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Kommentar OrganspendeDas perfekte Verbrechen

Heike Haarhoff
Kommentar von Heike Haarhoff

Ärzte, die ihre Patienten auf der Warteliste hochrutschen ließen, bleiben wohl straffrei. Die Standesorganisation ist in der Pflicht, Demut zu zeigen.

Der Styroporbehälter soll das gekühlte Spenderorgan zum Patienten bringen. Nur zu welchem? Bild: dpa

M ehr als einhundert gezielte Manipulationen von Patientendaten sind seit dem vergangenen Sommer nun schon aufgeflogen – und dabei ist erst ein knappes Viertel aller 47 Zentren für Organtransplantation in Deutschland auf kriminelle Betrügereien bei der Organvergabe untersucht worden.

Bereits jetzt ist das Vertrauen vieler Menschen in Ärzte, Kliniken und deren Aufsichtsbehörden spürbar erschüttert; erst zu Wochenanfang vermeldete die Stiftung Organtransplantation ein historisches Spendentief: Um noch einmal fast 13 Prozent sind 2012 die – im internationalen Vergleich ohnehin mäßigen – Organspenden im Vergleich zum Vorjahr gesunken.

Und als wären dies der bestürzenden Nachrichten nicht genug, sorgen nun die Strafverfolgungsbehörden mit ihrer ernüchternden juristischen Botschaft dafür, dass der Mangel noch dramatischer werden dürfte: Ärzte, die todkranke Patienten andernorts um (Über-)Lebenschancen betrogen haben, indem sie die Laborwerte ihrer eigenen Transplantationspatienten fälschten, werden wohl straffrei bleiben.

Bild: Wolfgang Borrs
Heike Haarhoff

ist gesundheitspolitische Redakteurin der taz.

Die Täter dürfen weiter, als sei nichts geschehen, an ihren Karrieren feilen, denn je mehr einer operiert hat, egal auf welcher betrügerischen Grundlage, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass er noch weiter aufsteigt im System – vom Gesetzgeber ungebremst und, so steht zu befürchten, als Vorbild für nachfolgende Ärztegenerationen. Und wenn es ganz schlecht läuft, dann werden diese Ärzte halt ein bisschen Buße tun – vielleicht ein kleines Ordnungsgeld zugunsten der Ärzte ohne Grenzen?

Die Lücke im Rechtsraum

Es ist ein fatales Signal. Und dabei ist es nur bedingt rührend, dass nicht einmal das Vorstellungsvermögen der Verfasser des Strafgesetzbuchs offenbar so weit reichte, als dass sie derartige ärztliche Skrupellosigkeit in Paragrafen zu kleiden vermocht hätten. Fassungslos darf nun auch das Parlament auf die „Strafbarkeitslücke“ blicken, die da klafft, auf diesen rechtsfreien Raum, den so viele Ärzte jahrelang für sich gepachtet hatten.

Verachtenswerte Taten zu ersinnen, für die man nicht belangt werden kann – das darf man mit Fug und Recht ein perfektes Verbrechen nennen. Der Gesetzgeber muss nun aktiv werden. Doch bis das zu konkreten Ergebnissen führt, sind die ärztlichen Standesorganisationen in der Pflicht. Sie müssen dem Bild des karrieristischen Mediziners, der Blutröhrchen vertauscht und Dialysen vortäuscht, etwas entgegensetzen. Ein bisschen mehr Demut zuerst. So schwer das fällt.

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Heike Haarhoff
Redakteurin im Inlands- und im Rechercheressort
Heike Haarhoff beschäftigt sich mit Gesundheitspolitik und Medizinthemen. Nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr in einem Kinderheim bei Paris ab 1989 Studium der Journalistik und Politikwissenschaften an den Universitäten Dortmund und Marseille, Volontariat beim Hellweger Anzeiger in Unna. Praktika bei dpa, AFP, Westfälische Rundschau, Neue Rhein Zeitung, Lyon Figaro, Radio Monte Carlo, Midi Libre. Bei der taz ab 1995 Redakteurin für Stadtentwicklung in Hamburg, 1998 Landeskorrespondentin für Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern und von 1999 bis 2010 politische Reporterin. Rechercheaufenthalte in Chile (IJP) und den USA (John McCloy Fellowship), als Stipendiatin der Fazit-Stiftung neun Monate Schülerin der Fondation Journalistes en Europe (Paris). Ausgezeichnet mit dem Journalistenpreis der Bundesarchitektenkammer (2001), dem Frans-Vink-Preis für Journalismus in Europa (2002) und dem Wächterpreis der deutschen Tagespresse (2013). Derzeit Teilnehmerin am Journalistenkolleg "Tauchgänge in die Wissenschaft" der Robert Bosch Stiftung und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.
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7 Kommentare

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  • A
    Anton

    Jetzt machen sich die Lobbyisten schon Sorgen über

    die Spendefreudigkeit,kaum daß man mal hinter die Kulissen schaut. Die Stimmungsmache ist nicht zu

    übersehen ...und verstimmt.

