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Kommentar PiratenparteiBasisdemokratie ohne Meinung

Kommentar von Svenja Bergt

Die Piraten haben immer noch kein Programm. Sind aber weiterhin sympathisch ehrlich. Ob das bis zur Bundestagswahl reicht? Wohl kaum.

N ein, ein fertiges Paket mit Antworten hatten die Piraten auch dieses Mal nicht dabei. Afghanistan? Eurokrise? Noch keine Beschlusslage der Partei, also keine Aussage, heißt es einmütig. Und ganz konsequent, auch auf Nachfrage.

Dies zeigt, dass die Parteispitze gelernt hat. Nachdem die Basis immer wieder Äußerungen des Parteivorstands heftig kritisiert hatte, hämische Kommentare inklusive, scheint er sich nun bewusst zu sein, dass die Basis es nicht goutiert, wenn ein Vorstandsmitglied mit eigenen Meinungen vorprescht.

Schließlich wollen die Piraten es anders machen als andere Parteien, basisdemokratisch arbeiten, Positionen von unten entwickeln, statt sie sich von oben diktieren zu lassen. Und die Meinungsäußerung eines Vorstandes - sei sie auch noch so persönlich - wird eben gerne als Meinung der Partei wahrgenommen. Also lieber keine Meinung?

Die Autorin

SVENJA BERGT ist Redakteurin im Berlin-Ressort der taz.

Schnelle Entscheidungen - da haben die Piraten recht - sind nicht immer gute Entscheidungen. Auch wenn es natürlich wünschenswert wäre: Wer glaubt tatsächlich, dass Parlamentarier stets genau wissen, zu was sie den Arm heben, vom Kreislaufwirtschaftsgesetz über die Pflegereform bis zum Eurorettungsschirm? Ein wenig Ehrlichkeit tut da gut, auch wenn es nur das Eingeständnis ist, das Thema in seiner Komplexität noch nicht durchgearbeitet zu haben. Und daher auch keine Lösung anbieten zu können.

Allerdings: Der Grad zwischen legitimer Ahnungslosigkeit und Ignoranz ist schmal.

Eine Partei, gerade eine, die den Gedanken an eine Regierungsbeteiligung nicht gänzlich unattraktiv findet, muss auch Antworten geben. Schließlich will sie in naher Zukunft gewählt werden - und nicht jeder potenzielle Wähler ist bereit, die Katze im Sack zu kaufen.

Wenn die Piraten nun darauf hinweisen, noch keine Antworten zur Eurokrise zu haben, weil ihre Mitglieder darüber entscheiden sollen, dann ist das legitim. Doch auf dem Parteitag im vergangenen Dezember standen Konzepte zur Wirtschaftspolitik auf dem Plan - und fielen dem Zeitmangel und anders gesetzten Prioritäten zum Opfer.

Sind die großen Lücken - nicht nur in der Wirtschaftspolitik, sondern auch in Sachen Klimaschutz, Gesundheit oder Außenpolitik - bis zur Bundestagswahl immer noch offen, dann hilft auch sympathische Ehrlichkeit nicht mehr weiter.

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Redakteurin für Wirtschaft und Umwelt
schreibt über vernetzte Welten, digitale Wirtschaft und lange Wörter (Datenschutz-Grundverordnung, Plattformökonomie, Nutzungsbedingungen). Manchmal und wenn es die Saison zulässt, auch über alte Apfelsorten. Bevor sie zur taz kam, hat sie unter anderem für den MDR als Multimedia-Redakteurin gearbeitet. Autorin der Kolumne Digitalozän.
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11 Kommentare

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  • DB
    der Blubb

    "macht sie zu einer Gefahr für die demokratische Kultur in diesem Land" Zitat Ende

     

    Ich hoffe doch inständig, daß Sie "alle Vier Jahre ein Kreuz machen bzw. alle zwei Jahre(Kommunal und so) nicht allenernsten als demokratische Kultur bezeichnen.

    Also ich versteh dann doch etwas Anderes unter demokratischer Kultur, denn Mitbestimmung hat nach wie vor nichts aber auch überhaupt nichts mit demokratischer Selbstbestimmung zu tun.

