Kommentar Räumung der Protest-Camps: Occupy geht weiter
Die Occupy-Bewegung hat mit ihren Fragen längst überfällige Dogmen hinweggefegt. Die Besetzer gehören nicht vor Gericht gestellt, ihnen gebührt Dank und Lob.
D as ist sicher: Die US-BesetzerInnen haben Historisches geleistet. In weniger als zwei Monaten haben sie den bleiernen Deckel gelüftet, der auf den zentralen Debatten der USA lag. Und dabei Dogmen über Bord gefegt, die alternativlos schienen.
Occupy hat Fragen gestellt, die längst überfällig waren - aber angesichts der Meinungshoheit rechter PolitikerInnen mit finanzstarken UnterstützerInnen untergingen. Die BesetzerInnen haben die extreme soziale Ungleichheit an den Pranger gestellt, den Einfluss großer Konzerne zum Thema gemacht.
Sie wollen Kriege beenden und die Umwelt retten. Und: Sie betrachten den Rest der Welt dabei als gleichberechtigte Partner.
Es ist die Summe dieser Punkte, die Occupy von früheren sozialen Bewegungen in den USA unterscheidet. Diese Bewegung meint das große Ganze. Sie sucht bei der Machtkonzentration an Wall Street und in den großen Konzernen nach der gemeinsamen Wurzel verschiedener Übel.
ist USA-Korrespondentin der taz in Washington.
Dabei erwies es sich als Stärke, dass Occupy nicht aus den Minderheiten kam, sondern viele Schichten der US-Gesellschaft repräsentiert.
Gemeinsam ist den BesetzerInnen, dass die meisten zur Zeit des Mauerfalls zur Welt gekommen sind. Dass sie in einem Regime mit ultraliberaler Wirtschaftsdoktrin und daraus resultierenden Kriegen aufgewachsen sind. Und dass sie zuletzt an einen Präsidentschaftskandidaten geglaubt haben, der Veränderung versprach.
Als die nicht kam, haben die BesetzerInnen die Sache selbst in die Hand genommen. Haben die Tradition des gewaltfreien Widerstands genutzt und sich mit Fantasie und Witz und an jene Stelle begeben, an denen zuvor fähnchenschwingende, weiße, ältere Mittelschichtsangehörige die Themen diktierten. Dafür verdient Occupy Lob und Dank.
Die BesetzerInnen gehören nicht in die Hände von Polizisten, nicht in Handschellen und schon gar nicht in die Angeklagtenbänke vor Gericht. Sie sind Hoffnungsträger für ein ganzes Land.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht