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Kommentar OlympiaWarum gucken wir das bloß?

Jan Feddersen
Jan Feddersen
Kommentar von Jan Feddersen und Jan Feddersen

Ja, es gibt wichtigeres auf der Welt. Trotzdem gucken wir vereint abseitige Sportarten, jubeln bei rhythmischer Sportgymnastik und weinen beim Speervorkampf.

Wir sind eine große Fernsehgemeinde: Public Viewing im Victoria Park Bild: dapd

E s ist fast ein Naturgesetz der Fernsehforschung: Wenn Olympische Spiele sind, versammelt sich das Publikum vor Bildschirmen, Computerscreens oder gar zum Public Viewing. So auch bei den Übertragungen aus London. Besonders ARD und ZDF übertreffen mit ihrer Rund-um-die-Uhr-Versorgung alle anderen, nichtsportlichen Programme.

Auch Eurosport, mit wesentlich geringerer Fokussiertheit auf deutsche Medaillenkandidaten, weiß um die Popularität dieser gut zweiwöchigen Show: Olympisches ist attraktiver als beinahe alles andere. Und das nicht nur in Deutschland, sondern überall in der Welt, wo Olympisches im Programm angeboten – „the games“ ziehen!

Und das betrifft auch das aktuelle und neue Angebot von ARD und ZDF, etliche Übertragungen von Sportarten, die gerade nicht in die Hauptsendeschienen passen, via Livestream online zu senden: Auch hier sprechen die Zahlen für ein nachgerade leidenschaftliches Interesse an Wettkämpfen. Ob nun Vorrundenritte der Dressur, Wildwasserkanu im Finale, junge dünne Frauen oder krass muskulierte Männer an Ringen, Barren und am Boden, Marathonläufe oder artistisch trainierte Halbnackte, die sich von Türmen und Brettern ins Wasser stürzen: Man guckt zu.

Bild: taz
JAN FEDDERSEN

ist Redakteur für besondere Aufgaben und Leiter des Olympiateams der taz.

Von Land zu Land verschieden gilt die Zuschauerobsession anderen Sportarten. In Kenia hat das leichtathletische Laufen mehr Zuspruch als das aus dortiger Sicht befremdliche Wasserball der Frauen. Oder das Schwimmen in Australien, das dort fast religiöse Verehrung genießt, rhythmische Sportgymnastik hingegen nicht – was sich wiederum aus bulgarischer Sicht anders herum verhält. Obwohl: Die möglicherweise in Europa existierende Idee, in Kenia würden nur LäuferInnen 'geboren', wurden schon beim Speervorkampf eines Anderen belehrt: ein Athlet aus der Vorstadt von Nairobi hat es sicher ins Finale geschafft. Dass er seine Werferausbildung in Finnland erhielt, spricht für ihn – und für die Globalisierung im Sportlichen.

Alle können irgendwie gewinnen

Wie man es dreht und wendet: Olympische Spiele sind eine Art televisionäre Gesamt-NGO, die mehr Menschen interessiert bindet als andere Entertainment- und Infoformate sonst. Wenn man sie nicht hätte, müsste man sie, als Menschen, die das gute Leben global im Sinn haben, fordern. Nichts scheint friedlicher zu stimmen als ein universell organisierter Wettkampf, bei dem potentiell alle irgendwie gewinnen können. Oder verlieren: tragisch, erwartbar oder überraschend.

Das, präzise betrachtet, macht generell den Reiz von Sportübertragungen aus, wenn sie live gesendet werden: Dass man nicht weiß, wie es endet. Dass einE AußenseiterIn eineN FavoritIn bezwingen kann. Die Differenz zum allgemeinen Leben ist offenkundig: mehr oder weniger routiniert. Olympische Spiele, so gesehen, sind die Differenz zu Nachrichten aus, etwa aktuell, Syrien. Politisch sich verstehende Menschen würden natürlich nie sagen, dass sie diese syrische Dauermedienberieselung weder aushalten können noch wollen.

Olympische Spiele bieten das Gegenprogramm: Wettkämpfe ohne Landminen, Artilleriebeschuss oder Bombenhagel. In London 2012 – wie in vier Jahren in Rio den Janeiro – scheint, typisch Olympia, eine Utopie auf. Rivalität aufs ausschließlich Sportliche. Das ist es, was dem Publikum, uns, bei den Übertragungen im Fernsehen Freude macht.

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
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11 Kommentare

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  • D
    dielendieb

    Die Welt stirbt und wir ergötzen uns an Sport, der nichts mit menschlicher Leistung zu tun hat und, selbst wenn, die Menschheit kein Stück voran brächte. Das tut Sport einfach nicht. Applaus dafür!

  • J
    Jojas

    Ich weiß nicht, warum "wir" das gucken, aber ich weiß, warum ich es tue: Es ist schön, Menschen zu sehen, die ihr Leben einem einzigen Ziel widmen. Und es sind schöne Menschen mit glänzenden Augen und freundlichem, offenem Lächeln. Und es sind knochige, verbiesterte Sehnen- und Muskelwesen, die ungläubig und strahlend und mit Tränen in den Augen auf die Knie sinken, wenn ihnen der Erfolg vergönnt ist, für den sie ihr Leben lang geackert haben. Es sind demütige Menschen, es sind Menschen, die vielleicht besessen sind, von dem, was sie tun, aber im Gegensatz zu so vielen anderen, die besessen sind, von dem was sie tun, bewirken sie Gutes. Sie sind nicht besessen von Macht, nicht von Ruhm, nicht von Geld, nicht von ihrer Wirkung auf andere, nur von dem, was sie wirklich verdammt gut können.

     

    Und oft sind es auch kluge Menschen, die sich so angenehm von den dumpf stammelnden, aber ungleich vie l populäreren Fußballern unterscheiden, und aufgeräumte Menschen, die sich so angenehm von den Egomanen und Selbstdarstellern und Bekloppten unterscheiden, von denen man so oft in den Medien hört, und interessante Menschen, die sich so angenehm von den Menschen unterscheiden, die im Alltag an einem vorbeischluffeln.

     

    Es sind Menschen, vielleicht so wie sie sein sollen, und wie man vielleicht selber gerne wäre. Mens sana in corpore sano ftw!!!

  • W
    wieso?

    Aber ich guck doch gar nicht!

    Ich bin höchstens blöd genug, im Büro hirnlos zu surfen. Aber zu Hause TV glotzen und dann womöglich noch so einen Stuss - das fehlte noch!

  • T
    T.V.

    Mangels Fernseher guck ich die Spiele auch nicht, wer weiß ob ich es damit tun würde. Artikel darüber les ich aber z.T. gern, weil sie häufig sehr komisch/belustigend sind, ob jetzt absichtlich oder unabsichtlich.

    Den Darwinismus als Grundlage scheinen sich ja jede Menge Menschen in der "World of Competition" heimisch zu fühlen, ich schaff's irgendwie nicht da tiefer einzudringen als ein Beobachter.

  • PP
    Peter Pander

    Leider hält der Artikel nicht, was die HEADLINE verspricht.

  • BG
    Bernd G.

    "Dass einE AußenseiterIn eineN FavoritIn bezwingen kann."

    Also Gender gedöhns hin oder her. Hier wird ein Satz bis zur Unkenntlichkeit 'vergendert'.

     

    Die Beliebtheit Olympias erklärt sich daher, dass Goldmedalien für die eigene Nation ein Gefühl eines eigenen Sieges immitieren. Es heißt ja immer "Wir" haben Gold gewonnen, auch wenn der Durchschnittsdeutsche dabei faul auf dem Sofa sitzt. Der Mensch hat sich seit jeher in Gruppen aufgeteilt und wenn seine Gruppe gewinnt findet er das toll. Das gilt für Länder, Fußballclubs, Familien usw.

  • B
    Bochumer

    Randsportarten suchen ein zu Hause...

  • A
    Adaa

    hmmm, komisch, worüber schreibt der Herr Feddersen?

    Ich schaue weder Olympia noch sonstige Trash. Habe vor Jahren meinen Fernseher aus dem Fenster geworfen. Gute Entscheidung gewesen. Warum propagiert die TAZ die Glotze? Bekommen wir demnächst noch eine Rubrik "welches SUV ist das beste"? Apple Produkte werden ja schon gezielt beworben auf dieser Plattform. Schade TAZ, schade .....

  • S
    Schattenfels

    Es gibt zwei Gründe, warum die Menschen Olympia gucken: Die Liebe zum Wettbewerb und die Identifikation mit der zumeist eigenen Nation, die einen jubeln lässt, wenn es zur Goldmedaille reicht. Die Olympiade ist ein Fest zur Ermittlung und Ehrung der Besten und damit eine Hommage an die Ungleichheit der Leistungfähigkeit von Menschen.

  • D
    DasUfo

    In welchem Jahrtausend ist Großbritannien?

  • G
    Groschen

    fühle mich nicht angesprochen.

    Habe noch keinen einzigen Wettkampf gesehen, selbstverständlich auch nicht die Eröffnung und die Schlussfeier werde ich mir auch nicht ansehen.

    Das Leben ist viel zu kurz und zu interessant, um es ausgerechnet DAMIT zu vergeuden.

    G.