Kommentar Russisches Militärmanöver: Kulisse der Omnipotenz
Das Manöver „Sapad 2017“ ist ein PR-Erfolg. Die Bedrohung ist aber unbedingt ernstzunehmen – wenn auch nicht unmittelbar.
S chon im Vorfeld des Manövers „Sapad 2017“ jagte Russland dem Westen gehörige Angst ein. Vom größten Manöver seit Ende des Kalten Kriegs ist inzwischen die Rede. Fast könnte der Eindruck entstehen, Hunderttausend Soldaten stünden Gewehr bei Fuß an der Westgrenze.
Diese Vermutungen und Ängste beruhen nicht auf russischen Quellen. Moskau tut unterdessen nichts, um dem entgegenzuwirken. Im Gegenteil überlässt es den Westen seinen Fantasien.
So war das Manöver, noch bevor es angefangen hat, bereits ein genialer PR-Erfolg. Russland wird so wahrgenommen, wie sich der Kreml präsentiert – omnipotent und omnipräsent.
Und Europa fühlt sich unwohl. Aus Sicht des Kremls, der sich zum Hort traditioneller Werte erklärt, ist dieses Unwohlsein ein Zeichen westlicher Verweichlichung und mangelnder Wehrhaftigkeit. Nicht zuletzt bedeutet das im russischen Verständnis auch ein Moment des Sittenverfalls. Überdies weiß der Kreml, dass die Aufmerksamkeit nach Großübungen schnell schwindet. Russlands Truppen schlagen nicht zu, solange die Welt zuschaut. Auch auf der Krim und in Georgien verging nach den Manövern erst einige Zeit.
Moskau lebt vom Überraschungsmoment und vom Aufmerksamkeitsdefizit im Westen. Die Bedrohung wird dort gerne verdrängt. Nicht die Militärs neigen dazu – Öffentlichkeit und Politik laufen Gefahr, sich Illusionen über den Nachbarn hinzugeben.
Die Bedrohung ist aber unbedingt ernst zu nehmen, wenn auch nicht unmittelbar. Das russische Herrschaftssystem wird immer unberechenbarer. Woher wollen wir wissen, ob ein Kremlchef unter innenpolitischem Druck nicht eines Tages zum militärischen Befreiungsschlag ausholt? Ausgeschlossen ist es nicht, auch wenn er sich nicht gegen die Nato richten dürfte. Schließlich wurde die Krim vor nicht allzu langer Zeit „heimgeholt“, um Dampf aus dem heimischen Kessel zu lassen.
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