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Kommentar PiratenparteiPositionieren und ausschließen

Ulrich Schulte
Kommentar von Ulrich Schulte

Die qua Selbstdefinition unideologische Piratenpartei steht dem Ansturm weniger Ideologen hilflos gegenüber. Es ist unumgänglich, dass sie sich klar gegen rechts positioniert.

D er absurde historische Vergleich, den der Berliner Pirat Martin Delius gezogen hat, taugt nicht als Beleg für angebliche Rechtstendenzen seiner Partei. Der sonst bedacht und seriös auftretende Berliner Fraktionsgeschäftsführer hat sich schlicht verplappert, als er den Aufstieg der Piraten mit dem der NSDAP gleichsetzte.

Und indem Delius das Zitat einräumte, sich entschuldigte und von der Kandidatur für ein höheres Amt zurücktrat, verhielt er sich so vorbildlich, wie man es sich von anderen Politikern nach verbalen Fehlleistungen wünschen würde.

Nicht das rhetorische Ungeschick eines Einzelnen macht also das Problem der Piraten mit Rechtsextremismus aus. Dieses liegt woanders: Die qua Selbstdefinition unideologische Partei steht dem Ansturm weniger Ideologen in ihren Reihen hilflos gegenüber. Immer wieder machen einzelne Piraten mit offen geäußerten Ressentiments gegen Israel, die Juden oder mit kruden Ansichten zur deutschen Geschichte von sich reden.

Anja Weber
ULRICH SCHULTE

ist Leiter des Parlamentsbüros der taz.

Man kann einwenden, dass solche Unappetitlichkeiten naturgemäß zu einer jungen Partei gehören. Wer rasant wächst und ein verschwommenes inhaltliches Profil hat, zieht viele Frustrierte und Verrückte an. Doch so einfach ist es nicht.

Entscheidend ist, wie die Piraten mit solchen Auswüchsen umgehen. Und hier ist ihre Haltung – wie bei vielen Themen – bisher viel zu diffus: Zwar steht ein Bekenntnis gegen Faschismus in der Satzung, zwar treten führende Piraten in Interviews gegen Menschenverachtung und Ausgrenzung ein. Gleichzeitig aber plädieren andere ungestraft für Toleranz im Umgang mit rechten Parteifreunden und warnen vor Rausschmissen. Diesen Widerspruch löst die Partei bisher nicht auf, müsste es aber dringend tun.

Eine Liberalität ohne Überzeugungen, die alle Meinungen nur um der Freiheit des Einzelnen willen zulässt, ist gefährlich, weil sie Minderheitenrechte ignoriert. Und sie ist zutiefst unpolitisch. Politik benennt Unterschiede, klärt Mehrheiten und zieht Konsequenzen. Den Piraten steht eine solche inhaltliche Klärung bei vielen Themen bevor, auf Dauer wird ein charmantes „Wir diskutieren noch“ nicht reichen.

Insofern ist die aktuelle Debatte unumgänglich: Die Piraten müssen sich gemeinsam gegen rechts positionieren; und sich trauen, diejenigen, die das anders sehen, auszuschließen. Sonst können sie keinen Platz im demokratischen Parteienspektrum beanspruchen.

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Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
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16 Kommentare

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  • H
    HamburgerX

    @ron: Auch die Linkspartei hat eine extrem liberale (ich finde: fahrlässige) Einwanderungspolitik, dennoch sind ihre Anhänger bei Umfragen stets besonders kritisch gegenüber Migrationsfolgen eingestellt.

  • R
    ron

    sag mal taz:merkt ihr eigentlich langsam in welche ecke ihr die piraten trängt?das sieht man an diesen kommentaren hier,die nichts mit dem parteiprogramm der piraten gemein haben.

    die piraten haben mit die liberalste einstellung zu zuwanderung und asyl von allen deutschen parteien!warum wird das nicht erwähnt?weil es den grünen schadet?

    ihr hetzt so lange gegen die piraten bis es alle glauben und sich dann tatsächlich rechte und frauenfeinde bei den piraten wohlfühlen,weil sie denken das wäre ihre partei.

  • F
    Friedrich

    Ulrich Schulte: "...Der absurde historische Vergleich, den der Berliner Pirat Martin Delius gezogen hat, taugt nicht als Beleg für angebliche Rechtstendenzen seiner Partei. Der sonst bedacht und seriös auftretende Berliner Fraktionsgeschäftsführer hat sich schlicht verplappert, als er den Aufstieg der Piraten mit dem der NSDAP gleichsetzte...."

     

    Er hat sich verplappert? Was versteht denn der nachdenkende Mensch unter "Sich verplappern"?

