Kommentar Piratenpartei: Das neue Objekt der Begierde
Die Piratenpartei mausern sich plötzlich zu einer Alternative für bisherige grüne Stammwähler - weniger wegen ihrer konkreten Politik, sondern wegen ihrer Unangepasstheit.
P lötzlich wird der Wahlkampf in Berlin wieder richtig spannend. Nicht nur für die Wähler. Sondern vor allem durch die Wähler. Denn die haben sich - schenkt man den jüngsten Umfragen Glauben - ein neues Objekt der Begierde ausgeguckt: die Piratenpartei.
Der überraschende Aufstieg der Partei gewordenen Internetaktivisten geht einher mit dem anhaltenden Absacken der Grünen in den Umfragen. Wer mit offenen Augen durch die Stadt geht, kann den Zusammenhang fast nicht übersehen. Viele linksfühlende Stammwähler der Grünen sind durch die Möglichkeit, dass ihre bisherige Lieblingspartei mit der CDU koaliert, so irritiert, dass sie sich längst neue Optionen suchen. Da kommen die Piraten wie gerufen. Weniger wegen ihrer konkreten Positionen. Die kennt ja bisher kaum jemand. Aber die Piraten stehen für Unangepasstheit, irgendwie freakiges Spontitum - und jetzt haben sie auch noch den Makel verloren, dass eine Stimme für sie auf jeden Fall verloren wäre. All das dürfte reichen, um das noch fehlende halbe Prozent für den Einzug ins Parlament draufzusatteln.
Das hätte weitreichende Konsequenzen. Zweierkoalitionen mit absehbar knapper Mehrheit wie Rot-Rot oder Grün-Schwarz stünden im Parlament plötzlich drei Oppositionsparteien gegenüber - und hätten somit selbst rechnerisch keine Mehrheit mehr. Ein mathematischer Fakt, der linksskeptische Grüne eher noch beflügeln wird, ihr Kreuz bei den Piraten zu machen. Denn für eine rot-grüne Koalition würde es auch noch reichen, wenn ein paar Nerds das Parlament entern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles