Kommentar Schlusswort im NSU-Prozess: Beate Zschäpes verpasste Chancen
Der Hauptangeklagten nimmt man die Opferrolle nicht ab. Alles andere als eine Verurteilung wegen zehnfachen Mordes wäre eine Überraschung.
E s ist zu spät und viel zu wenig. Beate Zschäpe, die Hauptangeklagte des NSU-Prozesses, hat ihr letztes Wort nicht genutzt, um dem Prozess um die Ermordung von zehn Menschen noch einmal eine Wendung zu geben. Sie muss jetzt mit der Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe wegen mehrfachen Mordes rechnen. Dass der Angeklagten das letzte Wort gehört, ist ein Symbol des rechtsstaatlichen Strafprozesses. Nachdem die Ankläger und Anwälte ihre Plädoyers gehalten haben, hat die Angeklagte noch einmal Gelegenheit, dem Gericht, der Öffentlichkeit und den Angehörigen der Opfer mitzuteilen, was ihr wichtig ist. Je länger ein Prozess dauert, umso geringer ist allerdings die Chance, mit dem letzten Wort die Eindrücke des Gerichts zu verändern.
Zschäpe hatte mehr als fünf Jahre Zeit, so lange wie wohl keine Angeklagte vor ihr, ihre Sicht zu schildern. Sie hat die Jahre des Prozesses ersichtlich nicht genutzt, reinen Tisch zu machen. Erst schwieg sie (was ihr gutes Recht ist), dann sagte sie doch aus, aber nur in einer vorbereiteten Erklärung. Fragen ließ sie nur in schriftlicher Form zu und beantwortete sie wiederum schriftlich, mit großem zeitlichem Abstand. Jede vermeintliche Öffnung wirkte wie ein taktisches Manöver.
Statt den Opfern und der Öffentlichkeit Einblick in die mörderische Binnenstruktur der Terrorgruppe zu geben, präsentierte sie sich als verliebte Mitläuferin, ja fast als zusätzliches Opfer. Der Vorwurf der Anklage, sie sei im NSU für die Ablenkung und Täuschung der Umwelt zuständig gewesen, gab sie so eher neue Nahrung. Bis zum Schluss wirkte sie auf Prozessbeobachter kontrolliert und berechnend.
Die Anklage konnte sie so nicht erschüttern. So wie es derzeit aussieht, kommt die Bundesanwaltschaft mit ihrem Vorwurf, Zschäpe sei gleichberechtigte Mittäterin gewesen, beim Oberlandesgericht durch. Die Richter haben jedenfalls nicht zu erkennen gegeben, dass sie daran zweifeln.
Dabei war die Anklage mutig. Es gibt wenig handfeste Beweise, dass Zschäpe in die Planung der Taten jeweils eingeweiht war. Deshalb war ihr Auftreten im Prozess so wichtig. Doch einer Frau, die jahrelang ihre Anwälte schikaniert und gegeneinander ausspielt, nimmt man die präsentierte Opferrolle nicht ab. Alles andere als eine Verurteilung wegen zehnfachen Mordes wäre beim Urteil am 11. Juli eine Überraschung.
Für die Opfer dürfte das zweitrangig sein. Eine echte Aufarbeitung wäre ihnen sicherlich viel wichtiger gewesen. Der Strafprozess gegen Zschäpe hat die Begrenztheit gerichtlicher Wahrheitsfindung mehr als deutlich gemacht.
Lesen Sie auch: Der NSU-Prozess im Rückblick – „ein Abgrund an Menschenfeindlichkeit“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund