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Kommentar Proteste in der UkraineJanukowitschs Amnesie

Kommentar von Barbara Oertel

Mit Schlagstöcken und Tränengas gegen Demonstranten? Damit wird die Regierung die aufgebrachten UkrainerInnen nicht einschüchtern können.

Schlagkräftig: Boxprofi und Oppositionspolitiker Vitali Klitschko am Sonntag inmitten der Menschenmasse. Bild: ap

I n der ukrainischen Staatsführung macht sich Panik breit. Anders ist der brutale Polizeieinsatz gegen proeuropäische Demonstranten am Wochenende mit zahlreichen Verletzten und Dutzenden Festnahmen nicht zu erklären.

Doch glaubt die Regierung allen Ernstes, den Protestierenden mit Schlagstöcken und Tränengas beikommen zu können? Oder mit Gerichtsentscheidungen, die Unmutsbekundungen der Bevölkerung auf dem Europa- und Freiheitsplatz in der Hauptstadt Kiew bis zum 7. Januar 2014 verbieten? Mit der abstrusen Begründung, dort sollen Tannenbäume und Weihnachtsmärkte aufgebaut werden?

Diejenigen, die zu Tausenden seit eineinhalb Wochen Tag für Tag nicht nur in Kiew, sondern auch in anderen Städten gegen Staatspräsident Wiktor Janukowitsch und seine Regierung auf die Straße gehen, werden sich davon weder einschüchtern noch beeindrucken lassen.

Dass die UkrainerInnen Durchhalte- und Stehvermögen besitzen, haben sie bereits im Herbst 2004 im Zuge der Orangenen Revolution eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Damals harrten Hunderttausende wochenlang bei eisigen Temperaturen aus und erzwangen so eine Wiederholung der Stichwahl für das Präsidentenamt, die der Wahlfälscher Wiktor Janukowitsch gegen seinen Widersacher Wiktor Juschtschenko verlor.

Auch die Opposition muss bereit sein zum Dialog

Ebenjener Janukowitsch muss jetzt entweder unter Amnesie leiden oder er hat seine Landsleute – wieder einmal – unterschätzt. Denn für einen Großteil vor allem der jungen Leute kommt Kiews Nein zum Assoziierungsabkommen mit der EU und damit eine Abkehr von Europa einer vertanen Chance für eine bessere Zukunft ihres Landes gleich.

Es ist jetzt an der Regierung, dafür Sorge zu tragen, dass die Situation nicht außer Kontrolle gerät. Dabei geht es vor allem auch darum, Provokationen zu vermeiden und keine Szenarien zuzulassen, die aus Russland und Weißrussland nur allzu gut bekannt sind.

Doch auch die Opposition muss dazu ihren Beitrag leisten. Sie ist, wie der Aufruf zum Generalstreik beweist, entschlossen, keinen Schritt zurückzuweichen. Aber auch das muss die Möglichkeit eines Dialogs mit den Machthabern nicht ausschließen.

Wie auch immer sich die Kraftprobe in den kommenden Tagen weiterentwickelt: Gewalt, von welcher Seite auch immer, wäre die falscheste und folgenschwerste aller Antworten.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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8 Kommentare

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  • D
    Denis

    Die Ukrainer sehen ihre Zukunft verständlicherweise nicht in einer Zwangsallianz mit Russland, da Russland der Ukraine nichts zu bieten hat. Russland steht Rückschritt, Willkür, Gewalt und Korruption.

  • Die meisten Demonstranten sind aus den verarmten westukrainischen Provinzstädten mit Reisebussen herangekarrte Arbeitslose und Fussballhooligans mit rechtsradikalen Ansichten. Die Demos werden von offen faschistischen und antisemitischen Parteien wie 'Swoboda' organisiert.

     

    Schöne Verbündete hat sich die EU da ausgesucht. Naja, in Moskau unterstützt sie ja auch den 'Nationalbolschewiken' Limonow. An was sich Brüssel nicht alles die Hände schmutzig macht, den schönen Grossmachtträumen und Expansionsplänen zuliebe...

    • @Benz:

      Wo haben Sie denn bitte diese Information her? Viele Demonstranten kommen aus der (im weiteren Sinne) ukrainischen Mittelschicht - Studenten, Angestellte, normale Bürger eben. Ich will nicht behaupten, dass da alles super ist (und die Swoboda ist wirklich ziemlich schlimm), aber Sie diffarmieren hier Zehntausende Ukrainer und Ukraininerinnen, die für ihre Überzeugungen auf die Straße gehen, indem Sie ihnen vorwerfen, gekaufte Hooligans zu sein.

       

      Mit Verlaub, Benz, Sie klingen für mich, als würden Sie sich ausschließlich über die russischen Staatsmedien über die Ereignisse informieren.

  • Liebe Kommentierende,

    angenommen, die jetzige ukrainische Regierung ist demokratisch gewählt - das heißt aber ja wohl nicht, dass man deshalb nicht gegen sie protestieren darf. Wie stellen Sie sich das denn vor? "Es gab letztes Jahr eine Wahl, also haltet die Klappe?" Sie haben schon ein seltsames Demokratieverständnis. Seltsamerweise geht praktisch niemand FÜR Janukowitsch und seine Partei demonstrieren, aber Hunderttausende demonstrieren gegen seinen anti-EU-Kurs. Da halte ich es schon für eine ziemliche Frechheit, den Demonstrationen die Relevant und Legitimität abzusprechen.

  • "Dass die UkrainerInnen Durchhalte- und Stehvermögen besitzen, haben sie bereits im Herbst 2004 im Zuge der Orangenen Revolution eindrucksvoll unter Beweis gestellt." Tatsächlich haben die Ukrainer etwa im Herbst 2012, als sie mehrheitlich die republikanischen Parteien wählten, die sich an der derzeitigen Regierung beteiligen, eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass sie sich von der offenen, unverhüllten Parteinahme der EU für den "orangenen" Mummenschanz der Russophoben Timoschenkos, Klitschkos und deren offen faschistischen und antisemitischen Verbündeten von "Swoboda" nicht einschüchtern lassen.

  • A
    Arne

    Interessant.

    Unter den Staaten, deren Nationaleinkommen pro Kopf im letzten Jahr abgenommen hat, sind 50% EU-Staaten.

    Mich würde auch mal interessieren, wer den Ukrainern diese Lügen auftischt, dass es eine Zukunft darstellen könnte in eine solche doch eher ökonomisch negativ wirkende Gemeinschaft einzutreten?

    Kein einziger Nicht-EU-Staat in Europa hatte Nachteile, wenn er nicht in der EU war. Ukraine ist mit einem Wachstum von knapp 2% zwar schlecht verglichen mit Ländern wie Weißrußland (gute 4% Wachstum), aber solche Staaten hatten auch keine Tymoschenkos oder Juschtenkos in der Führung, die nach Gutsherrenart die Staatsfinanzen an sich selbst und ihre EU-Freunde verschleudert haben.