Kommentar Russland gegen Greenpeace: Paranoia im Kreml

Die absurde Reaktion ist mehr als bloße Härte gegen Umweltschützer. Putin glaubt, seine Claims in der Arktis abstecken zu müssen.

Hände hoch! Greenpeace im Visier der russischen Polizei. Bild: AP/greenpeace

Es ist wieder ein drakonisches Strafmaß, mit dem Russlands Justiz vermeintliche Delinquenten droht: Diesmal sind es die Greenpeace-Aktivisten, die in der vergangenen Woche mit dem Versuch scheiterten, Gazproms Bohrinsel Priraslomnaja in der Barentssee zu kapern. Auf bis zu 15 Jahren Haft hätten sich die Inhaftierten einzustellen, teilte die Moskauer Ermittlungsbehörde mit. Greenpeace hat aber weder staatliche Hoheitsrechte verletzt, noch Gewalt angewendet und erst recht nichts gestohlen.

Dass russische Gerichte fast ausnahmslos der Ermittlungsbehörde und den politischen Anordnungen von höchster Stelle Folge leisten, ist in Putins Justizwesen kein Geheimnis mehr. Der Chef des Präsidialamtes, Sergej Iwanow, hat die entsprechende Linie vorgegeben: Die Umweltaktivisten seien nur eine nördliche Variante der somalischen Piraterie.

Nein, Russland scheut sich nicht vor absurden Behauptungen. Differenzierungen sind nur erlaubt, wenn sie ausdrücklich den Interessen des Kreml dienen. Diese Absurdität hat Methode: Durch seine absurden Überzeichnungen stimmt Moskau die internationale Gemeinschaft darauf ein, russischem Verlangen nachzugeben.

Ein System, das meist auch Erfolg hat. Selbst wenn Übertreibungen später zurückgenommen werden, die Markierungen bleiben im kollektiven Gedächtnis der Weltöffentlichkeit haften. Im nächsten Schritt geriert sich der Kreml dann als vernunft- und gesprächsbegabter Verhandlungspartner.

Das politische System Russlands beruht auf Rohstoffausbeutung und der autoritäre Zentralismus ist direktes Ergebnis dieses extraktiven Mechanismus. Russland begehrt von der Region in der Barentssee dabei mehr, als es der rechtliche Rahmen einer Ausschliesslichen Wirtschaftszone (AWZ) vorsieht. Es reagiert auf die Gruppe von Umweltschützern nun, als habe es die staatlichen Hoheitsrechte im Stillen schon für sich erweitert.

Das Eindringen einer Nichtregierungsorganisation in dieses Hoheitsgebiet versetzt Moskau in Aufruhr. Der Kreml begreift sie als aggressive Vorhut westlicher Interessen. Wer eine Bohrinsel kapert, der schickt sich aber nicht nur an, die zentrale russische Lebensader zu kappen. Er muss es aufs System abgesehen haben. Das zumindest glaubt der paranoide Kreml.

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Jahrgang 1956, Osteuroparedakteur taz, Korrespondent Moskau und GUS 1990, Studium FU Berlin und Essex/GB Politik, Philosophie, Politische Psychologie.

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