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Kommentar Regierungskrise in BrasilienAuf falsche Partner gesetzt

Andreas Behn
Kommentar von Andreas Behn

Der Korruptionsskandal um den Ölkonzern Petrobras erschüttert Brasilien. Jetzt steigt auch noch die PMDB aus der Regierung aus.

Aufstand der Koalitionspartner Foto: dpa

B rasiliens Präsidentin Dilma Rousseff steht vor einem Scherbenhaufen. Ihre Regierung ist handlungsunfähig, die Stimmung im Land und auf den Straßen ist gegen sie. Rousseff wird für die schwere Wirtschaftskrise und einen riesigen Korruptionsskandal verantwortlich gemacht. Derzeit sieht es so aus, als sei ihr Sturz nur noch eine Frage der Zeit.

Mit ihrer Regierung endet abrupt auch das anfangs so erfolgreiche Modell der Arbeiterpartei PT, das mittels Sozialprogramme und Stärkung der Zivilgesellschaft seit 2003 Furore gemacht hat. Es war alles andere als eine Revolution, aber eine bemerkenswerte Reformbewegung im Land der wohl ungerechtesten Reichtumsverteilung weltweit. Und Vorbild für viele andere Staaten Lateinamerikas.

Dass jetzt ihr wichtigster Koalitionspartner PMDB mit sieben Ministern und 68 Abgeordneten die Regierung verließ, ist nur ein weiterer Sargnagel. Es ist die späte Quittung für die Strategie der Regierungsfähigkeit, die Rousseff von ihrem vielgerühmten Vorgänger Lula da Silva übernahm: Mangels eigener Mehrheiten setzte die PT auf dubiose, teils rechte teils evangelikale Koalitionspartner. Für deren politische Gefälligkeit musste mit einflussreichen Posten und viel Geld bezahlt werden – eine Tatsache, die keine Entschuldigung dafür ist, dass auch die PT nach Kräften im Korruptionsgeschäft mitmischte. Um angesichts des Amtsenthebungsverfahrens gegen Rousseff ihre Pfründe nicht zu gefährden, verlässt der Mehrheitsbringer PMDB das sinkende Schiff.

Fraglos hat die Regierung Rousseff Fehler gemacht. Die widrige Lage der Weltwirtschaft hat bestimmt ihren Anteil, ist aber mitnichten alleiniger Grund für den Einbruch der Wirtschaft, Inflation und zunehmende Haushaltsprobleme. Doch Fehler sind keine Rechtfertigung für die Hexenjagd, die Opposition, Medien und Teile der Justiz seit Monaten betreiben, und die von der PT zurecht als Staatsstreich bezeichnet wird.

Jetzt rächt sich eine gravierende Fehleinschätzung von Rousseff: Als die Probleme begannen, kam sie ihren Kritikern entgegen, setzte auf neoliberale Sanierungskonzepte und buhlte um das Wohlwollen ihrer unzuverlässigen Partner von rechts. Diese lassen sie jetzt höhnisch im Stich, da sie sowieso noch nie an das Reformprojekt der PT geglaubt haben. Ihre eigentlich Basis, das diffuse linke Spektrum und die starken sozialen Bewegungen, hat sich deswegen schon lange abgewandt. Deren Unterstützung fehlt Rousseff jetzt. Doch noch gibt es Hoffnung, denn diese Basis mobilisiert jetzt für den Erhalt des Rechtsstaats. Und gegen die Rückkehr der alten Eliten an die Macht.

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Andreas Behn
Auslandskorrespondent Südamerika
Journalist und Soziologe, lebt seit neun Jahren in Rio de Janeiro und berichtet für Zeitungen, Agenturen und Radios aus der Region. Arbeitsschwerpunkt sind interkulturelle Medienprojekte wie der Nachrichtenpool Lateinamerika (Mexiko/Berlin) und Pulsar, die Presseagentur des Weltverbands Freier Radios (Amarc) in Lateinamerika.
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5 Kommentare

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  • Sehr guter nüchterner Kommentar zur politischen Lage in Brasilien von Andreas Behn. Meiner Meinung nach absolut korrekt die Bemerkung, dass Dilma in ihrer Regierungszeit zu viele Zugeständnisse an ihre Gegner gemacht hat und damit viel Rückhalt der eigenen Basis verloren hat. Einen Satz den man aktuell von sehr vielen Prominenten und Künstlern der Linken hört ist genau dieser: "Ich bin kein Wähler von Dilma oder der PT, aber wir können ein Impeachment-Verfahren ohne stabile rechtliche Basis auf keinen Fall zulassen. Das gefährdet das Überleben des gesamten demokratischen Systems in Brasilien."

