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Kommentar Schleyer-GedenkenÜber den Toten nichts Gutes?

Jan Feddersen
Kommentar von Jan Feddersen

Die Daimler AG erinnert in Zeitungsannoncen an den 30. Todestag ihres ermordeten Angestellten Hans-Martin Schleyer. Respekt!

N icht allein dem durch die RAF ermordeten Arbeitgeberpräsidenten galt die bundesweit publizierte Zeitungsanzeige, sondern einem Mann von "hohem Ansehen". Manche aus dem linken Siebzigerjahremilieu mokieren sich über diese Geste: Warum verdient ein Exnazi so viel gute Erinnerung?

Jan Feddersen (50) ist Autor und Redakteur. Besonders für die Ressorts taz.mag und tazzwei.

Tatsächlich war Schleyer ein auch bei den bundesdeutschen Gewerkschaften extrem respektierter Funktionär - ein fairer Verhandler. Obendrein war er ein Funktionär, der seine nationalsozialistische Mentalität im demokratischen Deutschland hinter sich gelassen hatte. Und selbst wenn nicht: Hätte das ein Grund für seine Hinrichtung sein können, die in ihrer Ausführung wie von der SS abgeschaut wirkte?

Aber, so oder so, von all diesen wiederum nur defensiven Erwägungen abgesehen: Schleyers Nazivergangenheit kam der RAF propagandistisch zwar gelegen, sie war aber nicht der Grund seines Kidnappings. Seinen Tod in einer Annonce zu betrauern ist zu achten - wie in der Veröffentlichung ja auch der Tod der ermordeten Fahrer Schleyers beklagt wird. Die Linke hat in der öffentlichen Preisung "ihrer" Toten im Übrigen ja Erfahrung: Che Guevara oder Benno Ohnesorg dienen bis heute als Objekte der identitätsstiftenden Trauer. Linke darüber hinaus umkränzen die Ihren im Tode mit dem Opferstatus - den aber haben im Falle des Deutschen Herbstes keine anderen als Schleyer und seine Personenschützer verdient. Wer sich, wie der Exterrorist Rolf Wagner, nun hinstellt und sagt, Schleyer sei keine üble Wahl gewesen, verrät eine moralische Leere, die Angst macht. Es fehlt nach wie vor eine Auseinandersetzung des linken Terrorismus und seiner Fürsprecher mit dem Gebot: "Morde nicht!"

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, Meinungs- und Inlandsredaktion, Wochenendmagazin taz mag, schließlich Kurator des taz lab und der taz Talks.. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!

1 Kommentar

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  • RP
    Robson Paul

    alle 10jahre wieder mit zunehmender abschwächung in der gesellschaftlichen wahrnehmung tauchen raf und all ihre unsäglichen taten auf. dass man die toten betrauert steht ausser frage. jeder tote in einem terroristischen zusammenhang ist einer zuviel. dass r.c.w sich jetzt in der jungen welt in einer weise äussert, die empörung hervorruft grenzt an erbärmlicher heuchelei. keiner von denen, die sich jetzt so bestürzt dazu äussern, können sich in diese zeit hinein versetzen. dass es "gründe" gab, h.m.s. zu entführen, muss aus dem damaligen kontext verstanden werden. wozu der staat und die gesamte gesellschaft damals nicht in der lage war, könnten sie heute mit dem zeitlichen abstand leisten: eine selbstkritische betrachtung der verhältnisse, die überhaupt zu terror führten. doch das bleiben alle beteiligten den fragenden schuldig. man kann es nicht oft genug wiederholen: terroristen werden nicht geboren, sie werden gemacht! Das sollte zu denken geben, bei allem respekt vor dem unsinnigen mord an h.m.s