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Kommentar Schwedens FlüchtlingspolitikEin Europa der Grenzkontrollen

Reinhard Wolff
Kommentar von Reinhard Wolff

Schweden könnte mit seinen Grenzkontrollen einen Domino-Effekt auslösen. Vielleicht wird sich Europa nun endlich zusammenraufen

Flüchtlinge im schwedischen Riksgransen. Foto: reuters

D ie Regierung in Stockholm konnte EU-weit mit Verständnis rechnen, als sie im November ankündigte, das Land brauche eine „Atempause“, was die weitere Aufnahme von Flüchtlingen angehe. Schweden trug nämlich im zu Ende gegangenen Jahr in Europa relativ gesehen die Hauptlast bei der Entgegennahme von Asylsuchenden. Knapp 10 Millionen hätten 2015 Platz in der EU finden können, wenn alle Länder im Verhältnis zur Bevölkerung soviel Flüchtlinge aufgenommen hätten, wie dieses eine skandinavische Land.

Doch aus der „Atempause“ droht nun eine völlig andere Asyl- und Ausländerpolitik als die bislang geführte zu werden. Vorläufiger Tiefpunkt sind die seit Montag geltenden Identitätskontrollen an den Grenzen. Die nicht nur ein Ende von mehr als 60 Jahren nordischer Passfreiheit und eine deutliche Einschränkung der offenen europäischen Innengrenzen bedeuten, sondern in der Praxis eine Abschaffung des Asylrechts für alle Flüchtlinge ohne Ausweispapiere.

Was in Deutschland bislang nur die CSU – vergeblich – fordert, verwirklicht in Schweden ausgerechnet eine rot-grüne Regierung. Natürlich mit schlechtem Gewissen und deshalb dem Versuch, die Verantwortung von sich zu schieben: Die mangelnde Solidarität der EU-Länder habe das Land zu diesem Schritt gezwungen, betont Stockholm.

Und Dänemark, das demnächst mit noch umfassenderen Grenzkontrollen folgen dürfte, hat auch schon einen Schuldigen benannt: Schweden zwinge es dazu. Es bedarf nicht viel Phantasie sich vorzustellen, wie sich dieser Dominoeffekt mit zugehöriger Argumentationskette quer durch die EU fortsetzt.

Doch Grenzkontrollen sind nicht umsonst zu haben. Die politischen und ökonomischen Kosten sind hoch und werden sich mit zunehmender Dauer immer empfindlicher bemerkbar machen. Das könnte so unbequem und teuer werden, dass die europäischen Regierungen endlich gezwungen werden, sich doch zu einer gemeinsamen Flüchtlingsaufnahmeregelung zusammenzuraufen. Statt sich ständig neue und letztendlich wirkungslose Mauern auszudenken.

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Reinhard Wolff
Auslandskorrespondent Skandinavien und das Baltikum
Lebt in Schweden, schreibt seit 1985 für die taz.
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3 Kommentare

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  • Das Problem sind doch nicht die Grenzkontrollen. Sobald Deutschland und Dänemark entsprechend kontrollieren, kann Schweden die Kontrollen aufheben.

    Das Problem ist das Fehlen einer europäischen Flüchtlingspolitik. Landesspezifische Flüchtlingsregelungen bei offenen Grenzen innerhalb der EU funktionieren nicht. Der unausgesprochene (Minimal-)Konsens in der EU scheint, Asylrechte zu verweigern und die Genfer Flüchtlingskonvention zu missachten. Einzelne Länder können da nicht dauerhaft ausscheren.

    Die EU müsste eine europäische Flüchtlingspolitik installieren, die auch ein Finanzierungskonzept enthält. Dann würden die Flüchtlinge nach einheitlichen Kriterien anerkannt und hätten danach das Recht sich frei in der EU zu bewegen. Durch die Finanzierungskomponente würden sich auch arme Staaten leisten können, Flüchtlinge aufzunehmen.

    Mit einer solchen Flüchtlingspolitik könnten Flüchtlinge, die schwarz über die Grenze gehen besseren Gewissens zurückgeschickt werden. Das wäre zwar im individuellen Fall hart, würde aber die lebensgefährlichen Fluchtrouten zu Gunsten der dann installierten offiziellen Wege austrocknen. Es würden dann auch diejenigen aufgenommen werden, die am meisten schutzbedürftig sind und nicht diejenigen, die am besten die Grenzen überwinden können.

    Ohne europäische Flüchtlingspolitik bleibt die Praxis extrem unmenschlich. Das gilt auch für Frau Merkel, die sich zwar selbst die Hände nicht schmutzig machen möchte, dafür aber Erdogan dafür bezahlt es zu tun.

  • 90% der EU sind ärmer als Schweden.

    Bleiben die AuF nicht in Rumänien u. ähnlichen Ländern bleiben, weil es da kaum Geld gibt.

     

    Kosten der Genzkontrollen:

    Die Kontrollen sorgen dafür das weniger kommen. D. h. es spart.

     

    Wären im Umkehrschluss Länder wie Kanada dumm weil die sich den Großteil ihrer Leute aussuchen.

     

    Die Türkei, wie auch der Libanon müsste prosperieren weil jetzt viele Flüchtlinge da sind.

     

    Das ist nicht der Fall.

  • "... sondern in der Praxis eine Abschaffung des Asylrechts für alle Flüchtlinge ohne Ausweispapiere."

    Was ist daran neu? Flüchtlinge, welche die schwedische Grenze erreichen, passieren vorher eine Reihe sicherer Staaten, die zur Registrierung und damit zur Ausstellung gültiger Papiere bereit und in der Lage sind.

    Auch Schweden hat das Recht, die eigenen Grenzen zu sichern und den Zustrom an Menschen zu kontrollieren. Es ist nach geradezu verpflichtet.

    Wenn ich mir auf die Fahne schreibe, und Schweden, Dänemark und auch Deutschland tun das, Flüchtlingen menschenwürdige Bedingungen im Aufnahmeland zu garantieren, dann tut Schweden nur genau das. Die Kriterien für dieses Prädikat sind festgeschrieben und hoch. Somit nicht für eine unberechenbare Zahl von Zuwanderern, noch dazu unter massivstem Zeitdruck zu garantieren. Also ist ein regulierendes Eingreifen und damit das Setzen eines Signals mehr als notwendig. Wir in Deutschland werden das noch begreifen müssen. Ein Europa gibt es auch in dieser Frage nicht.