Tatsächlich könnte bei oberflächlicher Betrachtung Ihr Fazit, Herr Helge-Donath, augenfällig sein.
Allerdings stimmen ein paar Fragen, auf die Sie wie die meisten westlichen Kommentatoren nicht eingehen, nachdenklich.
1. Obwohl Kasparow einer Gruppe oder Partei angehört, die selbst bei wohlwollender Betrachtung kaum eine Chance haben dürfte, in die Nähe von 5% bzw. gar der in Rußland erforderlichen 7% zu kommen, wird in westlichen Medien nahezu ausschließlich über ihn berichtet. Nicht nur das: Seine Partei wird sogar zum "Oppositionsbündnis" erhoben. Wenn ich lese, daß Putins Partei 65%-70% geweissagt werden und wir Kasparows Partei mal (großzügig) mit 5% schätzen, dann sind da noch 25%-30% übrig. Wer representiert denn diese? Warum spielen die in der Berichterstattung keine Rolle, während bei jedem Windhauch des Herrn Kasparow eine Kamera zugegen ist?
2. Kasparows "Oppositionsbündnis" beinhaltet unter anderem Parteien, wie die Nationalbolschewisten. Welches "andere Rußland" schwebt denn diesem Bündnis so vor? Überhaupt, was steht eigentlich auf der politischen Agenda von Kasparow? Außer Plattheiten und Schlagworten habe ich da noch nirgends etwas gelesen. Warum? Gibt es da womöglich gar nicht so viel? Oder nicht soviel medienwirksames?
3. Kasparows "Oppositionsbündnis" wurde nicht zur Wahl zugelassen, weil es die Kriterien für die Zulassung nicht erfüllt. Eine merkwürdige Sache. Sollte einem Kasparow, der reichlich Unterstützung von westlichen Experten erfährt, tatsächlich der Inhalt des Wahlgesetzes entgangen sein? Mir fehlt die Phantasie, mir das vorzustellen. Oder ist es vielleicht doch (insbesondere in den westlichen Medien) wirkungsvoller, nicht zugelassen zu werden, als in der Wahl unter "sonstige Parteien" zu landen?
4. Nun ist Kasparow verhaftet worden. Weil Putins Regime Angst vor ihm hat. Das hat nicht etwa etwas damit zu tun, daß Kasparows Demonstrationen regelmäßig gegen die Auflagen verstoßen, die die Zulassung beinhaltet? Man kann das für richtig halten oder nicht. In beinahe jedem westlichen Land ist ein solches Vorgehen der Polizei eine Selbstverständlichkeit. Zu dem Gerichtsverfahren kann ich nichts sagen, weil ich dazu zu wenig weiß. Außer Ihrer Bemerkung, Herr Helge-Donath, habe ich dazu allerdings auch aus westlichen Medien nicht allzuviel erfahren können. Warum eigentlich nicht?
5. Zu gute Letzt: wer ist eigentlich der Herr Kasparow? Abgesehen von seiner Vergangenheit als Schachweltmeister, ist er Bürger der USA und ist (oder war) Mitglied des US-amerikanischen National Security Advisory Board.
Was ist denn nun das Fazit?
Sie haben möglicherweise Recht, daß Rußland sich in einer "Zeit der Wirren" entgegengeht. Und Kasparow wirkt wie ein Popanz des Westens, der versucht, die Wirren auszunutzen und zu ihrer Verstärkung, wenn nicht gar zu Ihrer Schaffung, beizutragen. Ziel ist offenbar, Rußland zu schwächen und Zugang zu den Naturressourcen zu erhalten, was Putins Regierung verhindert hat.
Putin ist ein kapitalistischer Machtpolitiker, dessen Ziele und Methoden man nicht befürworten muß. Er ist aber auch der Politiker in Rußland, der Rückhalt in der Bevölkerung hat. Diese tut das allerdings in geringerem Maße wegen der ominösen Einschüchterung und den von Ihnen erwähnten Nötigung, "dem Regime Loyalität zu versichern" (Belege?) sondern eher, weil seit Putin regelmäßig Löhne und Renten ausgezahlt werden, was die Russen seit der Sowjetunion nicht mehr erlebt hatten. Und nicht zuletzt, weil sie sehen, daß Putin die nationalen Ressourcen vor dem Zugriff des Westens schützt. Richtig ist natürlich, daß die Medien Rußlands in starkem Maße verschleiern, wo die Ressourcen letztendlich landen.
Daß durch die Politik der Putin-Regierung Rußland praktisch entschuldet und sowohl ökonomisch als auch politisch wieder auf der Weltkarte präsent ist, ist natürlich der Konkurrenz ein Dorn im Auge. Beredtes Zeugnis sind die unterschiedlichen Maßstäbe, die an Putin und seinen Vorgänger angelegt werden. Zur Erinnerung: Jelzin, der Demokrat und Hoffnungsträger hat die Macht in den Händen des Präsidenten konzentriert, hat das Parlament zusammenschießen lassen und mit seiner vom Westen goutierten Wirtschaftspolitik die Ressourcen an Oligarchen verramscht, die heute teilweise im Westen wohlwollend Asyl finden, und dabei das Land gewaltig verschuldet.
Für mich riecht das alles nach einer gewaltigen Anti-Putin-Kampagne, wo Fakten unterschlagen und einseitig geurteilt wird. Auch wenn ich keineswegs ein Freund der russischen Regierung bin, finde ich das zum Erbrechen. Auch wenn ich glaube zu verstehen, warum diese Kampagne geführt wird.
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