Kommentar Organspende: Der Zwang, sich zu entscheiden
Zufrieden ist mit dem deutschen Organspendegesetz schon lange keiner mehr. Eine Neuregelung steht an. Zuallererst aber müssen sich die Bürger mit dem Thema befassen.
STEFFI DOBMEIER ist Redakteurin bei taz.de.
Z ugegeben: Es gibt Erfreulicheres und Angenehmeres als das Thema Organspende. Wer will sich schon im Zustand bester Gesundheit mit dem Tod befassen - noch dazu mit dem eigenen? Wie bei so manch anderen Dingen gilt auch hier für viele: Solange es mich nicht betrifft, interessiert es mich auch nicht.
Die Folge ist ein erheblicher Mangel an potenziellen Organspendern, seit Jahren klagen die Ärzte darüber. Im Schnitt sterben pro Tag drei Menschen, weil sie auf ein Organ warten, das ihr geschädigtes ersetzt. Und das, obwohl die große Mehrheit der Deutschen ihre grundsätzliche Bereitschaft erklärt, eine Niere, das Herz oder die Lunge zu spenden. Theoretisch jedenfalls.
Diese Theorie hilft in der Praxis aber nicht. Denn wenn am Ende nicht einmal jeder Vierte einen Organspendeausweis mit sich trägt, besteht dringender Handlungsbedarf. Deshalb ist es sinnvoll, die Menschen im Zusammenhang mit der Neuregelung der Organspende nun mit dem Kopf darauf zu stoßen. Denn anders, so zeigt es die Realität, verwandelt sich die grundsätzliche Bereitschaft nicht in eine Entscheidung auf dem Papier. Das Konzept der sogenannten Erklärungslösung, bei der sich jeder konkret für oder gegen eine Organspende aussprechen muss, ist ein notwendiger Schritt. Auch wenn er für manche wie ein politisch aufgedrückter Zwang anmuten mag.
Das Bewusstsein der Menschen wird sich nur schärfen, wenn sie sich mit dem Thema befassen. Oder eben befassen müssen. Sie haben bislang kein Verständnis, keinen Zugang zur Problematik. Sie sind verunsichert.
Wenn nun also ein gesetzlich verordneter Denkanstoß hilft, dass die Bürger das Themas kritisch hinterfragen, sich ihre persönliche Meinung bilden - basierend auf eigenen Erfahrungen, religiösen Ansichten und medizinischem Verständnis -, dann ist das nur zu begrüßen. Selbst wenn sich am Ende dann nicht jeder für eine Organspende entscheidet.
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