    Die PT ist de facto genauso verstrickt in das brasilianische Korruptionssystem wie alle anderen Parteien, Ausnahmen sind sehr selten. Wer aber eine Kampagne unterstützt, die den Kampf gegen die Korruption als Hebel zur Entmachtung einer demokratisch gewählten Regierung benutzt hat überhaupt gar nichts verstanden. Es ist nämlich genauso wahrscheinlich, dass bei einem Machtwechsel alle Korruptionsverfahren gegen Politiker der aktuellen Opposition ad acta gelegt würden (was ja jetzt schon, selbst bei ganz klarer Beweislage geschieht) und das wäre das genaue Gegenteil jeglicher Korruptionsbekämpfung. Dazu darf man nicht vergessen, dass Präsidentin Dilma mehr gegen die Korruption im eigenen Land unternommen hat, als jeder andere Präsident (und das hat übrigens auch Angela Merkel schon mehrfach anerkannt). So ähnlich hat das vor ein paar Tagen auch der bekannte brasilianische Schauspieler Wagner Moura in einem Artikel für die Tageszeitung "Folha de São Paulo" dargestellt. Gegen die Korruption zu sein kann nicht bedeuten eine Opposition zu unterstützen, die die Regeln des Rechtsstaats missachtet, politischen Rechtspopulismus betreibt, und großangelegte Medienkampagnen zur Desinformation des Bevölkerung betreibt.

  • Es ist erst einmal erstaunlich, dass es keine Nachricht über die Grossdemonstrationen vom 31.03.2016 in Brasilien gegen den klaten Putsch gibt. 200 000 Mnschen in Brasilia sind keine Zeile wert, kein Kommentar über Massendemonstrationen in Rio de Janeiro, Sao Paulo und Belo Horizonte. Kein Wort über Solidaritätsbekundungen mit Dilma von Künstlern und Intellektuellen wie Caetano Veloso, Gilberto Gil oder Roberto Carlos. Das alles andere als Kadavergehorsam. Im Korruptionsskandal Lava Jato sind die von der PT ca. 25% Personen verstrickt, 75 % stammen aus anderen Parteien. Es tauchte jetzt eine Liste von 200 Ageordneten aud, die von der Firma Odebrecht direkt bezahlt wurden, die der ermittelnde Richter Moro aber nicht weiterverfolg, "da er sich nicht in der Lage sieht einen Nachweis für kriminelles Handeln zu führen". Lula und Dilma sind nicht! auf der Liste. Das Verfahren wegen Korruption gegen den Abgeordneten Cunha, Präsident der Kammer und Leiter des Impeachments, soll möglichst eingestellt werden. Ein Verfahren gegen den Vizepräsidenten Temer (PMDB), der Dilma beerben soll, wegen Korruption wird nicht ordentlich angeschoben. Dilma wird nicht Korruption sondern ein Verstoss gegen Finanzregeln vorgeworfen - ein Verfahren, dass andere Präsidenten und Gouverneure der Opposition auch benutzten und benutzen, was aber nicht zu deren Amtsenthebung geführt hat. Das Impeachment steht also auf komplett wackligen juristischen Füssen. Die Verteidigung eines korrekten rechtsstaatlichen Verfahrens hat nichts mit stalinistischen Visionen zu tun, sondern ist ein klares Bekenntnis zur Orientierung an rechtsstaatlichen Grundsätzen.