    Aber auch nackte Tatsachen sprechen nun mal für sich.

  • S
    Stefan

    Nett finde ich ja die Vorstellung, dass nur eine einzige Strafbarkeitslücke existierte - die wirtschaftliche Seite des ärztlichen Berufsalltags besteht quasi nur aus Strafbarkeitslücken: Betrug und Diebstahl an der Allgemeinheit sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel, aber zugegeben: das Ausmaß ist sehr unterschiedlich und die Konsequenzen nicht immer - obwohl auch das vorkommt - so gravierend wie bei Manipulationen im Bereich der Organtransplantation.

  • KK
    Karl Kott

    Mit Abstand der schlechteste Artikel, den ich bis jetzt zu diesem Thema gelesen habe. Reisserisch, einseitig und schlecht recherchiert!

    Es ist gar keine Frage, dass das Verhalten dieser Transplantationsmediziner moralisch verwerflich und ganz einfach falsch war.

    Sie haben dem Ansehen der Ärzteschaft einen deutlichen Schaden zugefügt.

    Und wesentlich schlimmer noch:

    In welchem dramatischen Ausmaß sie der Bereitschaft zur Organspende in Deutschland geschadet haben, wird die Zukunft erst noch zeigen. Und das, obwohl die Deutschen im internationalen Vergleich sowieso schon weit hinten rangieren.

    Natürlich muss dieses Verhalten standes- und/oder strafrechtliche Konsequenzen haben.

    Als ob die verantwortlichen Mediziner je wieder einen Fuß auf den Boden bekommen würden, wie es hier im Artikel suggeriert wird! Auch die Annahme, dass keine Bestrafung folgt, wird einfach als Tatsache hingestellt.

    Und der süffisante Nebensatz, die Verantwortlichen würden ggf an "Ärzte ohne Grenzen" spenden... Lächerlich! Abgesehen davon eine tolle Organisation, die ich seit Jahren unterstütze.

    Inzwischen sitzt der leitende Mediziner ja auch schon in U-Haft, der Artikel hat sich also gerade überlebt. Hätte ich mir den Kommentar sparen können. Naja, jetzt ist er fertig, also kann ich ihn auch senden!

  • EF
    Evi Finken

    Wie fast immer erweisen sich auch bei dem Thema Organspende die "Verschwörungstheoretiker" als die wahren Besserwisser - im besten Wortsinne!

    Was nichts daran ändert, dass sie beim nächsten Thema wiederum als Witzfiguren hingestellt werden - von der Koalition der Korrupten und der Dummdumpfbacken.

  • NM
    Norbert Müller

    Das ist ernüchternd, - aber damit sollten sich diejenigen, die das Vertrauen der Allgemeinheit, der Organspender und der Menschen, die dringend eine Organspende brauchen, auf derart unethische Weise zerstört haben, nicht in Sicherheit fühlen.

     

    Ärzte und Ärztinnen unterliegen auch dem Berufsrecht und weiteren rechtlich bindenden Auflagen, wie z. B. einem Arbeitsvetrag.

    Im Berufsrecht (s. Musterberufsordnung der Bundesärztekammer)ist klargestellt, dass Ärzte sich "würdig" und "ethisch" einwandfrei im Sinne ihrer Patienten und (!) der Gesundheit der Bevölkerung verhalten und einsetzen müssen. Diese Regelungen sind im jeweiligen Landes-Berufsrecht ("Ländersache")bindend für die dort Tätigen. Schwere Verstöße können bis zum Approbationsentzug führen, gleichbedeutend mit einem "Verbot" Patienten zu behandeln.

    Eine saubere und transparente und zeitnahe weitere Aufarbeitung ist nicht nur im Interesse unser Aller, sondern im Besnderen auch für die Ärzteschaft.

    Es kann und darf nicht sein, dass andere Vertreter meiner eigenen Berufsgruppe - darunter dem Anschein nach gewissenlose Karrieristen und andere Verblendete - vermeintlich für das Wohl ihrer persönlichen Patienten agierend - das Vertrauen der Menschen in "ihre" Ärzte insgesamt untergraben.

  • P
    Peter

    Sehr befremdlich sind die Gesamtzusammenhänge bezüglich Organversagen.

    Auf der einen Seite wird auf dem Mars eine Sonde abgesetzt, auf der anderen werden nicht einmal einfachste Zusammenhänge betrachtet.

