Kommentar Papst: Von allem ein bisschen
Auch der neue Papst hat das Recht, sich zu ändern. Symbolhandlungen aber können Aufklärung und Aufarbeitung nicht ersetzen.
D ie genaue Rolle Jorge Bergoglios, seit einer Woche Papst Franziskus, während der argentinischen Militärdiktatur wird sich wohl nicht endgültig aufklären lassen. Aussage steht gegen Aussage, und verrückterweise kommen beide von der gleichen Person: Franz Jalics.
Der 1976 von den Militärs entführte Jesuitenpater hatte in den 1990ern in einem Buch und in einem Telefoninterview erklärt, er habe deutliche Hinweise darauf, dass sein damaliger Vorgesetzter Bergoglio ihn und seinen Mitbruder Orlando Yorio angeschwärzt und ihnen den Schutz der Kirche entzogen hatte. Heute sagt er das Gegenteil. Woher der Erkenntniswandel kommt, sagt er nicht.
Sicher ist: Bergoglio gehörte nicht zu jenen Kirchenleuten, die unter hohem Risiko die Diktatur verurteilten. Zur späteren Wahrheitsfindung hat er nichts beigetragen, er konnte sich an vieles nicht erinnern und behauptete, es gäbe keine Dokumente, auch wenn die Justiz sie später fand.
ist Redakteur im Auslandsressort der taz.
Und während den beiden Verschleppten damals die Priesterlizenz entzogen worden war, durften unter Bergoglios Ägide sogar wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilte Kirchenleute weiter predigen, genau wie überführte Kindervergewaltiger. Was ist das nun: Komplizenschaft? Indifferenz? Bemühen um Versöhnung? Vertuschung? Karrierestreben? So, wie es aussieht: von allem ein bisschen.
Jeder Mensch hat das Recht, sich zu ändern. Bergoglio könnte sich als Franziskus neu erfinden. Dass er gleich zu Beginn seines Pontifikats die Seligsprechung des Priesters Carlos de Dios Murias vorantreibt, die er noch als Erzbischof von Buenos Aires angestoßen hatte, ist ein Zeichen. Murias war 1976 von den Militärs entführt, gefoltert und später ermordet worden – und die Kirche schwieg. Symbolhandlungen aber können Aufklärung und Aufarbeitung nicht ersetzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“