Kommentar Piratenpartei NRW: Die letzte Hoffnung der Piraten
Udo Vetter, Anwalt und Blogger, versucht die Piraten in NRW auf Stand zu bringen. Ihre Lage ist nicht gerade rosig – nicht nur in Nordrhein-Westfalen.
D er Düsseldorfer Anwalt Udo Vetter ist eine Netzpersönlichkeit, eine Berühmtheit aus den weltweiten Weiten. Bis zu 50.000 Zugriffe am Tag habe sein „Law Blog“, in dem der 47-Jährige juristische Feinheiten oft witzig und aufschlussreich aufarbeitet, versichert er. Außerdem gilt der Strafverteidiger, der seit einem halben Jahr Mitglied der Piraten ist, als geordnet und konstruktiv.
Bei der „FlauschCon“ in Bielefeld, wo die Piraten versuchen wollten, ihre Neigung zu Shitstorms und Selbstzerfleischung in den Griff zu bekommen, präsentierte Vetter mehr als Rollenspiele und den Sprung ins extra herangekarrte, aus den Möbelhäusern einer schwedischen Kette bekannte Bällebad.
Gar nicht langweilig, warb er in einer Art Seminar für Selbstverständliches: Bevor Piraten andere Mitglieder oder gar ihre Partei selbst verklagten, möchten sie doch bitte nachdenken – und auf die Öffentlichkeitswirkung achten, bat er.
Andreas Wyputta ist Nordrhein-Westfalen-Korrespondent der taz.
Jetzt will Vetter für ein Bundestagsmandat kämpfen – und wird damit zum Hoffnungsträger zumindest der NRW-Piraten. Denn denen fehlt aktuell alles, was Vetter auszeichnet: zum Beispiel ein Kassenbericht. Der fehlt seit Juni. Verstoßen wird nicht nur gegen den eigenen Anspruch der Transparenz: Klare Finanzen verlangt auch das Parteiengesetz.
Und die Landtagsfraktion, die seit Mai mit 20 Leuten Werbung für die ganze Partei machen könnte, produziert statt Inhalten hauptsächlich Peinlichkeiten: Die Bochumer Abgeordnete Birgit Rydlewski twittert nicht nur über ihre One-Night-Stands und gerissene Kondome, sondern unterrichtet die Öffentlichkeit auch über ihren anschließenden – negativen – HIV-Test. Auch dauerten die Landtagssitzungen viel zu lang, meckert die Lehrerin. Die BürgerInnen nervt das: Statt zu jammern, solle die mit einer Diät von über 10.000 Euro im Monat ausgestattete Abgeordnete lieber arbeiten, twittern sie zurück.
Das trifft. Denn dass die Performance der Fraktion alles andere als brillant ist, gibt selbst der Vorsitzende Joachim Paul zu – wenn auch ironisiert: „Die Luft ist raus“, der parlamentarische Alltag sei „eher blass und leise“, so der Fraktionschef in seinem Blog. Zwar zitierte Paul hiermit nur einen Bericht über die Grünen aus dem Jahr 1985. Trotzdem wirkt seine Truppe eher wie ein Haufen vor sich hinwurschtelnder Einzelkämpfer als einer schlagkräftigen Truppe.
Piratinnen wie die Parlamentarische Geschäftsführerin Monika Pieper wissen: Ohne gemeinsame Ziele könne sich die Fraktion auch auflösen. Das wäre der Anfang vom Ende der Partei – zumindest an Rhein und Ruhr. Stattdessen müssen die Landtagspiraten endlich mit der Arbeit beginnen, politische Kernthemen identifizieren und diese konstruktiv in die Öffentlichkeit bringen.
Anwalt Vetter hat das längst getan: Er gilt als Kämpfer für Freiheits- und Bürgerrechte, fordert die Abschaffung des Verfassungsschutzes. Im Bundestag könnte er den Kern der Piraten glaubwürdig vertreten – wenn die Partei nicht an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert.
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