     

    Er hat - unvorsichtigerweise - das ausgesprochen, was er im Innersten denkt!

     

    Dafür gehört Delius ausgeschlossen! Für sein "Verplappern" danke ich Delius, weil er vielen die Augen öffnet, um welche Menschen es sich bei den Piraten handelt!!

  • A
    Aha

    Ein deutlicher Kommentar:

     

    "Die Piraten müssen sich gemeinsam gegen rechts positionieren"

     

    Genau!!!!

     

    In einer Demokratie darf es nur "Links" geben. Und wenn sich schon gegen den Willen der taz eine neue Partei etabliert, dann hat diese gefälligst nur die Auffassungen der taz zu vertreten.

     

    Alles andere ist faschistisch!

     

    Oder vielleicht ist es auch genau umgekehrt!

  • B
    broxx

    "Sonst können sie keinen Platz im demokratischen Parteienspektrum beanspruchen."

    Hä???

    Solange die Partei der Mauermörder da ist können die Piraten sehr wohl diesen Platz beanspruchen! Und was heist schon rechts? Bei euch ist doch sogar die CDU rechts...

  • B
    Bernd

    Parteien sind keine Gesangsvereine mit einer harmonischen Einheitsstimme. In einer Demokratie wird nicht ausgeschlossen, sondern abgestimmt. Das tun die Piraten und sie haben recht damit, sich nicht von außen oder gar von der Spitzenfunktionärin einer anderen Partei (Frau Roth von den GRÜNEN) vorschreiben zu lassen, was sie zu tun haben. Das Grundsatzprogramm der PIRATEN ist eindeutig auf die Freiheitsrechte der Bürger fokussiert. Nazi-Positionen haben keine Chance bei den Piraten. Aber auch Zensur findet bei Piraten nicht statt.

  • R
    reblek

    "Ressentiments gegen Israel, die Juden" - Das soll eine zulässige Gleichsetzung oder auch nur Reihung sein? Wie sehen die "Ressentiments gegen Israel" aus? Könnte es sein, dass es sich um Kritik an der Politik des Staates handelt? Was hat die mit "Ressentiments" zu tun?

  • S
    Sebastian

    Dann sollen sich die Grünen erstmal von ihrem Deutschenhass distanzieren.

     

    Danach kann man weitersehen.

     

    Ich wähle Piraten...jetzt erst recht.

     

    Ich werde mal den Vorschlag dort einbringen das man, im Bundestag angekommen, erstmal sämtliche Parteien auf ihre Leichen im Keller untersucht.

     

    Wer weiss was da so alles rauskommen wird

  • L
    lef

    1. scheint interessanterweise die Empörung der etablierten Parteien (C.Roths Tiraden am lautesten) das Gegenteil zu erzeugen: Die meisten Kommentatare in allen Zeitungen zeigen, dass die Piraten dadurch eher Sympathie bekommen.

    2. scheint ein Dogma aufzubrechen: Nicht Jede/r, der/die Vergleiche mit der Zeit um 1932/1933 anführt, ist automatisch als Neonazi zu verunglimpfen, das Gegenteil beweist gerade dieses Beispiel. Diese kurze Zeit (1932/33) ist bislang wenig bekannt und sollte auch mal vorurteilsfrei betrachtet werden. Da kommt etliches sehr Interessantes zum Vorschein. KPD und NSDAP Seit`an Seit`im Streik, auch sonst viele Gemeinsamkeiten usw..

  • CA
    Captain Ahab

    Das klingt alles plausibel und von der Sorge um Rechtsstaatlichkeit getragen. Das Problem aber ist, dass manche in ihrer heiligen Einfalt - "Kampf gegen rechts" - einen Nationalsozialisten nicht von einem konservativen Bürgerlichen unterscheiden wollen oder können.

     

    Die TAZ ist in ihrer Undifferenziertheit ein Paradebeispiel für die Ausgrenzung Andersdenkender, indem in bigotter Art und Weise undifferenziert so ziemlich jede abweichende Meinung mit dem Etikett "rechts" versehen wird. Die Assoziationen zum Nationalsozialismus als totalitäre und unmenschliche Ideologie ist dabei im Sinne einer Diffamierung gewollt.

  • N
    nutellaberliner

    Ich würd ja gern mal Belege für die Massen an rechten Ideologen sehen, die in der Piratenpartei angeblich rumlaufen. Viel weiter als die Altfälle Thiesen und Turovskiy ist die TAZ noch nicht gekommen...

    Die Piraten haben ein Problem mit Leuten, die irgendwelchen Mist erzählen, das sind aber keine organisierten Rechten oder gar Ideologen, sondern die ganz normalen Bürger. Es spiegelt sich nur das wider, was anscheinend in der Bevölkerung nicht ganz unverbreitet ist. DAS sollte uns Sorgen machen, und zwar allen, nicht nur Piraten.