    • @Henning Lilge:

      Von lückenloser Aufklärung in einem Land zu sprechen, in dem die Opposition systematisch die Verbrechen der Militärdiktatur zugedeckt hat und in dem die Geldeliten seit Jahrzehnten straffrei gegen Gesetzte verstossen können ist purer Hohn. Keiner sollte die Verbrechen irgendeiner Partei zudecken - warum aber einen "verdächtigen" Lula in Polizeigewahrsam nehmen und die Korruptionsverfahren gegen oppositionellen Politiker vertuschen und niederschlagen, geschweige denn diese jemals festzunehmen - eine ausgewogene Justiz? Teile der Opposition fordern das Eingreifen des Militärs - kein "böser" Feind. Weiss Lutz Rormann irgend etwas über die 20jährige brutale Militärdiktatur Brasiliens? Dilma ist selber in der Diktatur gefoltert worden, weil sie der linken Guerilla angehörte. Sie ist deshalb den rechten Militärs ein Dorn im Auge. Und der Unternehmerverband FIESP betreibt politische Propaganda gegen die PT um die Vermögenssteuer zu senken. Obwohl Brasilien ein "Fiskalparadies" ist. Der Slogan von FIESP"Wir zahlen nicht die Rechnung" - eine Rechnung, die noch nie bezahlt wurde - auf Kosten der breiten Bevölkerung Brasiliens. Die wirklichen Korrupten sind die Superreichen Brasiliens!

  • Ja das ist ja schon deutlich ehrlicher als in den gedruckten artikeln. Und siehe da es ist die alte stalinistische argumentation: ja korrupt sind sie schon, aber trotzdem müssen wir sie verteidigen, denn der böse feind ist noch viel schlimmer. So fangen linke diktaturen oft an. Letztes beispiel ist venezuela. Der einzige weg aus der krise in brasilien ist die lückenlose juristische und politsche aufklärung und sanktionierung aller korrupten und die stärkung der rechtsstaatlichen strukturen. Derzeit arbeitet die pt aber an deren schwächung. Kadaversolidartät hat mindestens so viel unheil in der geschichte angerichtet wie kandavergehorsam. Nur die offene kritik hilft. Wenn denn etwas hilft.

    • @Lutz Rohrmann:

      Wer sich die Kommentar brasilianischer Intellektueller, Landloser und Indigener im soziale Netz ansieht, wird bemerken, dass mit Kritik an der PT nicht gespart wird. Lula hat öffentlich zugegeben, dass er viele Reformen in seiner Amtszeit nicht konsequent durchgeführt hat. Trotzdem ist allen klar, dass das Impeachment auf keinem tragfähigen rechtlichen Fundament steht. Lässt man dies zu, dann untergräbt man den Rechtsstaat. Eine Wirtschaftskrise ist kein Grund für ein Impeachment -Verfahren. Sie ist vielleicht ein Grund für eine neue Politik - diese wird in einer Demokratie immer noch an den Urnen entschieden und nicht durch Meinungsumfragen und Zeitungsmeinungen oder Empfehlungen des Unternehmerverbandes. Nach Verlust der Parlamentsmehrheit wäre eine Neuwahl des Parlaments sicher ein sinnvoller Ausweg. So würde deutlich, ob die Bevölkerung die Opposition des Parlaments zur Präsidentin auch an der Urnen unterstützen würde. Rechtlich gebt es in Brasilien, einer präsidialen Demokratie, keine Möglichkeit eine Präsidentin, die ihre Mehrheit im Parlament verloren hat, zum Rücktritt zu zwingen, Dies gilt auch für die USA oder Frankreich. Solche Situationen sind schon in de USA und Frankreich aufgetreten und haben beide Institutionen gezwungen im Kompromiss zusammenzuarbeiten. In parlamentarische Demokratien ist dies durch die Möglichkeit des Misstrauensvotums an den Premierminister(in)/Binderkanzler(in) ausgeschlossen. Man könnte also zur Klärung des politischen Patts die Neuwahl von Präsidenten - und Parlamentsmandat veranlassen. Dilma hat signalisiert, dass sie dem zustimmen könnte - wenn auch das Parlament neugewählt wird.