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Kommentar Rechte im EU-ParlamentStreiten statt schneiden

Eric Bonse
Kommentar von Eric Bonse

Bald muss ein Umgang mit der AfD-Fraktion im Bundestag gefunden werden. Berlin kann von den Erfahrungen in Brüssel und Straßburg lernen.

Vom Umgang mit Nationalisten im EU-Parlament lernen? Kongress „Freiheit für Europa“ Anfang 2017 Foto: imago/Christian Thiel

D ass die AfD in den Bundestag einzieht, ist nicht nur für Deutschland ein Schock. Auch in anderen EU-Ländern und in Brüssel reibt man sich ungläubig die Augen. Nach den Wahlen in Holland und in Frankreich, so hatte man gehofft, sei die „populistische Welle“ gebrochen. „Die EU hat wieder Wind in den Segeln“, jubelte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker noch Anfang September.

Nun kommt das böse Erwachen. Im deutschen Bundestag werden künftig mehr rechte Abgeordnete sitzen als in der französischen Nationalversammlung und im niederländischen Parlament zusammen. Nur im Europaparlament bringen es die Nationalisten und EU-Gegner auf eine vergleichbare Stärke. Hier steht sie schon, die Abwehrfront der Demokraten, die viele nun auch in Berlin fordern.

Demagogen vom Schlage einer Marine Le Pen oder eines Nigel Farage wurden im Europaparlament systematisch ausgegrenzt. Der frühere Parlamentspräsident Martin Schulz sorgte nicht nur dafür, dass sie keine wichtigen Posten in den Ausschüssen bekommen. Schulz schmiedete auch eine Große Koalition aus Sozialdemokraten und Konservativen, die die EU-Gegner im Zaum halten sollte.

Europaparlament als Bühne der Rechtspopulisten

Eine Zeit lang klappte das auch ganz gut. Das EU-Parlament ist arbeitsfähig geblieben, die Krawallmacher haben es nicht lahmgelegt. Allerdings hatten sie auch kaum je die Absicht, konstruktiv in den Ausschüssen mitzuarbeiten. Was Le Pen und Farage vor allem interessierte, war, das Parlament als Bühne für ihre rechten Parolen zu nutzen.

Und das ist ihnen am Ende dann doch noch gelungen. Vor allem der britische EU-Austritt hat die Populisten im Europaparlament beflügelt. Der ehemalige Ukip-Führer Farage konnte den Brexit sogar am Rednerpult der EU-Kammer feiern. Schulz und Juncker hingegen wurden mit Zwischenrufen und Radau gestört. Ähnlich wie in Berlin hat die Große Koalition in Straßburg den Aufstieg der Rechten nicht behindert, sondern eher noch befördert.

Neue Strategie gegen die Nationalisten

Was lässt sich daraus für den Umgang mit der AfD lernen? Die gute Nachricht ist, dass mit dem Einzug der Rechten nicht sofort das Chaos ausbricht. Solange sie nicht über erdrückende Mehrheiten verfügen, lassen sie sich in der täglichen Parlamentsarbeit weitestgehend ignorieren. Die schlechte Nachricht ist, dass sie das Parlament als Bühne nutzen – und als Basis für außerparlamentarische Arbeit.

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Ob man dem mit juristischen Mitteln, Geldstrafen und Aufhebung der Immunität beikommen kann, wie es das Europaparlament mit Le Pen versucht, darf bezweifelt werden. Aktive Ausgrenzung und Verfolgung führt nur dazu, dass sich die Nationalisten in ihrer Opferrolle bestätigt fühlen und neue Nahrung für ihre Propaganda gegen „Eliten“ und „Systemparteien“ bekommen.

Nie waren Rechtspopulisten in der EU stärker

Statt die Nationalisten zu schneiden, sollte man sich lieber offensiv mit ihnen auseinandersetzen. Dann fallen ihre Argumente schnell in sich zusammen, wie das Fernsehduell zwischen Le Pen und dem heutigen französischen Staatschef Macron gezeigt hat. Trotz jahrelanger (Nicht-)Arbeit im Europaparlament waren ihre Argumente gegen die EU und den Euro so schwach, dass sie verlor.