    Das Problem sind nicht diese Leute, sondern Piraten, die es nicht wagen, denen zu erzählen, dass sie Unfug erzählen und dies bitte woanders tun mögen. Das ist aber kein Nazi-Problem oder eines mit rechten Ideologen.

  • RU
    Rede- und Gedankenfreiheit!

    Warum müssen die Piraten gegen Rechts sein? Weil es linke, linkradikale und linksextreme Politiker und Journalisten so bestimmen?Sie müssen gegen Totalitarismus, Menschenverachtung und Diktatur sein. Das heißt in Deutschland konkret gegen National-Sozialismus und den Demokratischen Sozialismus. Beide haben wir ja erlebt und wissen was es ist. Die taz sollte sich lieber endlich gegen den Demokratischen Sozialismus aussprechen und sich davon distanzieren. Stattdessen kann eine Stalinistin bei taz-Kongressen ihre Propaganda rumposaunen. Ansonsten kann bei den Piraten im Rahmen der Verfassung, und diese regelt sehr wohl Rassimus und Antisemitismus, denken was er will. DAS stört die taz. Nur ist das immer mehr Leuten egal. DAS löst langsam Panik aus und man versucht die Piraten mit der Nazikeule und Unterwanderung zu einer weiteren links-linksradikal-linksextremen Partei zu formen. Es wird scheitern.

  • U
    Unbequemer

    Alle Piraten sofort zur "Kampf nur gegen Rechts"-Umerziehungsprogramm melden. LinksGrüne Ideologen werden warten darauf, euch in die Zwangsjacke des zulässigen Gedankengutes zu nehmen und euch von falschen Gedanken zu befreien und gleichzeitig eure Notwendigkeit zu widerlegen.

     

    Laßt euch nicht in die todbringende Zwangsjacke der Blockpartei CDUGRÜNELINKESPDFDP stecken.

  • WN
    wolfgang N.

    leider ein unnötiger Rücktritt.

    Piraten, lassen wir uns nicht auf die Rechts-Paranoia der Etablierten ein. Die paar Bekloppten, die sich einfinden in der Partei, werden in der frischen Brise und in unverfälschter

    Aufrichtigkeit der Partei nicht halten können.

    Der NSDAP- vergleich war unbeholfen, aber kein Vergehen. Dem Herrn kam es warscheinlich auf einen Vergleich von Geschwindigkeit, Begeisterung und Frische an. Keineswegs gings ihm um Inhalte.

    Es muss aufhören, dass allein die Nennung bestimmter Begriffe aus der Nazi-zeit zur Verurteilung führen.

  • G
    Gert

    Hat J. Sundermeier doch schon 2009 erkannt

     

    http://www.taz.de/Pro-und-Contra/!37356/

     

    und auch damals schon anlässlich eines Rechtsradikalismusskandals bei den Piraten.

     

    In drei Jahren nix dazugelernt.

     

    Ganz schön beschissen, wenn das Lerntempo mit dem Wachstumstempo nicht mithält

  • H
    HamburgerX

    Das Problem ist doch, wo man die Grenze zieht. Ich finde auch, dass die Piraten dazu ein Verfahren finden sollten. Sie müssen nicht jedes Statement eines Mitglieds hinnehmen, zumal, wenn es eindeutig strafbar ist. Allerdings finde ich es ok, wenn sie die rote Linie etwas weniger streng und aufgeregt ziehen als andere Parteien. Man hat doch an der Grass-Debatte gesehen, dass Antisemitismus schnell gerufen wird, aber so ein Vorwurf längst nicht immer eine Mehrheit findet.

     

    Beispiel, die einige aktuelle Fälle aus der Piratenpartei aufnehmen:

     

    1. Holocaustleugnung -> rote Linie überschritten

    2. Antisemitismus im Sinne des Verleumdens/Verächtlichenmachens von Juden -> rote Linie überschritten

    3. Isrealkritik ohne 2. -> rote Linie nicht überschritten

    4. Forderung, Holocaustleugnung straflos zu machen -> 4

    rote Linie nicht überschritten (denn: auch politisch unverdächtige Juristen sehen diese spezielle Einschränkung der Meinungsfreiheit kritisch, auch der bekannt-bekennende Israelfan H.M.Broder findet den Straftatbestand überflüssig)

     

    Ansonsten muss den Piraten natürlich klar sein, dass die anderen Parteien nur auf Fehler wie in den vergangenen Tagen warten. D.h., selbst wenn man die Aufregung nicht einsieht, so wird es doch notwendig sein, die Angriffsflächen zu reduzieren.