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Kommentar Proteste in IndienVolkssport Vergewaltigung

Sven Hansen
Kommentar von Sven Hansen

Die Proteste in Indien haben eine Debatte ausgelöst, die Chancen für Reformen bietet. Außer einem Verbot getönter Busscheiben wird aber wohl nicht viel passieren.

N och ist nicht ausgemacht, ob Indiens Politik und Gesellschaft nach der brutalen Gruppenvergewaltigung einer 23-jährigen Studentin wieder zur Tagesordnung übergehen. Die Gefahr ist allerdings groß, dass die Forderungen Zehntausender DemonstrantInnen nach mehr Schutz für Frauen schon bald vergessen sind, obwohl die „größte Demokratie der Welt“ hier großen Handlungsbedarf hat.

Die indische Gesellschaft kennt zwar Göttinnen, hatte schon eine Staatspräsidentin, eine Premierministerin, die Hauptstadt wird heute ebenso von einer Frau geführt wie einige andere Bundesstaaten und die größte Partei des Landes. Doch während die politischen Führerinnen oft aus der Oberschicht kommen und ihre Position nicht selten dem Vater oder Ehemann verdanken, hat Indien auch eine Geschichte von Witwenverbrennungen und eine Gegenwart millionenfachen Femizids, der gezielten Abtreibung weiblicher Föten. Trotz Lippenbekenntnissen zur Gleichberechtigung diskriminiert die indische Gesellschaft weiterhin Frauen, wie auch die verbreiteten Mitgiftforderungen zeigen.

Für Frauen, besonders für welche aus einfachen Verhältnissen, ist sexuelle Belästigung alltäglich und das Risiko einer Vergewaltigung allgegenwärtig. Der Fall der 23-Jährigen, die in einem Bus von einer Bande vergewaltigt wurde, hat das Thema auf die Tagesordnung gesetzt. Neu-Delhi ist mit einer Vergewaltigung alle 18 Stunden Zentrum dieser Verbrechen. Die Ursachen liegen im juristischen, polizeilichen und gesellschaftlich-kulturellen Versagen: Die vorhandenen Gesetze werden zu wenig durchgesetzt. Die Täter werden kaum verfolgt und noch seltener bestraft, sodass der Abschreckungs- und Strafwert gering ist.

Bild: taz
Sven Hansen

ist Asien-Redakteur im Auslandsressort der taz.

Auch die Polizei nimmt die Opfer nicht ernst genug. Die Äußerung eines Polizeiführers in Neu-Delhi, auch Männer seien doch dort vor Taschendieben nicht sicher, ist symptomatisch dafür. Vergewaltigung wird viel zu wenig als das geächtet, was es ist: ein durch nichts zu entschuldigendes Verbrechen. Stattdessen werden Opfer oft auch noch selbst dafür verantwortlich gemacht.

Der jetzige Fall hat im indischen Mainstream eine Debatte ausgelöst, die Chancen für überfällige Reformen bietet. Doch leider ist zu befürchten, dass außer kosmetischen Maßnahmen wie dem geplanten Verbot getönter Scheiben für Busse nicht viel passiert.

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Sven Hansen
Auslandsredakteur (Asien)
Asienredakteur seit 1997, studierte Politologie in Berlin und Communication for Development in Malmö. Organisiert taz-Reisen in die Zivilgesellschaft, Workshops mit JournalistInnen aus Südostasien und Han Sens ASIENTALK. Herausgeber der Editionen Le Monde diplomatique zu Südostasien (2023), China (2018, 2007), Afghanistan (2015) und Indien (2010). Schreibt manchmal auch über Segeln. www.fb.com/HanSensAsientalk @SHansenBerlin
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10 Kommentare

 / 
  • PM
    peter Müller

    Komisch: Ich lese hier, dass in Indien die Vergewaltigung ein Volkssport ist. Und in einer anderen Zeitung steht das gleiche über Afrika. Aber warum lese ich dann gleichzeitig, dass diese Kulturen eine Bereicherung sind? In welcher Hinsicht werden wir bereichert?

  • S
    Synoptiker

    Die Frauen brauchen internationale Solidarität, direkte Einflussnahme durch westliche Regierungen und das Thema gehört auf die Agenda der UNO ! Sonst wird die Steinzeit nie den indischen Sub-Kontinent verlassen.