In Deutschland hat diese Auseinandersetzung fast völlig gefehlt. Statt die AfD zu stellen, sind Kanzlerin Angela Merkel und SPD-Kandidat Schulz ihr ausgewichen. Es wäre ein Fehler, diese Taktik jetzt im Bundestag fortzusetzen – dies zeigen die Erfahrungen aus Brüssel und Straßburg. Ein noch größerer Fehler wäre es, die Themen und Thesen der Rechten zu übernehmen.

Auf EU-Ebene ist dies bereits passiert. Seit dem Herbst 2015 lässt sich ein Rollback in der Flüchtlingspolitik beobachten. Abschottung und Abschiebung stehen heute ganz oben auf der EU-Agenda. Den Vormarsch der Rechten hat dies nicht gebremst, im Gegenteil. Nie waren die Nationalisten in Europa so stark wie heute, nie war die Sozialdemokratie so schwach. CDU/CSU und SPD sollte dies eine Warnung sein.

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Eric Bonse
EU-Korrespondent
Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog
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2 Kommentare

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  • Die AFD mit Argumenten zu stellen würde sicher eine Möglichkeit bieten ihnen eine gewisse Zeit Einhalt zu gebieten.

    Aber, glaubt wirklich jemand, dass es den Politikern der anderen Parteien heutzutage noch gelingt brauchbare Argumente vorzubringen?

     

    Wenn man sich die Debatten der letzten Legislaturperiode im Bundestag anschaut, wird man feststellen müssen, der Saal war überwiegend leer!

    Durch die GroKo hatten die kleineren Parteien, die Opposition, keine wirklichen Auswirkungen auf die Debattenkultur der Abgeordneten.

     

    Es hat sich eine derart abgehobene Einstellung der Einzelnen etabliert, dass es heute wohl kaum noch Debatten wie zu Zeiten Schmidt`s oder Blüm oder Genscher geben wird.

    Auch liegen sich alle Parteien dermaßen nahe in den Argumenten, dass es fast schon als unmöglich anzusehen ist, dass es wirklich produktive Debatten geben wird.

    Die AFD allerdings, hat sich in kürzester Zeit zu einem Spektakelhaufen entwickelt, der wahrscheinlich durch gezielte Diskussionen nicht mehr einzuhegen sein wird, den denen sind echte Argumente Sch...egal!

    Haben sie schon mal versucht ein renitentes Kleinkind, welches partout seinen Kopf durchsetzen wollte, mit Argumenten zu kommen und wissen sie noch wie das ausging?

    Genauso wird es mit der AFD im Bundestag kommen. Denen sind Argumente egal, solange sie es irgend wie schaffen der Öffentlichkeit zu zeigen, das sie in der Opferrolle sind und , wenn auch mit den nichtigsten Argumenten, eine Streitdebatte vom Zaun zu brechen, unabhängig wie Sinnlos diese dann ist!

     

    Merkel und Konsorten sind zwischenzeitlich so unbeweglich im Denken und Handeln geworden, dass sie so weiter machen wie bisher.

    Merkel hat ja bereits die Aussage getroffen, dass sie keine Fehler, weder in ihrer Regierungszeit, noch im Wahlkampf gemacht hat!

     

    Demnach sind aus der Sicht von Bundeskanzlerin Angela Merkel, mangels anderer Fehlerquellen, die Wähler der Bundesrepublik Deutschland allein schuldig am Wahlergebnis der AFD von fast 13%!!!

  • Wie mit dieser Partei im Bundestag umzugehen ist wird wohl, auf Grund fehlender Erfahrungswerte, noch eine ganze Weile Gegenstand der Diskussion sein.

     

    Dazu nur eines: Eine Plattform für ungehemmten Populismus und Krawall-Rhetorik gab es für die AfD bereits außerparlamentarisch. Die etablierten und funktionierenden Regeln des parlamentarischen Betriebes und das Korsett der Geschäftsordnung werden aller Wahrscheinlichkeit nach auf die Breite der Abgeordneten eher mäßigenden Einfluss haben.

     

    Die Anwort auf Populisten sollte immer heißen, sie in der Debatte zu stellen und die inhaltlichen Unzulänglichkeiten bloßzustellen.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Medianw%C3%A4hlermodell

     

    Das soll kein "alles halb so wild" bedeuten sondern nur ein Denkanstoß dazu sein, nicht ebenso in die Defätismus-Falle zu tappen.