     

    ps. Ich habe ein Praktikum in einem Quartiersentwicklungbüro absolvieren "dürfen", und da musste man den wirklich engagierten Mitmenschen leider erstmal den Begriff Mitbestimmung erklären, weil das Bürgergremium, dass von den Behörden gefordert wurde, sich nämlich häufiger wunderte, warum gefasste Beschlüsse ihrerseits nur sehr selten von den Behörden (ergo demokratischer Staat)bei Entscheidungen beachtet wurden.

  • BB
    Bernhard Bartsch

    Ich habe seit über 40 Jahren jetzt CDU gewählt und vermutlich werde ich das auch weiterhin tun (jedenfalls werde ich ganz sicher keine "Piraten" wählen ;-), aber den "Piraten" bzw. NUR den "Piraten" vorzuwerfen, sie hätten keine Lösung für die Euro-Krise, ist absurd.

     

    Wer sich das herumlavieren der Regierung in dieser Frage anguckt (Keine Finanzhilfen, Finanzhilfen, keine Transferunion, ESM, keine Eurobonds, Eurobonds (?), keine Transaktionssteuer, Transaktionssteuer, keine Intervention der EZB, die EZB interveniert, natürlich nur vorrübergehend und über Umwege, kein Geld drucken, Geld drucken (?)), der sieht, dass diese Regierung auch keine Position hat.

     

    Und was ist mit der FDP, die ja ach so wirtschaftskompetent sein soll aber Geistes Kind und politischer Protegé jener Brandstifter ist, die die Euro-Krise, die ja bloß nur die verlagerte Form der Finanzkrise ist, zu verantworten haben? Wo ist deren Plan? Wo ist wenigstens ein Funken Selbstkritik?

     

    Es gibt keine und keinen. Dort wie hier lässt man sich vom "Befinden der Märkte" zu politischen Entschlüssen und Positionen treiben, die eine Halbwertszeit im Tagebereich haben. Mit Verlaub, das ist auch für mich keine Position und da bin ich auch von meiner Partei sehr enttäuscht.

     

    Ich würde mir wünschen, das man sich mal zurücklehnt, tief Luft holt und überlegt, wohin wir eigentlich im Großen wollen. Was unsere Werte sind und was daraus folgt.

     

    Die "Piraten" sind gänzlich ohne Verantwortung und können das tun. Dass sie es tun, ist ein Indiz dafür, dass man sich seiner Stärken und Schwächen wohl bewusst ist und sie gezielt einsetzt. Die politische Kunst ist durchaus vorhanden, trägt aber neue Kleider.

     

    Für diese abgeklärte Bedachtheit empfinde ich einige Sympathie, umso mehr, als ich sie anderswo inzwischen arg vermisse. Wenn nur die verqueren moralischen "Werte" nicht wären...

  • I
    ion

    @ Carsten (11.01.2012 12:39 Uhr)

     

    .... und Sie "tauchen" hier "auf" und schreiben "Gefahr" mit 'F*!' und "demokratische Kultur" mit 'C'?

  • K
    Kommentator (Pirat)

    Basisdemokratie ist das Gegenteil von "die katze im sack kaufen":

     

    - in abstimmungen in den parlamenten wird der kurs der basis ohne wenn und aber umgesetzt.

    der wähler weiß also vor der Wahl, was er bekommt.

     

    - korruption, ignoranz gegen wünsche der basis, billige Kompromisse, die üblichen - alle parteien kennzeichnenden - wahllügen der parlamentarier fallen weg.

     

     

    Ergo: Wer die etablierten parteien wählt - egal welche - wählt immer die katze im sack.

    Die Piraten wollen im KERN genau das Abschaffen.

     

    Basisdemokratie statt Lügen-/Katze-im-Sack-Normalbetrieb!

  • C
    Carsten

    Und wie immer bei Artikeln über die Piraten tauchen deren Fans auf und zeigen, dass Sachkenntnis und Begeisterung nicht Hand in Hand gehen müssen.

     

    Eine Partei, bei der man nicht weiß, ob sie für Grundeinkommen oder Liberalisierungen ist, kann nur von Menschen gewählt werden, denen der Inhalt letztlich egal ist und die nur mal eine neue, hippe, nicht so böse Partei wählen wollen. Dass die Piraten mit ihren pauschalen Vorwürfen diese Überzeugung - die anderen wären böse/korrupt - noch unterstützen, macht sie zu einer Gefahr für die demokratische Kultur in diesem Land.