  • P
    Problemkind

    Auch wenn die Gesetze in Deutschland in puncto Vergewaltigung nicht hart genug sind, so ist dies keinesfalls mit der Mentalität vieler Inder un der Situation hier vergleichbar. Ich bin selbst gerade in Indien und erlebe tagtäglich den Wahnsinn, den eine Frau hier erfahren muss. Auch ohne vergewaltigt zu werden ist es an vielen Orten einfach kaum aushaltbar. Angestarre, Belästigungen in Form von geträllerten "Liebesliedern", Angetatsche und respektlosigkeit gegenüber Ehepartnern sind an der Tagesordnung. Frauen sind an vielen Orten eine Seltenheit im Straßenbild - und ich weiß genau warum. Man hat irgendwann keinen Bock mehr auf die Straße zu gehen, eben aus genannten Gründen. Dies ist eine Situation, die für meine Begriffe in keinster Weise akzeptabel ist.

     

    Als wenn dies nicht schon genug wäre, zeigt die (männliche) Gesellschaft keinerlei Verständnis für diese Probleme, wenn man sie anspricht. Es wird abgestritten, dass sie überhaupt existieren und man als "weiße Frau" eben angestarrt wird. Ich lebe nun lange genug hier, um unterscheiden zu können, was ein belästigendes Anstarren ist, und was eines aus Neugier und Interesse. Das Bild, das man von westlichen Frauen hat ist ein sehr erschreckendes, vor allem im Vergleich zu dem prüden "Durchschnittsinder", der mit Sexualität und dessen beiderseitigen Genuss nicht mehr viel zu tun zu haben scheint. Dass das Kamasutra einst hier erfunden wurde, ist nicht nachvollziehbar.

     

    In Indien als Frau alleine zu Reisen ist von mir jedenfalls keine Empfehlung!

    Das Thema Indien ist meiner Meinung nach etwas komplizierter, da sich vieles auf festverankerte Traditionen in der Gesellschaft zurückführen lässt.

  • T
    tommy

    Solche Kommentare wie von "neo" gibts auch wirklich nur bei der taz. Immer wieder interessant, auch wenn der Einblick in das linksalternative Milieu zuweilen doch etwas gruselig ist.

  • L
    Lars

    Oh je. Kommentare bei taz.de waren auch schon mal klüger.

  • N
    Neo

    Ist mein Kommentar schon wieder zu kritisch.

    Romantriologie von Stieg Larsson Journalist und Autor: Verblendung(Originaltitel "Männer die Frauen hassen")-Verdammnis-Vergebung

     

    Neo, die Unbestechlichen

    Neo, die Unbestechlichen

     

     

     

    REDAKTION: Das Freischalten dauert manchmal etwas.

  • N
    Neo

    Der Journalist Stieg Larsson hat in seiner Roman-Triologie genau diese Thematik als Gesellschaftskritik in Romanform thematisiert und als engagierter Journalist sowieso.

     

    Neo, die Unbestechlichen

  • H
    Hamburgerin

    Ich gebe Der kleene Zampano Recht:

    Solange eine Vergewaltigung nicht als schwere Körperverletzung hier in Deutschland gilt, solange brauchen wir uns über andere nicht aufregen.

  • A
    AntiFunt

    Mensch Zampano, lass doch diesen menschenfeindlichen Faschorassismus, es ist nun mal Aufgabe jedes Multikulturalisten, Menschen ihrer Kultur (welche immer und per se unangreifbar und toll ist, solang bestimmte Bedingungen erfüllt sind) entsprechend zu behandeln.

     

    Gleichheit vor dem Gesetz? Was für ein Nazikonzept.

     

    Gruß an den Zensor, mal schaun, ob dieser rassistische Kommentar durchkommt.

  • DK
    Der kleene Zampano

    Auch hier in Deutschland werden boshafte Vergewaltiger gerne von der Justiz aufs Bewährungs-Samtpolster gebettet - wie neulich in Berlin (mal wieder). So gesehen haben wir keinen großen Grund, uns groß über die Inder aufzuregen.