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Kommentar Proteste am 15.OktoberWir wollen die Krise begreifen

Felix Lee
Kommentar von Felix Lee

War der Samstag der Beginn einer globalen Bewegung? Zumindest in Deutschland kann davon leider noch nicht die Rede sein. Es war mehr der Wunsch nach Aufklärung.

W as für ein 15. Oktober. Noch nie hat es zum selben Anlass in so vielen Städten so viele Proteste gegeben. Nicht einmal bei den Großdemonstrationen 2003 gegen den Irakkrieg gingen so viele Menschen zeitgleich auf die Straße.

Ob in Hongkong, Lübeck oder Denver - in mehr als 80 Ländern fanden Proteste gegen das Gebaren der Banker statt und gegen PolitikerInnen, denen es am Willen fehlt, diese inzwischen nicht mehr nur geldgierige, sondern kapitalvernichtende Branche zu bändigen. War der Samstag der Beginn einer neuen globalen Bewegung? Zumindest auf Deutschland bezogen, kann davon leider noch nicht die Rede sein.

Beim Gros der Demonstrierenden hierzulande fiel vor allem eins auf: Es waren Fragen und der Wunsch nach Aufklärung, was sie auf die Straße trieb. Das unterscheidet sie positiv von dem mauen Protest 2009 im Zuge der Lehman-Pleite - als Banken sich schon einmal mit Milliarden von Steuergeldern retten ließen, weil sie sich verzockt hatten. Kapitalismuskritische Aufrufe von Attac und linken Gruppen verhallten damals.

Bild: privat
FELIX LEE

ist Redakteur im taz-Ressort "Wirtschaft und Umwelt".

Auch heute sehen sich die Demonstrierenden meist nicht als Kapitalismusgegner. Sie kommen zunehmend aus der Mitte der Gesellschaft, und sie beschäftigt ein diffuses Unbehagen an der bisherigen Europolitik, denn sie glauben, dass etwas Gefährliches bevorsteht. Auch G 20, IWF und Weltbank vertrauen sie nicht. Vor allem aber wollen viele die Krise verstehen. Sie akzeptieren die Worthülsen der Eliten nicht mehr, sie wollen über Zusammenhänge und Gegenprogramme besser informiert werden.

In Ländern wie Spanien, Griechenland und den USA, wo sich die Finanzkrise längst unmittelbar auf das reale Leben des Einzelnen auswirkt, haben die Proteste einen konkreten Bezug. In Deutschland jedoch, das als Hort der Stabilität für Anleger aus aller Welt bislang von der Krise profitiert hat, fehlt dieser bislang.

Und es mangelt an Bewusstsein dafür, wie sehr deutsche Banken und deutsche Politik die weltweite Krise mitverursacht haben. Ursachen und Verursacher müssen endlich klar benannt werden - FDP und Ackermann bieten da genügend Angriffsflächen. Mit ihnen ließe sich prima ein Anfang machen.

Vieles hängt jetzt davon ab, dass die Proteste vom Samstag kanalisiert und dass auf die Fragen auch Antworten gefunden werden - auch von Außerparlamentariern.

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Felix Lee
Wirtschaft & Umwelt
war von 2012 bis 2019 China-Korrespondent der taz in Peking. Nun ist er in der taz-Zentrale für Weltwirtschaft zuständig. 2011 ist sein erstes Buch erschienen: „Der Gewinner der Krise – was der Westen von China lernen kann“, 2014 sein zweites: "Macht und Moderne. Chinas großer Reformer Deng Xiao-ping. Eine Biographie" - beide erschienen im Rotbuch Verlag.
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9 Kommentare

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  • T
    Tschekka

    "...und gegen PolitikerInnen, denen es am Willen fehlt, diese inzwischen nicht mehr nur geldgierige, sondern kapitalvernichtende Branche zu bändigen...". das Bankenbashing in den Medien und von Seiten der Politik ist reine Volksverdummung. Die Menschen wurden dadurch benebelt und protestieren nun-gegen die Banken. Wer aber, Herr Lee, hat wohl den Banken durch entsprechende Gesetze erst die Tore geöffnet? Na? Die politische Klasse dieses Landes. Dass manche dieser Leute nun die Proteste gegen die Banken loben (Özdemir, Schäuble!), ist scheinheiliger Populismus der Verursacher.Herr Lee, suchen Sie sich zB den taz Artikel über die smarten Jungs der EX-MP Heidi Simonis. Dass so jemand wie die noch lächelnd durch Talkshows touren darf, ohne verhaftet zu werden, ist Teil des Problems. Wer hat die anderen Banken, die BayernLb, WestLB usw soweit gebracht? Was hat die Politik der Regierung Irlands mit dem plötzlichen Hilfebedarf für die irischen Banken zu tun? Was führte in Griechenland zu diesen Zuständen usw? Da sollten sie sich etwas informieren, vielleicht gelingen dann andere Artikel.