    Fortschritt wird auf Kosten des Immunsystems erreicht, immer mehr Organe versagen und arbeiten nicht richtig. MRSA, zig tausend Tote im Jahr u.a. Guillaume Depardieu, scheint ebenso eine Folge zu sein.

    Das ist Systemimmanent und kann auf bestimmte Faktoren zurück geführt werden.

     

    Statt das die Wissenschaft den Ursprung genauer betrachtet, werden durch Politiker chemische/genetische Belastungsgrenzwerte noch oben gesetzt, zum Schaden aller.

    Z.B. werden Pestizide genetisch auf alle folgenden Generationen vererbt. S. Epigenetik.

    Wie krank moderne, fortschrittliche Lebensmittel machen, kann 100% auf der Insel Nauru betrachtet werden. Das ist unglaublich was dort passierte und passiert.

    Aufgrund der isolierten Position sollte die internationale Forschungsgemeinschaft eine Forschung auf der Insel anstreben. Dort sind viele Antworten zu erwarten.

    http://www.arte.tv/de/programm/244,broadcastingNum=1256593,day=7,week=34,year=2011.html

     

    Die Strafbarkeitslücke muss viel weiter gefasst werden. Wenn Lebensmittel zu einem Organversagen führen können, so könnte das Verursacherprinzip geltend gemacht werden.

    Aber daran hat weder der Staat, Industrie noch die Banken/Versicherungen ein Interesse.

    Es würde den Fortschritt, der keiner ist, bremsen.

    Wie im James Bond Film wird Gift verteilt um für viel Geld das Gegengift zu erhalten. Moderner Ablasshandel.

    Während das Strafrecht auch die Schuld des einzelnen Angestellten heraus schält, werden Firmen pauschal frei und über alles gestellt. Eine Firma ist demzufolge ein Gebilde mit gekauften Ablassschein.

    Die Strafbarkeitslücke ist letztlich nur die Folge da Angestellte weisungsgebunden, auch für Straftaten!! sind.

    Ausserdem besitzen Angestellte keine Menschenrechte wie der EGMR Fall der Altenpflegerin zeigt.

    http://www.ungesundleben.org/privatisierung/index.php/EGMR_und_Whistleblowing

     

    Demokratie ist Offenheit und diese Offenheit verlangt ständige Kontrolle.

  • N
    Normalo

    Die Einseitigkeit, mit der Sie die Motivationslage der beteiligten Ärzte einschätzen, spricht Bände über Ihr Menschenbild. Ich hoffe, Sie glauben nicht auch noch, dass in der Welt voller egozentrischer A....löcher, in der Sie anscheinend leben, der Sozialismus je eine Chance hätte...

     

    Tatsächlich ist die Ansammlung möglichst vieler Operationen keine so sichere Aufstiegsgarantie, dass Ärzte in nennenswerter Anzahl allein dafür solche Manipulationen riskieren würden. Denn eins ist klar: Strafrechtliche Belangbarkeit hin oder her, der Pfuscher ist beruflich erledigt, wenn mal Einer genauer hinschaut. Karrieremäßig ist daher so eine Manipulation allenfalls ein Nullsummenspiel.

     

    Die häufigsten Motive liegen woanders. Verständig beschaut stellt sich nämlich die Frage, wer von den ethischen Überfliegern, die hier vom hohen Ross der Unbeteiligtheit herab über diese Ärzte Pauschalurteile fällen, überhaupt psychisch in der Lage wäre, einem Menschen beim Sterben zuzusehen, obwohl ein rettendes Spenderorgan vorhanden wäre. Die wenigsten Ärzte wären wirklich Ärzte geworden, wenn ihnen in so einer Situation nicht zumindest der Finger juckte, für ihren konkreten Patienten alle verfügbaren Hebel in Bewegung zu setzen, selbst wenn das gegen ein paar Regeln verstößt. Dank des bürokratischen Wahnsinns, den das System der gesetzlichen Krankenversicherungen im ärztlichen Alltag entfaltet, gehört der heilungsfördernde Regelverstoß mittlerweile ohnehin zum Standardrepertoire eines engagierten Mediziners, also fällt der Schritt gar nicht SOO schwer.

     

    Dass das im Fall von "geklauten" Plätzen auf der Transplantationsliste falsch verstandenes Verantwortungsbewusstsein ist und man mit Blick auf die übergangenen Patienten über strafrechtliche Konsequenzen durchaus nachdenken sollte, steht außer Frage. Aber für die unreflektierte Unterstellung von Niedertracht und hemmungslosem Egoismus in Artikeln wie diesem habe ich kein Verständnis.