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Kommentar Post PrivacyUnfollow the Police!

Kommentar von Julia Seeliger

Post Privacy, die Gesellschaft ohne Privatsphäre – eine schöne Vorstellung? Verfechter dieser Idee behaupten, in digitalen Zeiten wäre Datenschutz überholt. Wie unpolitisch!

M ehr als ein Vierteljahrhundert nach der Ableitung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung sagen da welche, dass die Welt ohne Datenschutz besser wäre. Ist es nicht wunderbar, sagen sie, dass wir über unser Gegenüber mehr wissen? Wenn es möglich ist, im Netz Gleichgesinnte zu finden, weil ihre Daten diese Gleichheit verraten? Lassen sich gesellschaftliche Tabus nicht besser brechen, wenn wir wissen, dass es auch andere gibt, die so sind wie wir? Wäre die Befreiung der Schwulen nicht schneller vorangegangen, wenn das Netz sie alle zwangsgeoutet hätte?

Das Internet schafft neue Öffentlichkeiten und da ist es schon verständlich, sich auch mit ihnen auseinanderzusetzen. Die Vertreter von Post Privacy haben recht: Das Thema ist heiß. Das Netz ist allgegenwärtig und die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Die Facebookisierung ist weit vorangeschritten, und inzwischen nutzen auch immer mehr Menschen ortsbasierte Dienste, das bedeutet: Es fallen auch noch persönliche Daten an, die mit Orten verknüpft sind.

Daten können im digitalen und vernetzten Zeitalter unendlich kopiert werden. Je größer die Speichermedien werden, desto einfacher ist es, große Massen von ihnen zu sammeln. Und zu aggregieren. Vormals zusammenhanglose Daten können miteinander verknüpft werden: Profiling. Damit lassen sich neue Rückschlüsse ziehen. Mehr, als die Datensätze jeweils alleine verraten. Manchmal mehr, als die Person selbst über sich weiß.

Bild: privat
JULIA SEELIGER

JULIA SEELIGER ist Redakteurin bei taz.de

Post Privacy meint, dass eine transparente Gesellschaft die materielle Ungleichheit mindern wird. Wenn sich erst einmal alle Kontostände im Netz finden, und alle Lohn- und Gehaltsabrechnungen, dann würden die Menschen fragen, warum der eine weniger als einen Dollar am Tag erhält, andere 345 Euro im Monat und Dritte Millionen. Und dann würde sich etwas ändern.

Freie Daten, freie Menschen?

Das Gegenteil ist richtig. Die Menschen werden nicht freier, weil ihre Daten freier fließen. Die Veröffentlichung von Managergehältern verhindert nicht, dass diese in immer astronomischere Höhen steigen. Den Kapitalismus kann man nicht unfollowen. Man muss ihn überwinden oder regulieren – aber mit Laissez-Faire wird man ihm nicht beikommen können.

Nicht erst seit gestern werden Menschen finanziell diskriminiert, nur weil sie in der falschen Straße wohnen – Stichwort Scoring. Unschwer vorstellbar, dass private Krankenversicherungen gerne auf öffentliche Krankendaten zurückgreifen würden. Aus Post Privacy folgt: Der Kapitalismus entert weitere Bereiche des Lebens, nämlich im vormals Privaten.

Auch dem Staat muss der Zugriff auf persönliche Daten untersagt werden. Was heute normal ist, kann in Zukunft verboten sein – oder verdächtig. Vor dem 11. September wäre es als Spinnerei abgetan worden, eine Hatz auf Muslime zu befürchten. Knapp zehn Jahre später ist die Islamfeindlichkeit in Europa und den USA stark angestiegen. Dazu hat auch der Staat mit Ermittlungsmethoden wie der Rasterfahndung beigetragen. Zum Glück wurde sie 2006 vom Bundesverfassungsgericht als grundrechtswidrig untersagt.

Damit ist der Datensammelwut des Staates noch lange kein Riegel vorgeschoben. Die Vorratsdatenspeicherung wabert zwischen Verfassungsgericht und EU hin und her und es ist nicht sicher, dass sie nicht kommen wird. Die EU verhandelt mit den USA über ein Passagierdatenabkommen, ursprünglich war hier geplant, die Essensgewohnheiten der Reisenden zu erheben – Koscher oder Halal? Ein Schelm, wer aus solchen Daten die Religionszugehörigkeit erraten möchte.

Datenschutz ist möglich

Politikern, die solche Maßnahmen befürworten, kommen solche wie die von der Post-Privacy-Spackeria gerade recht. Solche Politiker sagen: Warum beschweren sich die jungen Leute denn, sie schreiben doch eh alles über ihr Leben ins Internet. Auch dienen solche Argumentationen als Ausrede für Politiker, die zu faul oder zu wirtschaftsliberal sind, um Dienste wie Facebook zu regulieren und diese Gesetze auch durchzusetzen.

Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sagt, dass sich national beim Datenschutz nicht mehr viel machen lässt. Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner schlug viel Schaum in der Streetview-Debatte, doch bei den Verhandlungen um die Novelle der EU-Datenschutzrichtlinie und um ein neues Safe Harbor Abkommen ließ sie sich nicht sehen.

Der Datenschutz im digitalen Zeitalter ist noch gar nicht angegangen worden – daran wird gerade gearbeitet. Vorschläge wie der Datenbrief wurden noch gar nicht ausprobiert. Die Datenschutzbeauftragten haben noch gar nicht in die Sanktionskiste gegriffen und Bußgelder verhängt, was sie doch eigentlich könnten. Auch gegen Facebook und Google.

Datenschutz ist möglich! Auch im digitalen Zeitalter. Nur weil digitale Zeiten anders sind, muss man doch nicht gleich aufgeben! Die freie Gesellschaft kommt nicht, wenn die Daten frei fließen. Das Gegenteil ist richtig: Freiheitsrechte nützen und schützen denjenigen, die sich sonst nicht wehren können gegen Staat und Wirtschaft. Nur, wenn absolute Diskriminierungsfreiheit durchgesetzt wäre, und das dauerhaft, wäre die Idee Post Privacy eine, die ernsthaft zu diskutieren wäre. Dann jedoch wäre diese Debatte eigentlich obsolet.

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14 Kommentare

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  • O
    octav

    Spackeria ist ein selbstgewählter Name der Bewegung.

  • ST
    Stefan T.

    "Spackeria"? - muss das sein?

  • MR
    Meinrad Rombach

    Ich las gerade: Hans G.Zeger: Paralleluniversum Web 2.0 - wie Online-Netzwerke unsere Gesellschaft verändern.

     

    Der Autor stellt ein Modell vor, das soziale Netze mit dem Vokabular der Physik als Paralleluniversen erklärt, in denen die bekannten physikalischen Gesetze unserer Realität nicht gelten. Die wechselseitige Bedeutung der Universen füreinander führen aufgrund der unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten zu Widersprüchen, z.B. beim Datenschutz.

    Als Auflösung stellt er eine Grundrechtscharta des Web2.0 Universums auf, die in 10 Artikeln die Bedingungen formuliert, wie wir als Spezies des realen Universums die Reisen zwischen den Universen regulieren könnten. Für eine Durchsetzung dieser Charta hält er allerdings nur eine Kraft geeignet: Wissensvermittler und Lernbegleiter, die in allen Universen gleichermaßen einen Charta-Bildungsauftrag umsetzen.

     

    Für mich wirkte die Lektüre erhellend in Bezug auf die Frage, wie Privatsphäre in Zukunft funktionieren kann.

  • I
    Irre

    @Brandeis

     

    "Datenschutz ist nicht perfekt und hat viele Schwachstellen, aber Datenschutz bleibt eine notwendige Utopie in einem freiheitlichen, demokratischen Rechtsstaat."

     

     

    Datenschutz ist keine Utopie, sondern lediglich eine schlichte Notwendigkeit im falschen Ganzen.

     

    Eine Utopie wäre es nach Adorno sich die Welt zu denken als einen gesellschaftlichen Zustand, "in dem man ohne Angst verschieden sein kann". Eine Welt also, die den Datenschutz tatsächlich überflüssig machen würde, weil die Daten keines Schutzes mehr bedürften.

     

    Das notwendige Sein des Datenschutzes müßte das kritische Denken also eher zur Konsequenz eines Sollens führen, nämlich dass die Welt nicht so sein sollte wie sie ist.

     

    Doch statt mit der Kritik an den Antagonismen der gesellschaftlichen Totalität anzusetzen, stricken die Ideologen des Post Privacy fleissig mit daran sie unaufhebbar zu vollenden. Das Nichtidentische endgültig zu liquidieren in der von ihnen propagierten totalen Identität von privater und öffentlicher Sphäre, die letztlich jede kritische Individuationsmöglichkeit auszulöschen bestrebt ist, zugunsten des sich selbst mit dem unwahren Ganzen identisch setzenden Subjekts.

     

    Und das wäre in der Tat das Ende jeder Utopie eines besseren Lebens, die wahrhafte Realisierung vom Ende der großen Erzählungen, wie sie von einem der geistigen Wegbereiter jener postmodernistisch gesinnten Post Privacy-Verfechter bereits 1979 ausgerufen wurde. Schöne neue Welt ...

  • B
    Besucher01

    Sie bringen es auf den Punkt. Was bringen einem viele Daten wenn man sie beliebig manipulieren und fälschen kann? Und das durch blosse Kombination der Datensätze? Das bringt uns keine Freiheit sondern Versklavung. Willkür um es mit einem Wort zu benennen.