  • FM
    Frau Müller

    Guten Morgen Frau Bergt,

     

    wenn man sich ihre letzten Artikel über die Piraten-Partei durchließt bekommt man das Gefühl, sie wollen dieser jungen Partei einfach keine Chance geben. Ich kenne ihre Motive nicht, aber ihre Kritik entbehrt meines Erachtens jeder Grundlage.

     

    Natürlich muss auch diese Partei letztendlich um regierungsfähig zu sein zu "allem" einen "Plan" haben, aber ich finde den Ansatz genau richtig, nicht zu allem gleich "irgendwas" zu sagen, nur damit man was gesagt hat. Das ist, wie sie auch festgestellt haben, eins der großen Probleme die unsere Politik aktuell hat. Die Einstellung, zunächst alles zu prüfen um dann einen gemeinsamen Konsens zu finden, vermisse ich in bisher JEDER der etablierten Parteien dieses Landes. Freuen wir uns doch, dass sie es tatsächlich ehrlicher mit uns meinen, als die Bisherigen. Daher gestatte ich persönlich der Piraten-Partei diesen Akt der Selbstfindung, da sie ja auch entsprechend jung sind. Das hat mir Ignoranz überhaut nichts zu tun.

     

    Genauso finde ich es vermessen, die Gender-Politik dermaßen in Frage zu stellen. Ich selbst bin Maschinenbauerin, daher kenne ich mich damit aus, wie es sich anfühlt als Frau in einer Männerdomäne zu arbeiten. Und ich kann nur sagen, es ist absolut dem thematischen Ursprung der Piraten-Partei zu "schulden", dass es so wenig Frauen gibt. Ich sehe das aber ganz entspannt. Je breiter das Konzept der Piraten-Partei wird, um so mehr wird sich das verlieren. Da wäre ein Quote sowas von ein Schuss ins eigene Knie, das können sie mir glauben. Ich möchte niemals Quotenfrau sein. Das müssen die Frauen ganz allein schaffen. Und ich denke ehrlich gesagt, dass gerade bei dieser Partei sicher mehr Männer dabei sind, die auch ihren Anteil dazu beitragen, dass das auch funktioniert. Sie wären wahrscheinlich eher froh, da dann endlich diese Debatte vorbei wäre.

     

    Grüße,

     

    Frau Müller

  • SG
    Steffen Geyer

    Den Raum für die öffentliche Diskussion über "Lücken im Piratenprogramm" sähe ich lieber darauf verwendet, dem Umstand nachzugehen, warum die anderen Parteien zu den bei ihnen klaffenden Inhaltsabgründen schweigen. Dem Autor empfehle ich, gelegentlich z.B. Sozialdemokraten nach der zukünftigen Drogenpolitik, Unionsvertreter nach ihren Gedanken zum Grundeinkommen oder Liberale nach Altersarmut zu befragen.

     

    Ein ehrliches "das haben wir noch nicht besprochen" ist mir allemal lieber als ein uninformiertes "weiter so". Es stünde den Regierigen und Opponierenden gut zu Gesicht, hier und da mal zu Wissenslücken und persönliche Interessensdefiziten zu stehen.

  • ND
    Nicolas D.

    Die Gefahr "die Katze im Sack" zu kaufen sehe ich viel mehr bei den Parteien, die lauthals zu allen Themen, auch wenn sie davon keinerlei Ahnung haben irgend einen geistigen Dünnschiss in die Welt posaunen.

     

    Jetzt kommt eine Partei, die offen und transparent ihre Positionsbildung für jederman nachvollziehbar im Internet durchführt und offen legt und den Mut hat zu bestimmten Themen, die für die es nun mal keinen Parteikonsens oder eine Position gibt, zu schweigen und dann wird das als Ignoranz eingeordnet? Interessant!

