. Einmal im Jahr feiert sie sich. Wer es dort in den inneren Zirkel der Teilnehmer geschafft hat und im Hotel „Bayerischer Hof“ bis in den Konferenzsaal vorgelassen wird, betrachtet sich als Teil einer sicherheitspolitischen Elite.
Die inhaltliche Ausfüllung der alljährlichen Konferenz, die früher einmal Wehrkundetagung hieß, wird da fast zur Nebensache. Der eine oder andere angereiste Minister mag die große Bühne nutzen, um eine Entscheidung mit Nachrichtenwert zu verkünden.
Darüber hinaus besteht der größte Teil der Redebeiträge aus Statements, die intellektuell ungefähr so anregend sind wie diplomatische Bulletins. Auch wenn so manche journalistische Berichterstatter – zumal solche, die sich selbst als Teil der Community verstehen – zukunftsweisende Debatten erkennen werden, geht es tatsächlich um wenig mehr als die politische Positionierung zu ohnehin gerade im öffentlichen Blickpunkt stehenden Konflikten. Mali, Syrien, Iran: Die Themenauswahl bringt auch diesmal keine Überraschungen.
Als Kontrastprogramm zu diesem allzu verengten Blick auf gerade angesagte Konflikte, dienen Debatten über vermeintlich langfristige Trends im Weltgeschehen. Ganz vorne in diesem Jahr dabei: die Geopolitik der Energieversorgung.
Die alten Weisheiten helfen nicht
Nun lohnt es sich ja tatsächlich, über die Auswirkungen neuer Ölfördermethoden in den USA auf andere Teile der Welt nachzudenken. Die wirtschaftlichen wie ökologischen Folgen dürften in der Tat beachtlich sein. Wenn am Ende aber nicht mehr als plumpe, eindimensionale Prognosen über machtpolitische Verschiebungen stehen, hat das mit seriöser Analyse wenig zu tun.
Immer wieder recycelbar, und daher sehr beliebt in der Security Community, ist auch die These , die USA würden sich fortan mehr als pazifische und folglich weniger als atlantische Macht definieren. Mit dieser Weisheit kann man mindestens alle vier Jahre glänzen, jeweils nach der Neu- oder Wiederwahl eines US-Präsidenten. Das funktioniert seit zwanzig Jahren und hat zudem den Vorteil, dass man die kommenden Monate seine Vorträge, Analysen oder Leitartikel mit Relativierungen seiner eigenen These füllen kann.
Die Beschränkung des sicherheitspolitischen Diskurses auf die gerade neu entdeckten Konflikte, einerseits, und die Flucht in wolkige geopolitische Prognosen, andererseits, ist vor allem deshalb gefährlich, weil dieser Fokus eine kritische Rückschau verhindert. Damit entzieht man sich nicht nur einer Überprüfung eigener früherer Vorhersagen, man versäumt auch, aus vergangenen Konflikten und Kriegen für die Zukunft zu lernen.
Wenn Konferenzen wie die in München eine Berechtigung haben, dann muss es darum gehen, die Fehler von gestern nicht morgen in einem anderen Teil der Welt zu wiederholen. Aber selbst die Kriege in Afghanistan und Irak interessieren offenbar nicht mehr. Dabei standen sie jahrelang ganz oben auf der Agenda der Münchener Sicherheitskonferenz. Es fällt schwer, dieses Forum ernst zu nehmen, solange die Aufarbeitung dieser militärischen Desaster nicht als eine vorrangige Aufgabe betrachtet wird.
Undefinierte Worthülse Sicherheit
Eine ernsthafte Beschäftigung mit diesen Kriegen setzt allerdings die Bereitschaft voraus, die elitäre Sphäre des sicherheitspolitischen Diskurses zu verlassen und sich mit der konkreten militärischen Umsetzung vor Ort zu befassen. Frei von Pathos gilt es zu analysieren, was bei vergangenen militärischen Interventionen funktioniert hat und was nicht, welche zu Beginn gesetzten Ziele erreicht wurden und welche nicht.
Anstelle der abgegriffenen und undefinierten Worthülse Sicherheit dürfen dabei übrigens auch so unschöne und unbeliebte Worte wie Krieg, Rüstung und Militär benutzt werden. Denn das Problem von Tagungen wie der Münchener Sicherheitskonferenz ist eben nicht, dass dort zu ausgiebig über Militärisches debattiert würde. Im Gegenteil. Es wird zu wenig – und zu wenig konkret – über die Grenzen militärischer Macht gestritten. Etwas mehr Wehrkunde würde guttun.
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