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Kommentar RekrutenmisshandlungCoesfeld-Urteil war dringend nötig

Kommentar von Andreas Wyputta

Die Ereignisse von Coesfeld haben gezeigt, wie groß die Gefahr ist, dass sich die Bundeswehr in eine Truppe mit grausamem Korpsgeist verwandelt.

Die meisten Rekruten fanden die Übung "geil". Trotz Scheinhinrichtung, trotz Einfüllen von Wasser in Mund und Nase, das an das vom US-Geheimdienst CIA bekannte "Waterboarding" erinnert, trotz Vorgesetzten, die sich wie "Großwildjäger" aufführten: 2004 hat kein einziger Rekrut der Coesfelder Freiherr-vom-Stein-Kaserne versucht, seine Ausbildung vorzeitig abzubrechen. Umso wichtiger ist die Signalwirkung der Freiheits- und Geldstrafen, die das Landgericht Münster gestern im größten Strafprozess der Geschichte der Bundeswehr verhängt hat. Sie machen jedem Offizier und Unteroffizier klar, dass Folter keinen Platz in der Rekrutenausbildung hat, dass die Bundeswehr zu keiner Söldnertruppe ohne moralische Standards werden darf.

Das Urteil zeigt auch: Bei aller berechtigten Kritik von pazifistischer Seite wird die Armee der Bundesrepublik noch von der Idee des "Bürgers in Uniform" getragen. Allein dieses Leitbild, das auch einfachen Soldaten nicht nur Pflichten, sondern auch "Menschenrechte" zuspricht, zivilisiert die Bundeswehr, macht sie tragbar für eine Demokratie. Der "Bürger in Uniform" nämlich muss sich keineswegs zu Kadavergehorsam drillen lassen, sondern darf seinen eigenen Verstand einsetzen - und gegebenenfalls für seine Rechte eintreten.

Doch wie schnell sich innerhalb jeder Armee eine Haltung herausbildet, in der niemand als Schwächling dastehen will - auch das offenbart der Skandal von Coesfeld. Schon nach wenigen Wochen Grundausbildung akzeptierten die Rekruten, zum großen Teil junge Männer im Alter von 18 bis 22 Jahren, die Rolle des harten, von keiner Zivilistenmoral zu stoppenden Kämpfers. Dass rund die Hälfte von ihnen Wehrpflichtige waren, die nur für einige Monate Soldat spielen sollten, zeigt, wie groß die Gefahr ist, dass sich die Bundeswehr in eine Truppe mit grausamem Korpsgeist verwandelt. Trotzdem gibt es zur Wehrpflicht als Instrument, die bundesdeutsche Armee in der Gesellschaft zu verankern und auch auf diese Weise einen Staat im Staate zu verhindern, keine Alternative. Zwar verhindern Wehrpflichtige allein nicht die Verrohung - doch als Korrektiv sind sie unverzichtbar.

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2 Kommentare

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  • IA
    IDr. Andreas van Almsick

    Wehrpflicht als korrektiv, gerade so, als ob es die vielen Kriegverbrechen gerade auch von Wehrpflichtigen in allen Kriegen dieser Welt (siehe Vietnam) nicht gegeben hätte. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Die Wehrpflicht kann gerade solche Entwicklungen nicht verhindern und nur die nötige Aufmerksamkeit von allen Seiten gibt uns die Armee, die wir haben wollen. Es waren wohlgemerkt Berufssoldaten, die den Skandal ans Tageslicht brachten und das sagt wohl alles.

  • IW
    ingo witzmann

    klar, schon mal gehört: die wehrpflicht braucht es als korrektiv und anker für die bundeswehr in der gesellschaft.

    na dann sind wyputta und andere schlaumeier ja sicher auch für die ausweitung der wehrpflicht auf frauen. würde den effekt nochmal erheblich qualifizieren und wäre das längst überfällige korrektiv gegen zotige witze auf deutschen kasernenfluren.