     

    Nach dem Motto: "Ist ja alles schön und gut, wenn jemand ehrlich zugibt, dass er keine Ahnung davon hat, aber eigentlich wollen wir (weil wir das aus der Politik gewohnt sind) letztendlich doch ein bisschen angelogen werden oder zumindest eine "kleine Katze" im Sack kaufen!" ;-)

  • M
    Martin

    Ich kann dem Artikel so nicht wirklich zustimmen. Gerade die anfängliche Einstellung der Piraten, nicht zu jedem Thema eine Meinung zu haben und sich quasi zur Themeninselpartei zu machen, fand ich hervorragend, deckt sie doch in aller Deutlichkeit ein Grundproblem der Parteien"demokratie" auf. Man setzt ein Kreuz alle vier Jahre, kauft damit aber ein komplettes Programm. Wer, sofern sich überhaupt mit dem konkreten Programm der jeweiligen Partei auseinandergesetzt wird, stimmt denn mit allen Punkten der Parteilinie überein? Wohl so ziemlich niemand und genau das ist das Problem. Zusätzlich besteht dann noch die Gefahr, dass gerade die Punkte derer wegen man die jeweilige Partei gewählt hat in den Koalitionsgesprächen über Bord geht und der Rest bleibt, den man evtl. sogar ablehnt.

     

    Die zweite Komponente ist die angebliche demokratische Legitimation mit der Parteientscheidungen gerechtfertigt werden. Gestern Abend erst wieder vom CDU Vertreter bei Hart aber Fair propagiert, angeblich war Wulff die demokratisch legitimierte Wahl, da er von den entsprechenden Mehrheiten berufen wurde. Nur wer bitte hat bei der Bundestagswahl sein Kreuz bei einer Partei gemacht um einen bestimmten Präsidenten zu wählen? Kein Mensch und genau da muss man ansetzen.

     

    Warum überhaupt Parteien? Die Piraten zeigen ja wunderbar das Grundproblem derer auf, es sind Vereinigungen von Politikern mit ähnlichen Ansichten, nur eben nicht auf jedem Gebiet. Warum daher überhaupt Parteien? Warum nicht in ein paar Kompetenzbereichen Einzelkandidaten auf Lokalebene wählen und diese dann in ein unabhängiges Parlament entsenden? Das wäre das Ende von Fraktionszwang, mitgehangen mitgefangen Entscheidungen und der abgehobenen volksfremden Parteientretmühle die Leute wie Wulff, Koch und Co. überhaupt erst hervorbringt.

     

    Ich finde die Piraten zeigen da ein paar demokratische Stolperfallen auf über die man vielleicht mal nachdenken sollte. Ich selbst bin überzeugter Demokrat, aber ich lehne das System repräsentativer Parteiendemokratur inzwischen recht entschieden ab.

  • HP
    Hamburger Pirat

    "Wer glaubt tatsächlich, dass Parlamentarier stets genau wissen, zu was sie den Arm heben,..."

     

    haha ... Beispiel aus Hamburg: ein knapp 250 Seitiges Dokument wurde den Abgeordneten (darunter auch zwei Piraten) erst 24h Stunden vor der Abstimmung ausgehändigt. von 17h bis 17h sollten alle Abgeordneten das lesen und verstehen (es ging um die Wohnungsbaupolitik im Bezirkt Hamburg Mitte).

    Auf Anfrage des Piraten Gerhold hoben nur 5 von (ich glaube) 25 Abgeordneten den Arm auf die Frage wer das gelesen hat und den Inhalt kennt.

    Der Antrag auf Vertagung der Abstimmung von den Piraten Gerhold und Bücher wurde von den anderen Parteien mehrheitlich abgelehnt und der 250 Seiten starke Antrag wurde durch gewunken.

     

    Finde ich dezent skandalös das man den Abgeordneten nicht mal dreivier Tage Zeit gibt 250 Seiten zu lesen.

     

    gefunden auf Facebook bei Herrn Gerhold

  • AS
    Andreas Suttor

    Ich kann nicht zustimmen. Fehlende "Positionen" zu einigen "Kernfragen" sind sympathisch, denn sie zeugen von mehr Realitätsnähe als die Machwerke der anderen Parteien, die sich Programm nennen. Erstmal was Vernünftiges erarbeiten, was etwas mit Realität zu tun, als die Plattitüden zu verbreiten, die in den anderen "Parteiprogrammen" oder auch "Positionspapieren" zu finden sind. Eines allerdings ist in dem Artikel richtig beschrieben: die geradezu peinliche Ahnungslosigkeit, mit der die meisten Abgeordneten Abstimmungen hinter sich bringen, wenn es sich nicht gerade um ihr spezielles von ihnen beackertes Spezialgebiet handelt -das oft reichlich klein und eingegrenzt ausfällt.