    P.S.:Attac führte 2010 ein sogen. Bankentribunal durch.Fazit von Attac: "Gerhard Schröder (SPD) als Kopf der rot-grünen Bundesregierung (1998-2005) trägt die wesentliche politische Verantwortung für die Vorbereitung der Finanz- und Wirtschaftskrise in Deutschland" heißt es dazu in der FR vom 9.4.2010.

  • GM
    Günther Marx

    Voreilige Antworten werden seit 3 Tagen von vielen gegeben, die uns gerne kanalisieren wollen. Wir sollten an den guten Fragen weiterarbeiten.

  • A
    Anna

    Ich bin aus der Mittelschicht, mir geht es finanziell (zu) gut, trotzdem bin ich Kapitalismuskritikerin. Täglich verhungern 35.000 Menschen durch Lebensmittelspekulation und Landzerstörung durch Konzerne etc. Sklaverei und Menschenhandel nehmen zu und wir profitieren davon. Ich bin empört, dass so viele Menschen das noch immer verdrängen, ich habe dafür kein Verständnis. Es gibt genug für alle aber die gierigen Menschen lassen ohne mit der Wimper zu zucken Millionen Menschen krepieren.

  • AS
    Andreas Suttor

    In der Tat profitiert Deutschland derzeit von der aktuellen "Krise". Noch nie konnte sich der Bundesfinanzminister so günstig Geld leihen, noch nie konnte man so günstig Häuser finanzieren usw.usw.usw. Daß die Protestbewegung daher in Deutschland keinen aktuellen Bezug hat, ist sehr wohl war. "Occupy Wall Street" ist nämlich eine Bewegung von Leuten, die Angst um ihre Zukunft haben - nicht Angst um das System oder das Land, sondern ureigenste egoistische Gründe. Wo ich allerdings nicht zustimmen kann, ist die angebliche Frage nach der Ursache. Die Ursache ist nämlich die gleiche wie bei der ersten Bankenkrise - falsche Bankenstrategie zur Realisierung hoher Renditen, anstatt sich auf den wesentlichen Kern des Bankings zu konzentrieren - nämlich Geld für Investitionen bereitzustellen. Auch die Lösung ist einfach - Selbstreinigung durch Insolvenz der zu gierigen Banken. Im Gegensatz zu den gebetsmühlenartig wiederholten Gefahren des Zusammenbruchs von systemrelevanten Banken gibt es so etwas nämlich gar nicht. Das System wird überleben - auch und gerade nach der Insolvenz von Banken.

  • WB
    Wolfgang Bieber

    Die Proteste eröffnen den Regierenden in Europa die Möglichkeit zu einer weitreichenden Regulierung des Finanzsektors. Diese Chance sollten sie unbedingt nutzen.

    http://bit.ly/nZAodD

  • A
    A.Grech

    "Und es mangelt an Bewusstsein dafür, wie sehr deutsche Banken und deutsche Politik die weltweite Krise mitverursacht haben ... FDP und Ackermann bieten da genügend Angriffsflächen ..."

     

    Hmmm - und was ist mit SPD und Grünen? Immerhin waren sie von 1998 - 2005 ja auch ein bißchen beteiligt an der Sache. Oder glaubt der Autor, die sog.Ursachen dieser Krise können nur in Entscheidungen der Jahre 2009-2011 liegen?

  • G
    griesgramm

    Es hieß jahrelang, Griechenland müßten diese "Credit Default Swaps",also Versicherungen, auch bezahlen und jetzt ist die Griechenlandpleite eine Katastrophe für die Banken. Das verstehe ich wirklich nicht.

  • P
    PeterPan

    Sehr geehrter Herr Lee,

     

    ich bin Aktivist der ersten Stunde und wenn ich mir das öffentliche Bildungsystem, die öffentlichen Kindergärten, die immer deutlcher hervortretende Zweiklassenmedizin und die Frequnz bei öffentlichen Tafeln ansehe, dann ist es mir absolut unbegreiflich, wie Sie behaupten können, dass in Deutschland die aktuellen Bezüge fehlten! Wir werden von Tag zu Tag mehr und wir sind alle die 99% auch die Redaktion der Taz! Anstatt ständig nach dem Haar in der Suppe zu suchen, könntet Ihr uns vielleicht mal unterstützen, oder!?

  • M
    Mieder

    Wie arglos, beschämend und, ja: dumm ist denn das? Was haben Sie denn erwartet? Einen "kanalsierten", mithin dogamtisch ein-zieligen Protest? Eine Kraft, eine homogene Widerstandstruppe? Mann, falls Sie selbst eine Spur Kapitalismuskritik "im Blut" haben - was ja heuer tatsächlich nicht mehr originell ist; und warum übrigens sollen Leute aus dem Mittelstand nicht Kapitalismuskritiker sein? -, dann sollten Sie ein bisschen demütiger sein. Oder dankbar, dass jemand auf die Straße geht. Noch ein bisschen weniger Intelligenz und Empathie, Herr Lee, und Sie können sich als Pressesprecher bei der Pharma-Industrie, beim Industriellen-Verband, bei einem Versicherungs-Dachverband bewerben.