Kommentar Ratingagenturen: Die scheinheiligen Regierungen
Merkel, Sarkozy und auch Obama scheint das Urteil der Finanzmärkte über ihre Arbeit wichtiger zu sein als das der Bevölkerung.
W ieder einmal grätscht einer der drei US-Ratingriesen bei der Bewältigung der Eurokrise dazwischen. Nach der am Wochenende erfolgten Herabstufung der Bonität von gleich 9 von 17 Eurostaaten, darunter auch Frankreich und Österreich, hat mit Standard & Poors (S & P) die aggressivste Ratingagentur nun auch den Eurorettungsschirm EFSF im Visier.
Damit fühlt sich erstmals auch die Bundesregierung unmittelbar von S & P attackiert. Nun schwadroniert selbst die Kanzlerin darüber, dass man im Umgang mit den Ratingagenturen mal über eine Änderung nachdenken könnte. Was für ein scheinheiliges Geschwafel. Dass S & P überhaupt imstande ist, die gesamte Eurozone in den Ruin zu treiben, haben sich die Regierungen selbst zuzuschreiben.
Im Zuge der Liberalisierung der Finanzmärkte der vergangenen zwei Jahrzehnte erkannten die staatlichen Regulierungsbehörden zwar durchaus, dass den Kunden immer obskurere Anlageprodukte angedreht werden. Doch statt sich selbst ein Bild über die aus dem Ruder laufenden Finanzprodukte zu machen und sie entsprechend zu beaufsichtigen, überließen sie diese Aufgabe den Ratingagenturen.
ist Redakteur im taz-Ressort "Wirtschaft und Umwelt".
Selbst nach der Lehman-Pleite von 2008 hielten sie es nicht für nötig, staatlich regulativ einzugreifen. Stattdessen übertrugen sie die Aufsicht wieder den privat betriebenen Agenturen Fitch, Moodys und S & P und bauten deren Macht noch mehr aus.
Es stellt sich die Frage, warum Merkel, Sarkozy und auch Obama das schädliche Ermächtigungsgebaren dieser Ratingriesen bis heute zulassen. Der Verdacht drängt sich auf, dass ihnen das Urteil der Finanzmärkte über ihre Arbeit wichtiger ist als das der Bevölkerung. Ratingagenturen schaden der Demokratie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!