  • PS
    Post Scriptum

    Ich wusste gar nicht, dass solche Verrücktheiten bei irgendwem Anklang finden können: die Privatsphäre abschaffen, um eine gerechte Welt zu bekommen!? Wie bitte???

    Die Leute wollen sich doch tatsächlich von Menschenrechten verabschieden. Die Datenschutzbeauftragte sind da wirklich in der Verantwortung zu handeln.

  • B
    Brandeis

    Ich weiß, man soll nicht immer sofort mit "1984" kommen, wenn es um Datenschutz geht.

     

    Das Problem, was einem bei der Lektüre des Werkes aber immer wieder bewusst wird, ist jedoch, dass ohne Privatsphäre, oder besser informationeller Selbstbestimmung, keine Individualität mehr möglich ist. Es entsteht automatisch Anpassungsdruck, man ist viel vorsichtiger mit dem, was man tut, wenn man nicht weiß, ob es nicht irgendwann wieder auftaucht.

     

    Gut trifft es auch das Bundesverfassungsgericht, wenn es feststellt:

     

    "Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß.

     

    Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, daß etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und daß ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten.

     

    Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist."

     

    (Nachzulesen unter http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv065001.html).

     

    Ich finde eine einmal erreichte Position sollte man nicht kampflos aufgeben. Datenschutz ist nicht perfekt und hat viele Schwachstellen, aber Datenschutz bleibt eine notwendige Utopie in einem freiheitlichen, demokratischen Rechtsstaat.

  • S
    sofias.

    wenn man die polizei unfollow'd merkt ma dann garnicht sie uns allen den datenschutz einprügelt…

    und dieses eine mal ist der staat dann auf der der seite der schwachen, ganz bestimmt!

     

    außerdem ist nach einem relativ detaillierten datensatz diskriminiert zu werden auch viel schlimmer als einfach aufgrund von namen und aussehen, ne?

     

    gibt es eigentliche eine korrelation zwischen linksetatismus und miserabler argumentation? ich fürchte da bräuchte ich mehr daten :P

  • S
    Sascha

    Ist die obige Kritik am Scoring, im Sinne "finanzieller Diskriminierung" " nur weil sie in der falschen Straße wohnen" nicht ein Argument für MEHR Transparenz und WENIGER Datenschutz?

     

    Erst durch besseres Profiling, wird nicht mehr nach äußeren Merkmalen wie Wohnort, Alter, Geschlecht etc diskriminiert, sondern nach objektiveren Merkmalen, z.B. in Bezug auf Krankenversicherungen: Ernährung, Sport & Freizeitgestaltung, etc.

     

    D.h. wenn man die "Unfairness" und der "Diskriminierung" durch Scoring kritisiert, müsste man FÜR weniger Datenschutz sein.

     

    Natürlich kann man das Scoring an sich kritisieren und sich wünschen, dass lieber alle gleich bewertet werden.

     

    Dann muss man aber zugeben, dass man eine egalitärere Gesellschaft möchte, in der diejenigen die sich gesund ernähren, weniger Risiken eingehen für diejenigen Zahlen, die unbekümmert durchs Leben gehen.

     

    Ich denke dieses Streben nach einer individuellen oder einer egalitären Gesellschaft, ist ein wichtiger Punkt der in der Post-Privacy Debatte mehr Aufmerksamkeit bekommen sollte.

  • P
    Phil

    Ganz gutes Plädoyer eigentlich. Dann also weiterhin viel Spaß auf twitter, flickr, xing, facebook, myspace, beim "Lesen, Kochen, Internet, Techno". Und beim "sehr liberal" sein, natürlich...

    abwegig!

  • H
    Hansi

    "Unfollow"? Was für eine dumme, peinliche Überschrift!

  • MP
    Matthias Pfützner

    Danke!

     

    Ich hätte mir nur einen noch etwas "polemischeren" Ton gewünscht, so klingt es etwas zu zahm!

     

    Dennoch: Danke! Sehr guter Beitrag!

  • M
    Marina

    Endlich mal eine elaborierte Antwort auf die Vorschläge, und kein bloßes Gezeter.

    Ich bin froh, dass diese Debatte losgetreten ist.

     

    Dabei schätze ich beide Ansätze gleichermaßen.

    Erstens Leute, die sich darum kümmern, dass Privates privat bleibt, und zweitens Post-Privacy-Leute, die versuchen, eine Gesellschaft zu bauen, in der es nicht schlimm ist, wenn Privates doch mal an die Oberfläche tritt.

    Das sind verschiedene Ansätze, aber deshalb nicht zwangsläufig ein Konflikt.

  • D
    dieKadda

    danke Julia!

    sprichst mir aus der Seele und bringst mein Bauchweh in Worte.